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Monica Maria Mieck

Maria Mieck

schreibt besinnliche und heitere Kurzgeschichten,

Aphorismen und  lyrische Texte

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Monica Maria Mieck

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Kurzgeschichten

Die Texte dürfen von Verlagen nur nach Genehmigung durch den Rechteinhaber veröffentlicht werden

Kontakt: maritimbuch (at) googlemail.com

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Kleine Sonnenstrahlen

  Heute wandere ich in dem noch fast kahlen, aber schon den Frühling ahnenden Laubwald und wieder ergrünenden Wiesen entlang.  Die Trauerweide hat aber schon ihr hellgrünes Kleid angezogen.  Dieser wunderschöne Anblick zaubert mir ein kleines Frühlingslied auf meine Lippen.  In einem schmalen Wassergraben erblicke ich auf der mir gegenüber liegenden Seite das erste erblühte kleine Buschwindröschen.  Da kommt ein fremder älterer Mann, der joggend auf der Waldseite des Grabens unterwegs ist, und er bleibt stehen.  Eine strahlende Fröhlichkeit liegt auf seinem Gesicht.  Mit freundlicher Stimme sagt er: „Ich wünsche ihnen einen schönen Tag.  Suchen sie etwas?“ – „Ja, da drüben auf Ihrer Grabenseite wächst das erste weiße verlockende Buschwindröschen.“ – „Warten sie, ich hole ihnen das Blümchen.“  Geschickt geht der sportliche Mann ein paar Schritte im noch dürftig sprießenden Gras des Grabens hinunter.  Vorsichtig zieht der Mutige den ersten leuchtenden Frühlingsboten mit seinem Würzelchen aus der Erde.  Sanft legt er diesen Himmelsgruß in meine ausgestreckte Hand.  „Von Herzen danke ich Ihnen für diese Freude.“  Und ich spüre, wie diese liebevolle Überraschung meine Seele streichelt.  Wenn der Straßengraben nicht zwischen uns wäre, würde ich diesen liebenswürdigen Mann in meine Arme schließen. Schade! 

  Ich hoffe, dass ich diesem Freudenbringer noch einmal begegne, ohne dass uns ein Graben trennt.  Zuhause lege ich mir dieses geschenkte Blümchen zum Pressen in ein altes Buch.  So kann ich mich immer wieder beim Anblick dieses Buschwindröschens, das auch unter dem Namen Anemone bekannt ist, an die feinfühlige Geste des Joggers erinnern.

© Monica Maria Mieck

Eine nachahmenswerte Idee

Mit dem Fahrrad oder zu Fuß durchqueren die Schüler und Schülerinnen einen nicht begünstigten Stadtteil der größten Stadt im Norden, wenn sie das Gymnasium erreichen wollen.  Die Häuserfassaden sind teilweise beschmiert und wirken ziemlich vernachlässigt.  Es ist bekannt, dass in diesem Viertel Menschen leben, die sich keine großen Sprünge leisten können.  Ja, etliche finanzieren ihren Lebensunterhalt mit Mitteln aus der Sozialhilfe.  Aber man sieht auch auf den Straßen einige Menschen, die im Rentenalter sind.  Sie wohnen wahrscheinlich hier, weil es hier kleine preiswerte Mietwohnungen gibt.

Sebastian und Katharina bringen es nicht täglich erneut fertig, vor dieser Armut ihre Augen zu verschließen.  Ihre mitfühlenden Herzen drängen sie, etwas Positives auf die Beine zu stellen.  Beide besuchen sie die Oberstufe des Gymnasiums, und sie sind auch in ihrer Kirchengemeinde in der Jungschar und im Kindergottesdienst engagiert.

Sie kommen aus Elternhäusern, in denen sie eine sorgenfreie und behütete Kindheit verlebt haben.  So gebiert die Nächstenliebe eine ganz neue Idee.  Mit einer liebenswerten Hartnäckigkeit rufen sie zu Spenden auf, machen so auf die vielfältigen Probleme im „Armenviertel“ aufmerksam.  Mit mehreren Klassenkameraden klappern sie Firmen und Geschäftsleute ab, immer mit der Spendenliste in der Hand.  Ihre jugendliche Freundlichkeit lässt so manchen Geber tiefer in die Tasche greifen.  In der Schule bringt ein gut besuchter Flohmarkt Geld auf ihr eingerichtetes Spendenkonto.  Fleiß und Freude wachsen an einem gesteckten Ziel.  Aber wie können sie nun das zusammengetragene Geld sinnvoll einsetzen?  Von wem der Vorschlag zuerst kam, an einem Sonntag ganz einfach mit einem großen Topf heißer Suppe anzufangen, kann keiner mehr genau sagen.  Aber das ist für die Jugendlichen auch nicht wichtig.  Sie arbeiten gerne im Team zusammen, sie wissen, dass einer alleine so ein Projekt nicht schaffen kann.  Spaß haben sie schon bei den Vorbereitungen, beim Einkaufen und dem Suppekochen.  An zwei Sonntagen im Monat sind immer genug fröhliche Helfer damit beschäftigt, die köstliche Suppe auszuteilen.  Mit Genehmigung des Schulleiters haben die Einfallsreichen auch einen Raum im Schulgebäude bekommen, der inzwischen zur Begegnungsstätte zwischen den Bewohnern des Stadtteils und der Jugend geworden ist.  Es hat sich schnell herumgesprochen, so wie eine freudige Botschaft, dass in dieser Schule nicht nur an zwei Sonntagen im Monat eine schmackhafte Mahlzeit kostenlos zu haben ist, sondern dass außerdem das menschliche Miteinander, die Gespräche und die freundliche  Atmosphäre in dem umfunktionierten Klassenzimmer hilfreich und somit zu einem begehrten Anziehungspunkt geworden sind.  Ein Rundfunkreporter fragte einen Mann im mittleren Alter, der gerade genussvoll einen Löffel Suppe in seinen Mund schieben will, warum er denn hierher komme.  „Ja, das will ich Ihnen gerne sagen.  Zu essen habe ich in meiner Wohnung auch genug, aber ich kann hier mit Menschen reden, ich kann auch meine Probleme ansprechen, und ich werde nicht ausgegrenzt, weil ich ein Arbeitsloser bin, der dem Staat auf der Tasche liegt.  Die jungen Leute, obwohl sie das Gymnasium besuchen, sind überhaupt nicht überheblich, und sie haben auch keine Vorurteile.  Um es kurz zu sagen, sie haben das Herz auf dem rechten Fleck.  Und darum fühle ich mich in diesem Treffpunkt auch so wohl und angenommen.  Ich bleibe immer gerne bis zum Schluss, helfe den patenten Schülern tatkräftig beim Abwasch und dem Aufräumen des Klassenzimmers.“

© Monica Maria Mieck

Ein adoptierter Großvater

Er steht, ein wenig über den Spaten gebeugt, und hält Ausschau nach den ersten leuchtenden Winterlingen im gelben Blütenkleid.  Den ersten einsamen Winter hat er nun hinter sich gebracht.  Seit seine Frau im letzten Herbst verstorben ist, fühlt er sich doch oftmals sehr einsam.  Aber nun wartet wenigstens die Gartenarbeit auf ihn, die ihm Bewegung in frischer Luft und vor allem Freude verschafft.  Sein Garten ist nicht so groß und liegt zur Straßenseite hin.  So kann er die Passanten beobachten.  Manchmal grüßt ihn sogar jemand oder Wortfetzen der Vorbeieilenden dringen an sein Ohr.  Dann fühlt er sich nicht so allein.

Während er ein kleines Blumenbeet umgräbt, hört er ein Kind laut weinen.  Plötzlich steht das kleine Mädchen mit tränenüberströmten Wangen vor ihm in seinem Garten.  Irgendwie kommt ihm die Kleine bekannt vor.  Ach ja, drüben auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnt sie, in dem gelben Häuserblock.  „Herr Schäfer“, stößt sie unter herzzerreißendem Schluchzen hervor, „mir ist die Wohnungstür zugeschlagen, und ich komme jetzt nicht hinein.  Der Schlüssel liegt in der Küche auf dem Tisch.  Ich wollte doch nur ganz schnell mein Fahrrad in den Keller bringen.  Da hat der Wind die Tür zugeschlagen.“  Herr Schäfer ist erstaunt, dass die Kleine ihn beim Namen nennt.  Aber das ist jetzt erst mal unwichtig.  Er lässt den Spaten in der Erde stecken, wischt sich die Hände in seiner alten Cordhose ab und umfasst die kleine Beate tröstend um ihre Schultern.  „Da will ich mal sehen, wie schnell ich dir aus der Klemme helfen kann“, sagt er verständnisvoll.  Sie gehen beide Hand in Hand in Herrn Schäfers Keller.  Dort nimmt er aus dem Regal den Dietrich, der ihm selber schon so manchen guten Dienst erwiesen hat.  Drüben im gelben Häuserblock erweist sich der Dietrich an Beates Wohnungstür auch als Helfer in der Not.  Den richtigen „Dreh“ und schon springt die Türe auf.  Beide sind voller Freude, und Beate bedankt sich ganz herzlich mit einem Küsschen auf Herrn Schäfers Wange.  „Da kann ich ja gleich meine Schularbeiten machen“, stößt sie erleichtert aus.  „Sonst hätte ich bis heute am späten Abend warten müssen; denn meine Mutter ist zu einer Tagung nach außerhalb gefahren.“  Und Herr Schäfer sagt noch im Weggehen: „Wenn du mal wieder ein Problem hast, kannst du gerne zu mir kommen.“

Am nächsten Morgen beim gemeinsamen Frühstück erzählt Beate den misslichen Vorfall ihrer Mutter und auch, dass Herr Schäfer ihr so freundlich geholfen hat.  Die Mutter ist ganz erleichtert, dass sich dieses Missgeschick mit der Hilfe des alten Herrn aus der Nachbarschaft so gut lösen ließ.  Am Wochenende ist die Mutter zu Hause und hat auch Zeit für ihre Tochter.  Seit dem Unfalltod ihres Mannes muss sie ja notgedrungen in der Woche berufstätig sein; denn von der kleinen Rente können sie beide nicht leben.  Da geht die Mutter auch gerne auf Beates Wünsche ein.  Sie backen gemeinsam einen Apfelkuchen.  Während Beate die Äpfel schält, kommt ihr ein guter Einfall.  „Mutti, was meinst du, ob Herr Schäfer sich wohl über eine Einladung zum Kaffee freuen würde?“ – „Ja, das ist eine gute Idee.  Du kannst ihn ja gleich nachher einmal fragen.“  Der alte Herr nimmt diese freundliche Einladung gerne an.  Er holt endlich mal wieder seinen guten Anzug aus dem Schrank und bindet sich eine farbenfrohe Krawatte um.  Beate deckt den Tisch festlich auf.  Seit ihr Vater tot ist, haben sie bisher kaum Besuch gehabt.  Die drei sitzen sehr gemütlich bei Kaffee und Kuchen.  Vor allem aber wird ihre Unterhaltung von so viel Herzlichkeit und Verständnis durchströmt.  Herr Schäfer lobt die Backkünste der beiden „Damen“.  So verwöhnt wurde er ja schon lange nicht mehr.  Die Mutter bietet ihm an, dass er an den Wochenenden gerne zu ihnen zum Mittagessen kommen könne.  Erst spät am Abend, nachdem er noch mit Beate etwas Mathematik geübt hat, geht er zufrieden in seine Wohnung zurück.  Mutter und Tochter sind auch ganz begeistert von diesem warmherzigen und hilfsbe­reiten Herrn.

Das darauf folgende Wochenende verbringen die drei gemeinsam.  Nachdem sie sich an einer warmen Mahlzeit genüsslich gelabt haben, beschließen sie, bei dem herrlichen Frühlingswetter einen Ausflug in den Zoo zu machen.  Beate hat so viele Fragen beim Anblick der Tiere, die sie doch noch gar nicht alle kennt.  Die Mutter ist froh, dass Herr Schäfer sich auch als ein Kenner der Tiere erweist.  Geduldig beantwortet er alle noch so ausgefallenen Fragen ihrer kleinen Tochter.  Und Beate lässt Herrn Schäfers Hand gar nicht mehr los.  Dann gönnen sie sich einen Eisbecher.  Während sie schon auf der Heimfahrt in der Bahn sitzen, wird Beate dann doch etwas müde.  Aber das Mädchen schläft nicht, sondern überrascht die beiden Erwachsenen mit einer gut überlegten Frage: „Kann man eigentlich einen Großvater adoptieren?“  Dabei kuschelt sie sich in Herrn Schäfers Arm.  „Ich meine, weil ich keinen richtigen Opa und nun auch keinen Papa mehr habe.“  Herrn Schäfers Augen füllen sich vor Freude mit Tränen.  Die Mutter streichelt seine Hände, und er merkt, dass sie ihn innerlich schon längst adoptiert hat.

Die nächsten Wochen und Monate sind ganz erfüllt von liebevollem Geben und Nehmen.  Beate geht oftmals schon nach Schulschluss zu ihrem adoptierten Großvater und macht mit seiner Unterstützung ihre Hausaufgaben.  So viel Sonnenschein bringt dieses kleine Mädchen in seine stille Wohnung.  Und wenn Mutter einen dringenden Behördengang zu erledigen hat, nimmt Herr Schäfer ihr den gerne ab.

Im Herbst jedoch erleidet Herr Schäfer ganz plötzlich einen Schlaganfall, und er muss wochenlang im Krankenhaus liegen.  Nicht nur für Herrn Schäfer, sondern auch für Beate und ihre Mutter ist das ein harter Schlag, aber es ist für sie selbstverständlich, dass sie ihn nun, so oft sie können, besuchen.

Mutter macht ihm die Wäsche, und Beate kann nachmittags schon alleine mit der Bahn zu ihm fahren. 

Manchmal bringt das Mädchen einen Strauß Herbstastern, den es in Herrn Schäfers Garten gepflückt hat, mit.  Beate streichelt ihren adoptierten Großvater und singt ihm auch Lieder vor.  Und die beiden erinnern sich an den Anfang ihrer Liebe, an die zugeschlagene Wohnungstür und den Dietrich.

© Monica Maria Mieck

Die neuen Nachbarn

Jeden Tag dreht Elsbeth Weigel ihre Balsaminen-Töpfe auf der Fensterbank ein wenig um, damit die selbst ausgesäten Blumen auch schön gerade wachsen können.  Denn alles Lebendige wendet sich zur Lichtseite hin.  Seit sie, aus gesundheitlichen Gründen, ihren großen Garten leider abgeben musste, hegt und pflegt sie die zahlreichen Zimmerpflanzen besonders liebevoll.  Während sie in Gedanken versunken ihre jungen Zierpflanzen gießt, fällt ihr Blick durch das Küchenfenster, und sie sieht gerade noch, wie Frau Tegel, die junge Frau, die direkt über ihr wohnt, in den Umzugswagen einsteigt.  Elsbeth Weigel erschrickt etwas, denn sie wusste nichts von dem Auszug.  Weil sie am Vormittag bei ihrem Hausarzt war, hat sie nicht bemerken können, dass Möbel durch das Treppenhaus getragen wurden.  Anhand der gardinenlosen Fenster hat sie es auch nicht vermuten können, denn die junge Frau über ihr hatte niemals Gardinen vor den Fenstern.  Sie kannten sich überhaupt nicht.  Wenn sie sich gelegentlich mal im Treppenhaus begegneten, grüßten sie einander kurz, und beide Frauen gingen ihrer Wege.

Doch Frau Weigels Gedanken schweifen gleich weiter.  Wer jetzt wohl, vielleicht schon zum Monatsersten, in die freigewordene Wohnung einzieht?  Hoffentlich jemand Ruhiges.  Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück, wischt sie das Treppenhaus.  Da begegnet ihr der Hausmeister sehr freundlich mit dem Satz: „Jetzt zieht über Ihnen eine nette türkische Familie ein.“ – „Oh Gott, bloß das nicht“, entfährt es Frau Weigel.  Mehr sagt sie nicht und wischt langsam die Treppenstufen weiter.  Später, während sie sich ihr Mittagessen zubereitet, versucht sie ihre Gedanken, die voller Vorurteile gegenüber Ausländern sind, zu überprüfen.  Wovor hat sie vielleicht Angst?  Vor der Andersartigkeit, vor den Sprachproblemen?

Das kleine Last-Taxi hält drei Tage später vor ihrem Haus.  Elsbeth Weigel ist gerade beim Fensterputzen.  Da steigen auch schon die Eltern mit zwei Kindern aus, alle dunkelhaarig.  Nachdem die wenigen Habseligkeiten von der Familie heraufgetragen sind, macht die neue türkische Nachbarin ganz selbstverständlich das Treppenhaus von oben bis unten sauber.  Darüber staunt Frau Weigel.  Eine Woche später klingelt es bei ihr an der Korridortüre.  Sie öffnet, und da steht Figan, das 12jährige türkische Mädchen, auf der Fußmatte.  In einwand­freiem Deutsch sagt sie sehr freundlich: „Frau Weigel, meine Eltern möchten Sie in unsere neue Wohnung einladen, kommen Sie heute Abend doch einfach zu uns herauf.“ – „Ja, ich will es mir überlegen“, sagt Elsbeth Weigel, überrascht von der unverhofften Einladung.  Nachdem sie wieder alleine in ihrer Wohnung ist, steht der Entschluss auch schon fest, dass sie die Einladung gerne annimmt.  Abends zieht sie sich eine hübsche Bluse an.  Dann nimmt sie den ersten erblühten Balsaminen-­Topf mit den vielen hellroten Blüten von der Fensterbank, den sie zum Einzug ihren neuen Nachbarn schenkt.  Ach, da wird sie als einzige aus dem Haus so gastfreundlich bewirtet.  Außer ihr ist niemand der freundlichen Einladung gefolgt.  Mutter und Tochter haben einen köstlichen Salat mit Schafskäse zubereitet.  Auch wenn die türkischen Eltern noch etwas Sprach­schwierigkeiten haben, so dolmetscht Figan wunderbar ins Deutsche.  Für den vierjährigen Mehmet suchen sie noch dringend einen Kindergartenplatz.  Die Mutter möchte so gerne etwas hinzuverdienen.  Es fehlt ihnen noch so viel, sogar an täglichen Gebrauchsgegenständen.  Dieser kleine Junge, mit seinen dunklen fröhlichen Augen, gefällt Frau Weigel auf den ersten Blick.   Während des ganzen  Abends spielt der Kleine mit seinen Holzbau­klötzen.  Da macht Elsbeth Weigel ganz spontan den Eltern ein Angebot: „Bis Sie einen Platz für Mehmet im Kindergarten bekommen, will ich gerne an den fünf Wo­chentagen für ein paar Stunden den Kleinen in meine Obhut nehmen.“  Die neue Nachbarin fällt ihr freudestrahlend um den Hals.  So viel liebevolle Nachbarschaftshilfe hat sie sich nicht einmal im Traum erhofft.  Mehmet geht sehr gerne zu „Tante Weigel“, wie er sie schon bald nennt.  Dieser kleine Junge bringt so viel Sonnenschein in ihr Leben.  Sie gehen auch zusammen einkaufen und werden manchmal von besonders aufmerksamen Passanten bestaunt.  Elsbeth Weigel blüht in dieser schönen Großmutterrolle wieder so richtig auf.  Ihr einziger Sohn hat leider keine Kinder.  Und sie hat sich schon lange ein Enkelkind gewünscht.  Nun hat sie praktisch eines geschenkt bekommen, dem sie all ihre liebevolle Zuwendung geben kann.  Sie schläft wieder viel besser, seit sie diese erfüllende Aufgabe hat.  Im darauf folgenden Winter ist ein Platz für Mehmet im Kindergarten frei.  Elsbeth Weigel vermisst den kleinen Jungen so sehr, dass er nun an den Wochenenden vormittags zu ihr zum Spielen kommt.  Vorher denkt sie sich immer schon ein spannendes Spiel für sie beide aus.  Doch plötzlich wird sie krank, und ganz selbstverständlich pflegt Mehmets Mutter sie.  Abends bringt sie ihr noch eine mit Liebe gekochte Mahlzeit, die sie sich am nächsten Mittag nur zu wärmen braucht.  Und Figan kommt gleich nach der Schule zu „Tante Weigel“, um das Rezept in der Apotheke einzulösen.  Wie wäre es ihr wohl ergangen, jetzt in diesen Krankheitstagen, wenn diese liebe Familie sich nicht so selbstverständlich um sie kümmern würde?  Als sie wieder von der Krankheit genesen ist und unterwegs an einer Häuserwand die Schmiererei „Türken raus!“ liest, fühlt sie einen Stich in ihrer Seele.

Auch wenn sie mit den Eltern noch gelegentlich Verstän­digungsschwierigkeiten hat, so ist doch Nächstenhilfe eine Sprache, die von allen Menschen verstanden wird, die da sagt: Ich verstehe dich, ich helfe dir, teile mit dir Freud und Leid, und du bist mir nicht gleichgültig.

Schwarzbrot für jeden Tag

Schnell zieht sie die Wohnungstür hinter sich zu und eilt die Treppenstufen hinunter, denn die nächste Bahn möchte sie gerne noch erwischen.  Heute Morgen ist Elfriede Langmarck etwas später als sonst aufgestanden, und schon gerät ihr Zeitplan leicht ins Schleudern.  Sie gehört zu den stets zuverlässigen und pünktlichen Menschen.  Man kann sich auf sie absolut verlassen.  So geschieht es auch an diesem Morgen, wie jeden Alltag, wenn sie zu ihrer Arbeitsstelle fährt, dass sie, wenn sie aus dem Haus heraustritt, jenen Abstand zum Gebäude wählt, aus dem sie genau beobachten kann, ob die Küchenfenstergardine ihrer hoch betagten Nachbarin zur Seite gezogen ist.  Erst dann kann sie beruhigt ihren Fußweg zur Bahnstation gehen.  Dieses sichtbare Zeichen des Wohlbefindens der alten Dame haben die beiden gut bekannten Frauen untereinander abgesprochen.  Dann weiß Elfriede Langmarck, dass ihre Nachbarin schon aufgestanden ist und dass es ihr dem hohen Alter entsprechend gut geht.  Hinter der Glasscheibe steht die kleine alte Frau und winkt der Davoneilenden nach.  Und Elfriede wedelt zärtlich mit ihrer Hand durch die frische Morgenluft.  Die Lippen der Hochbetagten formen täglich etwa den gleichen Satz in die Stille ihrer Wohnung hinein: „Ich freue mich jetzt schon auf heute Abend, wenn sie zu mir kommen, liebe Frau Langmarck.“

Die tüchtige Verkäuferin arbeitet schon seit vielen Jahren in der gut gehenden Drogerie und Parfümerie in der pulsierenden Innenstadt.  Sie ist selber eigentlich schon im Rentenalter, aber weil ihr der Beruf immer noch viel Freude macht, arbeitet sie seit einem Jahr noch an drei Tagen in der Woche.  Der Umgang mit den Kunden macht ihr Spaß und verschafft der lebensbejahenden Frau auch Abwechslung.  Von dem zusätzlichen Verdienst hilft sie bedürftigen Menschen in den armen Ländern. 

Doch nach so einem anstrengenden Achtstundentag drängt es Elfriede Langmarck  nach Hause.  Ihr pensionierter Mann und vor allem ihre liebe Nachbarin warten beide auf Zuwendung.  Auf dem Weg zur Bahnstation kommt sie an einem Blumenstand vorbei.  Nur ein kurzes Zögern, dann sind schnell zwei kleine Sträuße bunter Astern gekauft.  Dennoch  verpasst sie ihre Bahn.  Aber Elfriede ruht sich gerne noch ein wenig auf der Wartebank aus.  Vielleicht hat ihr Mann dann schon den Abendbrottisch für sie beide gedeckt.  Während Frau Langmarck sich dem Hause nähert, bleibt ihr nicht verborgen, dass ihre Nachbarin schon am Fenster die Gardine etwas zur Seite gerafft hat und sehnsüchtig nach ihr Ausschau hält.

Während Elfriede sich bei einem Duschbad erfrischt, hat ihr rühriger Hausmann schon mit viel Geschick ein kleines Abendbrot auf dem Esstisch.  In entspannter Atmosphäre tauschen die Eheleute Gedanken aus, die sie am Tage bewegt haben.  Danach schauen sie sich gemeinsam die Tagesschau im Fernsehen an.

Plötzlich gibt Elfriede ihrem Mann einen besonders lieben Kuss und sagt noch im Weggehen: „Schatz, wie gut, dass du so pflegeleicht bist, und nun kannst du dir auch dein Programm ganz nach deiner Wahl aussuchen, ich gehe noch für eine Stunde zu Frau Schawert hoch.“

Zuerst schließen die beiden Frauen sich vertrauensvoll einander in die Arme.  Dann jedoch überfällt die alte Dame Elfriede mit einem Bedürfnis nach Redenmüssen.  Schließlich sitzen die beiden Frauen über das Mühlespiel gebeugt, und es ist ziemlich leise, denn jeder Zug will gut überlegt sein.  Zum Schluss schreibt Elfriede Langmarck noch einen kleinen Einkaufszettel der fehlenden Nahrungsmittel, die sie morgen der Hochbetagten mitbringen will.  Frau Schawert bittet um frisches Obst, ein Stückchen milden Käse und vor allem wieder gutes saftiges Schwarzbrot.  Und da sprudelt es aus der alten Dame  nur so heraus: „Ja, das Schwarzbrot, das brauche ich ja jeden Tag, und davon lebe ich.  Aber ohne ihre liebevollen Zeitgeschenke würde ich seelisch schon längst verhungert sein, denn die sind Brot für meine Seele.  Ich kann ihnen das nicht mehr gut machen, aber ich glaube, dass das gewiss ein anderer für mich tut.“

Unser Hausopa

Sie wohnen in einem Vierfamilienhaus und der Kontakt untereinander ist sehr spärlich.  Doch die junge Familienmutter mit ihren beiden kleinen Töchtern spürt schon nach kurzer Zeit, dass der allein lebende ältere Herr im Parterre auffallend kinderlieb ist.  Niemals beschwert er sich über das Lärmen ihrer temperamentvollen Mädchen.  Er sucht sogar die Nähe der beiden, scherzt und lacht gerne mit ihnen.  Als das Nesthäkchen erkrankt, und die Mutter die Ältere gerne in den Kindergarten bringen möchte, erzählt sie ihre missliche Lage einfach im Treppenhaus beim Briefkastenleeren dem außergewöhnlich freundlichen Nachbarn.  „Aber gerne bringe ich ihre Lena zum Kindergarten, und ich hole sie mittags auch selbstverständlich wieder ab.“  Als die Mutter am Kinderzimmerfenster steht, sieht sie noch voller Erleichterung und Freude, dass ihre Große vertrauensvoll ihre kleine Hand, in die des verständnisvollen älteren Mannes schiebt.  Und auf dem Rückweg besorgt der „Retter in Not“ aus der Apotheke die verordneten Medikamente für die kleine Kranke und ein paar frische Lebensmittel, damit die Mutter bei dem kleinen kranken Töchterchen bleiben kann.  So viel Hilfsbereitschaft hat die junge Familienmutter bisher noch nicht erfahren.  Als der Pensionär Lena an der geöffneten Korridortür abliefern will, kommt ihm ein Duft entgegen, der nur von frischen Eierpfannkuchen stammen kann.  „Selbstverständlich essen sie heute mit uns zu Mittag, lieber rettender Engel.“

Ein paar Monate später zieht die junge Familie in ein Reihenhäuschen.  Durch die neu entstandene räumliche Entfernung fürchtet die ganze Familie, dass sie dadurch den immer Hilfsbereiten verständlicherweise verlieren wird.  Doch zum Glück aller Beteiligten intensiviert sich diese wunderbare Familiengemeinschaft noch erheblich.  Der Tatkräftige mit dem frohen Herzen ist nun längst kein Alleinlebender mehr.  Jetzt kommt der „Opa“ eben mit seinem Auto schnell herüber, wenn er gebraucht wird.  Nein, nicht nur, wenn er der Mutter etwas Arbeit abnimmt, sondern ganz selbstverständlich wird er auch zu den Geburtstagen und anderen Feierlichkeiten eingeladen.  Manchmal fährt der von den beiden Mädchen fest ins Herz Geschlossene nur zum Schlafen in seine Wohnung.  Denn inzwischen gehört der fast Siebzigjährige, der ein sehr frohes ausgeglichenes Wesen hat, mit zur Familie.  Noch einmal richtig aufgeblüht ist der pensionierte Lehrer, seit er in dieser jungen Familie einen warmen Platz gefunden hat.  „Es ist wunderbar, gleichzeitig gebraucht und geliebt zu werden.“  Auch der Familienvater, der beruflich sehr viel außerhalb unterwegs sein muss, schätzt diesen liebenswerten begabten Pädagogen.  So fällt es seinen Töchtern nicht schwer, dass sie ihren Vater nur an den Wochenenden erleben.

Eines Tages fährt das älteste Familienmitglied die erkrankte Mutter zum Facharzt.  Die Wartezeit  dauert länger, als ohnehin schon einkalkuliert.  Unruhig schaut die Erkrankte auf ihre Uhr, denn die jüngste Tochter hat gleich Schulschluss.  „Gib mir die Schlüssel, liebe Beate, ich hole jetzt erst Kathrin von der Schule, und dann später dich hier vom Arzt ab.“

Kathrin strahlt, weil sie wie eine feine große Dame mit dem Auto abgeholt wird.  Ihre Freundin ruft ihr entgegen: „Kathrin, dein Opa holt dich ab.“ – „Nein, das ist gar nicht mein richtiger Opa, sondern das ist unser allerliebster Hausopa.“

Unsere technischen Perlen

   Einen wahren Segen haben die erfinderischen Ingenieure vor allem uns Frauen und besonders den Familienmüttern mit vielen Kindern beschert.  Denn das Kräfte zehrende Wäschewaschen war schon immer harte schweißtreibende Frauenarbeit.

In meiner Erinnerung sehe ich noch heute meine kleine Mutter, wie sie in der dampferfüllten Waschküche gebückt Holzscheite unter den großen Waschkessel in die Feuerstelle legte.  Danach stand sie an der Waschbütte und rubbelte einzeln die Wäschestücke auf dem Waschbrett hinauf und wieder hinunter, und dieses ergab eine unverkennbare Melodie.  Auch ich habe noch als junge Mutter nicht nur die ganze Kinderwäsche in einem großen Waschtopf auf dem Gasherd gekocht, danach in der Badewanne gespült, mit meiner Hände Kraft ausgewrungen und auf die Leine gehängt.  So war es ein ganz großer Tag für mich, als wir uns endlich kurz vor der Geburt unseres zweiten Kindes, eine einfache elektrische Waschmaschine leisten konnten.  Das Ergebnis war, dass ich mehr Zeit für die schöneren Dinge des Lebens hatte.  So hatte ich sogar an einem Waschtag abends noch Kraft, mit meinen Kindern zu singen und ihnen Geschichten vorzulesen.  Und danach auch noch Zeit, mit meinem Mann einen ausgedehnten Spaziergang zu machen.

Und heute an der Schwelle des Altwerdens, da merke ich oftmals sehr spürbar, dass ich auf meine treue Perle „Berta“, so ist der Kosename meiner Waschmaschine, total angewiesen bin.  Wenn ich morgens meine immer dienstbereite Berta mit Wäsche befülle und Waschpulver ins Fach streue, brauche ich nur noch die Programmtaste zu wählen.  Und schon nimmt meine stets verfügbare Waschfrau ihre Arbeit ohne Murren in  Angriff.  Wie gut geht es mir durch diese technische Erleichterung!  Ich frühstücke in der Zwischenzeit ganz in Ruhe und höre nur ein leises Wassereinlaufen und Abpumpen, wenn ich mich im Badezimmer aufhalte.  Ansonsten bewegt meine zuverlässige elektrische Haushaltshilfe meine Wäsche leise und schonend.  Manchmal spreche ich auch mit meiner kraftvollen Hilfe: „Berta, du ermöglichst mir, dass ich nicht so früh meine Eigenständigkeit aufgeben und ins Altenheim ziehen muss.  Darum bist du so wertvoll für mich.“  Ich denke, auch eine Waschmaschine hört gerne ein Lob.

Auch mein Kühlschrank ist ein treuer Diener und Tag und Nacht für mich in  Aktion.  Wie zeitraubend war es früher für mich als junge Familienmutter und besonders bei sommerlicher Hitze, den Aufschnitt zum Abendbrot appetitlich auf den Tisch zu bringen.  In der Praxis sah das dann so aus, dass ich abends kurz vor Ladenschluss noch schnell in die Metzgerei lief, um 125 Gramm frischen gekühlten Brotbelag zu holen, obwohl ich vormittags schon eingekauft hatte.  Wie viel Zeit mussten die Hausfrauen allein für die Lebensmitteleinkäufe jeden Tag investieren.  Wie segensreich sind unsere Kühlschränke und Tiefkühltruhen!  Sie haben vor allem uns Frauen mehr Freiraum geschenkt.  Die eine nutzt diese gewonnene Zeit zum Malen, und eine andere geht stundenweise wieder in ihren geliebten Beruf zurück.  Eine Freundin arbeitet mit viel Freude in ihrer Kirchengemeinde mit.  Auch eine Berufstätigkeit schenkt den fleißigen unbeachteten Hausfrauen oftmals Anerkennung und ein verloren gegangenes Selbstbewusstsein liebevoll zurück.  

Der dritte spürbare Helfer im Bunde der Erleichterungen ist wohl der Staubsauger.  Ach, wie hab ich mich noch mit dem Fegen, Wischen, Einwachsen und Blankbohnern der Fußböden geplagt.  Das war wirklich schwere Knochenarbeit.  Und wie schnell musste dieser Arbeitsaufwand wiederholt werden.  Dann sollten die ersten kleinen Läufer etwas mehr Gemütlichkeit in die Wohnung zaubern.  Aber die mussten jede Woche auf der Teppichstange mühselig geklopft werden.  Im Winter bei schönem reichlichem Neuschnee schleppte ich die Läufer aufgerollt treppab und klopfte sie im reinigenden Schnee.  Fast wie neu sahen die Luxusbodenbelege nach dieser Kur aus.  Wenn man über einen guten Staubsauger verfügt, kann man auch als älterer Mensch noch lange die Wohnung alleine sauber halten.

Aber auch die Geschirrspülmaschine ist eine leise fleißige Haushaltsperle.  Während sie die Tassen und Teller spült, kann ich genussvoll auf der Couch mit einem Buch in der Hand liegen und Gedichte von Rilke lesen.  Besonders, wenn wir Besuch haben, spüre ich diese enorme Erleichterung.  Es ist schon sehr angenehm, gleich nach der Mahlzeit in Ruhe sitzen bleiben zu können und zu plaudern, während später hinter der geschlossenen Küchentür automatisch und perfekt das viele Geschirr von allen Resten glänzend befreit wird.  Und die ohnehin strapazierte Haut unserer Hände wird durch diese technische Hilfe doch sehr geschont.

Erwähnenswert ist aber noch die Wärme spendende Zentralheizung.  In unseren ersten zehn Ehejahren, in denen drei Kinder geboren wurden, habe ich noch Kohlen, Holz und Briketts aus dem Keller viele Treppen hinauf in die Wohnung schleppen müssen, damit ich mehrere Öfen beheizen konnte.  Und wenn wir mal sonntags bei meinen Eltern zu Besuch weilten, war ich beim Heimkehren richtig froh, wenn der große Ofen im Wohnzimmer wenigstens noch genügend Glut hatte, dass ich zunächst mit Holz daraus ein Feuerchen entfachen konnte, das später mit Kohlen die gewünschte wohlige Wärme erzeugte.  Ich erinnere mich auch noch an den viel zu schnell randvollen Aschenkasten, der auf den Hof getragen wurde, auf dem die graue Metalltonne ihren Platz hatte.  Noch niemals habe ich gerne Staub gewischt, und deshalb schiebe ich solche Tätigkeiten gerne auf, aber es war bei der Beheizung von Kohleöfen leider nicht so oft zu vermeiden.

Während ich diese Gedanken aufschreibe, wird mir bewusst, wie stark entlastet ich durch diese kraftvollen technischen Haushaltshilfen im Jahre 2006 bin.  Tatsächlich erfüllt mich auch deshalb ein Gefühl, das wir Dankbarkeit nennen.  Wie viel Freiheit und Freiraum haben diese technischen Erfindungen uns doch geschenkt.  Viele, viele wunderschöne erholsame Spaziergänge in Gottes freier Natur sind mir dadurch möglich.  Und noch niemals konnten so viele Frauen und Mütter einer sinnerfüllten Berufstätigkeit nachgehen, wie es heute möglich ist.  Auch mit den abnehmenden körperlichen Kräften kann ich noch lange in meiner vertrauten Wohnung bleiben.  Die Perle Berta erledigt weiterhin zuverlässig meine Wäschepflege.  Und später kommt eine Putzfrau auch nur zu mir, wenn sie einen guten funktionstüchtigen Staubsauger vorfindet.  Dieser menschlichen Hilfe werde ich außer einer großzügigen Bezahlung einen besonders guten Kaffee kochen und mit einem anerkennenden Lob nicht sparen.

Die Verabschiedung

Eine Lobeshymne nach der anderen „singen“ seine Vorgesetzten und engsten Mitarbeiter an diesem warmen Frühlingstag dem Zweiundsechzigjährigen unter freiem Himmel.  Der Mann im dunkelblauen Anzug mit feinem Nadelstreifen wird in seinem tiefsten Innern durch diesen Lobgesang aber nicht sonderlich stolz oder gar froh gestimmt.  Immer wieder wird betont, dass er jederzeit zu erreichen war, dass er der Kirche treu gedient, und dass er Nächstenliebe geübt hat. Nun steht er da, dieser eingesegnete Diener Gottes mit einem verdammt schlechten Gewissen seiner eigenen Familie gegenüber.  Seine ständigen Überstunden hat er nicht gezählt und niemand wurde an seiner Tür abgewiesen.  Einen geregelten Feierabend und freie Wochenenden kannte er in all den vielen Jahren nicht.  Hat doch seine treue Ehefrau diese Lasten alle mitgetragen. Und wie viel Verzicht war nötig, um diesen unmenschlichen Einsatz erbringen zu können?  Aber ständiger Verzicht macht auf Dauer traurig, aggressiv und sogar bitter.

Der Propst stimmt ein Dankeslied an, weil Gott diesen tüchtigen Belastbaren der Menschheit geschenkt hat.  Beschämt tritt der Abschiednehmende aus der Menschenmenge hervor, und unter Tränen, die ihm immer wieder seine Augen füllen, sagt er dann doch gut verständlich: „Ich bin meiner Frau und meinen Kindern so viel schuldig geblieben, ich bitte sie so sehr um Verzeihung.“  Und hinter seinem Rücken holt er etwas versteckt einen großen bezaubernden Blumenstrauß hervor und schenkt ihn seiner kleinen zarten Frau, die überhaupt nicht erwähnt wurde bei seiner öffentlichen lobesvollen Verabschiedung.  Ein paar Minuten der Stille folgen, ehe die Menschenmenge langsam zu dem kunstvoll arrangierten Büffet schreitet.

Das Gewissen

Meine Freundin Dorothea pflegt ihre fast 90jährige Mutter  tagein tagaus mit Liebe und zuverlässiger Fürsorge.  Im letzten Jahr musste die Hochbetagte leider körperlich spürbare Einschränkungen akzeptieren.  Ihr Geist ist jedoch noch schön klar.  Die Tochter ist aber auch nicht mehr so jung.  Ihr 70. Geburtstag liegt nicht mehr in weiter Ferne.  Dorothea seufzt manchmal leise zwischen den vielen Handreichungen, die ihre Mutter als eine Selbstverständlichkeit hinnimmt.  Meine Freundin hat mir auf meinen letzten Brief eine Antwort geschrieben, mit der ich überhaupt nicht gerechnet habe.  Ich wollte sie trösten in all ihren vielen Belastungen.  Und ich weiß, dass sie viel für ihre Mutter tut.  Und so lautete mein Trostsatz:  „Liebe Dorothea, Du versorgst deine Mutter jeden Tag so liebevoll, und wenn sie dann eines Tages nicht mehr bei Dir sein wird, brauchst du wenigstens kein schlechtes Gewissen zu haben.“  Und auf diesen einen Satz hat meine treue Freundin mir so geantwortet: „Mit dem schlechten Gewissen meiner Mutter gegenüber ist das schon heute so eine Sache.  Denn für meine Mutter bleibe ich immer das Kind.  Sie erteilt mir immer noch Aufträge, die ich zu erledigen habe.   Aber in mir sträubt sich ein erwachsener eigener Mensch dagegen.  Und ich will und kann auch nicht alle ihre Wünsche erfüllen.  Mutter möchte nämlich, dass ich jeden Abend bei ihr zu Hause bleibe.  Aber ich habe auch nur ein Leben und möchte mich nicht ganz aufgeben.  Diesen hohen Erwartungen kann ich auch nicht mehr entsprechen.  Auch meine Kräfte haben schon nachgelassen.  Und ich kann die leise Stimme meines schlechten Gewissens nicht überhören.“

Diese Tochter steht gewiss für viele Menschen, vor allem für Frauen, die einen Angehörigen in voller Verantwortung und gewiss mit hingebender Liebe in ihrem eigenen Zuhause pflegen.  Mir tut meine Freundin leid, weil sie trotz aller Fürsorge ihrer Mutter gegenüber schon jetzt mit einem schlechten Gewissen belastet ist. - Dennoch ist es gut, dass wir Menschen mit einem Bewusstsein von Gut und Böse ausgestattet sind.  Man nennt das Gewissen auch die innere Stimme, die sich bei Menschen unterschiedlich schnell laut oder leise Gehör verschafft.  Die Hochsensiblen fallen dadurch auf, dass sie viel zu oft unter Gewissensbissen leiden.  Sie geraten schnell in die Gefahr, sich selbst völlig einem anderen Menschen oder auch ihrem Beruf zu opfern.  Auf die Rücksichtslosen, die kein sittliches Empfinden von Gut und Böse haben, möchte ich nicht länger eingehen.  Ich sehe in ihnen bedauernswerte Menschen, die in ihrer Kindheit nicht genug Liebe erfahren haben.

 

Aber zurück zu meiner beherzten langjährigen Freundin.  Ich habe ihr geschrieben, dass sie keinen Grund hat, ständig mit einem schlechten Gewissen durch den Tag zu laufen.  Da ihre alte Mutter geistig noch sehr wohl alle Gedanken- und Gefühlsabläufe versteht, sollte sie offen mit ihr über die hohen Erwartungen und ständigen Wünsche sprechen.  Denn viele alte Menschen haben nicht die wohlige Wärmequelle eines vertrauten lieben Angehörigen in ihren letzten Lebensjahren.  Bei Uneinsichtigkeit sollte die Tochter der Mutter einen liebevollen Vorschlag machen.  Der kann vielleicht so aussehen: „Mutter, erinnerst du dich daran, dass du, als du so alt warst wie ich es jetzt bin, mindestens zweimal in der Woche abends schöne erbauliche Stunden im Gemeindehaus bei Veranstaltungen hattest?  Auch ich brauche manchmal dringend dieses seelische und geistige Auftanken nach einem langen Arbeitstag.  Liebe Mutter, ich würde mich so freuen, wenn du dafür Verständnis hättest.  Dann könnte ich am nächsten Tag gewiss ohne schlechtes Gewissen deine Wünsche wieder mit mehr Schwung erfüllen.“

Ein starkes Team

   In den ersten Ehejahren hat sie drei Kinder geboren und mit Liebe großgezogen.  Aber trotz der wachsenden Familie hat die schlanke zupackende Frau ihren fleißigen Mann im Kälberstall und bei anderen anfallenden Arbeiten auf dem großen eigenen Bauernhof unterstützt.

Hinzu kam dann noch später die umfangreiche Pflege der kranken Schwiegermutter bis zu ihrem Tode.  Manchmal wusste die junge Frau nicht, wie sie das alles schaffen sollte.  Vor allem sollten die heranwachsenden Kinder nicht zu kurz kommen.  Der Bäuerin war es nicht so wichtig, dass alles im großen Haus pickfein sauber war.  Mit einem feinen Gespür für ein entspanntes Familienklima sollten die Fröhlichkeit und das Lachen in allen Herzen und Gesichtern niemals ihren  Platz verlieren.  Und dem kleinen flinken Bauern war nicht nur sein Hof wichtig.  Im Winter, wenn auf den Feldern die Arbeit ruhte, fuhr der Sportliche nach dem morgendlichen Melken sehr gerne mit seinen Kindern ins Hallenbad.  Mutter hatte dann mal einen Tag für sich.  Mit einem guten Gewissen besuchte sie ihre langjährige Jugendfreundin.  Durch dieses Ausspannen und Auftanken strahlte die einsatzfreudige Frau eine spürbare Zufriedenheit und lustige Fröhlichkeit beim gemeinsamen Abendbrot auf alle Familienmitglieder aus.

Inzwischen sind die beiden ältesten Kinder erwachsen.  Nur das Nesthäkchen besucht noch die Schule.  In der Landwirtschaft ist das Verdienen magerer geworden.  Die vorausschauende Bäuerin baut sich mit Elan ein neues Standbein auf.  Obwohl der schöne große Hof ziemlich abgelegen liegt, geht sie mutig ein Wagnis ein.  Zuerst wird ein schlichtes Haus auf dem Grundstück gebaut.  Viele Fenster beschenken die kleineren Räume mit einem wunderbaren Blick auf die Wiesen, auf denen auch  Kühe weiden.  Den größten Raum ziert ein nicht zu übersehender grüner Kachelofen, mit einer einladenden Holzbank, auf der man sich sitzend wärmen kann.  In der Küche steht ein großer komfortabler Elektrobackofen.  Dort wird die fleißige Jungunternehmerin bald viel Zeit verbringen.  Weil sie schon immer gerne und guten Kuchen für die Familie gebacken hat, will sie es jetzt für ihre hoffentlich vielen Gäste probieren.  Ein Bauerncafé mit Hofladen wird eröffnet.  Auch an die Hinweisschilder muss sie denken.  In einer regionalen Zeitung wirbt sie mit ihrem flotten Mann an der Seite auf einem Foto für das besondere Café mit der guten Landluft.  Im Frühjahr, kurz vor dem Osterfest, ist dann die spannende Eröffnung.  Die Atmosphäre in den hellen Räumen ist überraschend anders als in den traditionellen Cafés.  Die kostbaren bestickten Decken auf den Holztischen erinnern zumindest die älteren Damen an diese schönen Fleißarbeiten, die in früheren Jahren noch ganz selbstverständlich angefertigt wurden.  Auf jedem Tisch brennt eine schlanke Kerze, die von draußen schon durch die gardinenlosen Fenster einladend mit ihrer Zartheit wirbt.  Wenn ich die große Glastüre des Bauerncafés öffne, strömt mir der süße Duft frisch gebackener Kuchen in meine Nase.  Meine Augen staunen über die kreative Vielfalt der zahlreichen Torten, Blech- und Napfkuchen, die auf dem großen Büffet ihre süßen Versuchungskünste spielen lassen.  Von Tag zu Tag genießen immer mehr Gäste die mütterliche Verwöhnung der einfallsreichen Bäckerin, die mit der Thermoskanne in der Hand den duftenden heißen Kaffee in die Tassen einschenkt.  Inzwischen schmücken zarte Aquarellbilder von verschiedenen Künstlerinnen gemalt die weißen Wände. Diese Farbtupfer beflügeln meine Phantasie besonders, wenn ich mal alleine zum körperlichen und seelischen Auftanken einkehre.  Mir fällt angenehm auf, dass die meisten Gäste sich Zeit zum Genießen und Verweilen nehmen.  So können bei einem Gespräch aus zunächst Fremden vielleicht Bekannte oder sogar Freunde werden.

   Im eisigen Winter knistern die Eichenholzscheite munter im Kachelofen, der eine wohlige Wärme ausstrahlt.  Junge Mütter erklären ihren kleinen Kindern vorsorglich, dass der heiße, so fremde Ofen ihnen auch das Händchen verbrennen kann.  Fleißige Heimwerker tragen zu einem bunten vielfältigen Warenangebot bei.  Handgestrickte weiche Wollsachen, schöne bunte Tiffany-Lampen und auch bezaubernde Weihnachtsengel, sowie geistige Nahrung in Form von Büchern kann der interessierte Gast hier bequem erwerben. 

Das Bauerncafé hat bereits seine volle Blüte erreicht.  Die Kunde vom köstlichen Kuchen hat ihren Werbelauf von Mund zu Mund bestens bestanden und mit einer Erfolgsmedaille belohnt.  Ganze Geburtstagsgesellschaften melden sich zu langen Kaffeetafeln an.  Aus der ehemaligen Bäuerin ist eine tüchtige Café-Besitzerin geworden, die keine Zeit mehr für Stallarbeiten hat.

Am Wochenende tanzt der schlanke flinke Bauer in der frisch gewaschenen Jeanshose und dem schicken Freizeithemd zwischen den vollbesetzten Tischen wie ein fröhlicher Künstler mit der Kaffeekanne in der Hand geschickt umher.  Dann braucht seine Frau die volle Unterstützung ihres zuvorkommenden Mannes, der sich als Kellner gewiss auch sein Brot verdienen könnte.  Und seine ausgeglichene Frau sagt an einem Sonntag, an dem das Café wieder mal bis auf den letzten Platz besetzt ist, lachend zu mir: „Wenn die Leute jetzt wegen der BSE-Krise unser Fleisch nicht mehr kaufen, dann essen sie eben um so mehr meinen Kuchen.  Dieses Ehepaar ist ein kleines, aber starkes Team und es zeigt mir in wunderbarer Weise, wie es alle Aufgaben, die das Leben ihnen stellt, ganz selbstverständlich gemeinsam bewältigt.  Diese beiden Menschen verhalten sich  nach dem christlichen Grundsatz: „Einer trage des anderen Last“ (Gal..6, 2)

Eine mutige Entscheidung

Dass die Kirche weniger Geld zur Verfügung hat, und deshalb leider auch Pfarrstellen gestrichen werden müssen, ist wohl allgemein bekannt.  In einer Gemeinde im Norden Deutschlands geht ein Pastor aus Altersgründen in den wohlverdienten Ruhestand.  Die Kreissynode beschließt, dass diese Stelle nicht mehr neu besetzt wird.  Daraufhin gehen dem noch in der Gemeinde tätigen Pastor viele Gedanken durch den Kopf.  Soll ich es schaffen, in Zukunft für zwei Menschen zu arbeiten?  Welche Prioritäten werde ich dann setzen müssen?  Kann ich dann noch wirkliche Seelsorge leisten?  Dabei denkt der Alleingebliebene an die so wichtigen Trauergespräche, aber auch an die Kranken in den Häusern und Kliniken, die sehnsüchtig auf sein aufmunterndes Wort warten.  Und wie soll es mit der gut aufgebauten und jetzt Früchte tragenden Jugendarbeit weitergehen? - Und schon jetzt bekommt ihn seine Familie nur selten zu Gesicht.

Dem Kirchenvorstand präsentiert der beliebte Gemeindepastor einen wahrlich mutigen Vorschlag: „Meine Damen und Herren, was meinen Sie, wenn wir alle Ausgaben noch mal im Hinblick auf ihre Wichtigkeit überprüfen, also den Rotstift scharf ansetzen, wie viel könnten wir dann monatlich einsparen?  Außerdem können unsere Senioren ihren Kaffee und Kuchen an den gemeinsamen Nachmittagen selber bezahlen.  Und ich streiche auch gerne die vielen Bücher und Hefte, die ich immer großzügig bei meinen Hausbesuchen verschenkt habe.   Auch könnten wir den Gemeindesaal für private Familienfeiern zu einem Mietpreis anbieten.  „Bei Kirchens“ kann nicht immer alles kostenlos sein!  Wir alle sind in der Beziehung verwöhnt.  Viel wichtiger ist es mir, dass unsere so lebendige Gemeindearbeit weiter wachsen kann.  Und deshalb muss die zweite Pfarrstelle auch wieder besetzt werden.  Was meinen Sie dazu?“  Ein langjähriger Kirchenvorsteher meldet sich zu Wort: „Herr Pastor, mir gefällt ihr mutiger Vorschlag, und ich denke, wenn wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen, müsste es uns doch wohl gelingen, eine Besoldung für einen jungen Pastor aus eigenen Mitteln jeden Monat sicher zu stellen.“  Ein einstimmiger Applaus erfüllt den Raum.  „Ich bin erleichtert, dass Sie mich unterstützen und stärken wollen, trotz meiner wahrlich strikten Sparmaßnahmen.  Was nützt es den Menschen, wenn ich ihnen vielleicht in ständiger Eile käufliche Geschenke überreichen kann, aber keine Zeit mehr für die so nötige Seelsorge habe?  Und wie soll ich unter ständigem Zeitdruck eine ansprechende gute Predigt vorbereiten?“

Alle diejenigen, die dem Herrn Gemeindepastor bisher etwas verkaufen konnten, bekommen nun eine freundliche Absage.  Ein junger Amtsbruder ist auch bald eingearbeitet.  Pastor Kranzler besucht eine hoch betagte Dame aus dem Seniorenkreis an ihrem Geburtstag.  Frau Zimmermann freut sich besonders, dass der ihr vertraute Pastor Zeit für ein ausgiebiges Gespräch hat.  Und während sie zusammen eine Tasse Kaffee trinken, sagt der Seelsorger: „Blumen kann ich nun nicht mehr schenken.“ – „Aber Herr Pastor, schauen sie doch mal die vielen schönen Blumensträuße an, die leider in ein paar Tagen schon verwelkt sein werden.  Ihre aufmunternden Worte halten sich gewiss länger in meinem Herzen und geben mir viel Trost.“

 

Zufrieden setzt der Geistliche sich in sein Auto.  Abends erzählt er diese Begebenheit im Kirchenvorstand.  Und er schließt mit dem Satz: „Meine Damen und Herren, es war doch richtig, dass wir uns für den Menschen – in doppelter Hinsicht – entschieden haben, und nicht für die materiellen käuflichen  Geschenke.“

Ein Tag hat viele Stimmungen

Nach einem erholsamen Schlaf falte ich meine Hände zum Gebet und danke Gott für  die Bewahrung, Stille und Geborgenheit in der dunklen Nacht.  In meinem Herzen fühle ich eine tiefe Dankbarkeit, dass ich aus meinem warmen Bett frohen Mutes aufstehen kann.  Ein ganzer Tag breitet sich mit seinen vielen Stunden und verschiedenen Möglichkeiten vor mir aus.  Ungezwungen, ohne Termindruck nehme ich mir das Geschenk der Freiheit, nicht ständig auf meine Armbanduhr zu schauen.  Die Gedanken dürfen kommen und fließen, wie sie es wollen.  Mit geht es dabei gut.  Ich bereite mir ein vitaminreiches Frühstück.  Voller Genuss trinke ich meinen grünen Tee.  Meine Augen wandern dabei in das Geäst der Eichenbäume vor meinem Fenster.  Ein rotbraunes Eichhörnchen klettert meisterhaft von Zweig zu Zweig.  Mit welcher Leichtigkeit dieses geschmeidige kleine Tier sich fortbewegt. - Das Radio spielt  Edvard Grieg’s Morgenstimmung, und diese Musik beeindruckt meine Seele tief.

 

Diese Klänge zaubern meinem inneren Auge ein farbenprächtiges Bild: Ein blaugrünes  Meer wird vom leichten Wind gekräuselt, die rote Morgensonne steigt wie eine Göttin langsam aus dem Wasser herauf, und der Himmel lacht in seinen schönsten Blautönen.   Durch diese wunderbare Musik inspiriert, greife ich gleich zu Pinsel, Farben und Papier.  Ein Aquarell in kraftvollen Tönen lässt meine beschwingte Stimmung erkennen.

Mittags finde ich im Briefkasten einen schwarzumrandeten Umschlag.  Ein alter lieber Onkel ist heimgegangen.  Barmherzig, dass Gott diesen hoch betagten Mann in seiner Altersschwäche zu sich gerufen hat.  Ich werde mit meiner eigenen Endlichkeit konfrontiert.  Darum nutze ich den heutigen Tag.  Wer weiß, wie viel  Zeit mir noch geschenkt wird? - Ich lege eine kleine Mittagspause ein.  Doch schlafen kann ich nicht.  Der Vogelgesang in den nahen üppig belaubten Eichbäumen ist unüberhörbar.  Meine Gedanken wandern in die Vergangenheit, als dieser kinderliebe Onkel mich bei meiner Einschulung begleitet hat.  Er hatte Genesungsurlaub, trug seinen rechten verwundeten Arm in Gips und auf einer Schiene.  Im 2. Weltkrieg hatte er in jungen Jahren einen Schulterschuss an der Front erlitten.  Und wie alt er trotzdem geworden ist.  Seine Fröhlichkeit zog mich immer wieder in seine Nähe.

Bewegung in frischer Luft wird mir gewiss mehr Wohlbefinden verschaffen.  Meine Wanderschuhe tragen mich kilometerweit durch die wundervolle Natur, in der mir Gott mit seinen einmalig schönen Schöpfungen so nahe ist.  In den Hecken blühen in jungfräulichem bezauberndem Weiß die Schlehdornbüsche.

In den Gräben lacht mir sattgelber Löwenzahn entgegen.  Ich spüre, wie sich eine heitere Stimmung, gleich einem  lieblichen Freudevogel, in meine Seele setzt.  Wenn wir mit offenen Sinnen durch die Natur wandern, werden wir immer wieder reich beschenkt.

Zuhause dann Abendstimmung: Stille, Nachdenken, leere Netze.  Was hat der Tag gebracht?  Nichts geschafft!  Aber muss ich immer etwas erbringen?  Ich habe herrlich auftanken können!  Ist das vielleicht nichts?  So lege ich demütig mein leeres Netz in Gottes Hand.  In der Gewissheit, dass Gott mich so liebt, wie ich bin, gehe ich mit einem ruhigen und zufriedenen Herzen zu Bett.

Ein Anruf

Leise besprüht der Sommerregen ihre blanken Fensterscheiben.  Das hereinflutende Tageslicht hat sie schon zum Lesen verführt.  Richtig gemütlich ist es unter der warmen leichten Bettdecke.  Heute hat die Anfangsiebzigjährige keine Verabredung oder Verpflichtung, die stets erinnernd auf dem großen Kalender in der Küche an der Wand über dem kleinen Esstisch notiert sind.  Schließlich treibt ihr leerer Magen sie dann doch aus dem Möbelstück, das viel Geborgenheit zu bieten hat.  Gerade der Dusche entfleucht, noch nicht einmal das Wasser für den Kaffee aufgesetzt, zerschneidet die Telefonglocke unüberhörbar die Stille dieses jungen Tages.

Die Frauenkreisleiterin wirft sich schnell noch ihren dunkelgrünen Bademantel über, bevor sie sich mit freundlicher Stimme meldet.  Am anderen Ende des Kabels sitzt eine kranke Frau aus ihrem Kreis und schildert ihr ihre Situation.  Der Notruf kommt gleich bei der Zuhörenden an der richtigen Stelle an, nämlich in ihrem warmen Herzen.  „Ich will nur noch schnell frühstücken, dann komme ich zu Ihnen, liebe Frau Schneider.“  Die Frauenkreisleiterin redet nicht nur von der Nächstenliebe, nein, sie praktiziert sie auch.

Als sie bei Frau Schneider am Bett steht, bietet sich ihr ein Bild des Erbarmens.  Die fast Achtzigjährige ist wirklich schwer krank, sie hat erst kürzlich eine Darmoperation überstanden.  Die „Samariterin“ läuft schnell in den nächsten Laden und kauft frisches Obst und Brot ein.  Viel essen kann die Kranke nicht, aber den liebevoll zurechtgeschnittenen Pfirsich verspeist sie mit Genuss.  Und „Mutter Anna“, so nennen die Frauen ihre Leiterin liebevoll, hat vor allem ein zuhörendes Ohr für alle  Ängste und Klagen der Kranken.  Ihre körperliche Nähe, das Streicheln über den Handrücken, wirken besser als ein Medikament.  Dann reibt sie noch den schmalen Rücken der Kranken mit Franzbranntwein gut ein.  Dieser intensive Körperkontakt tut nicht nur dem Rücken gut, sondern noch viel mehr der angsterfüllten Seele.  Bevor die Frauenkreisleiterin sich wieder auf den Rückweg macht, tröstet sie die allein lebende bettlägerige Frau  nicht nur mit einer warmen Wärmflasche, sondern auch mit der Zusage, dass sie heute gegen Abend noch einmal nach ihr sehen wird.  Da sieht „Mutter Anna“ in zwei freudig glänzende Augen.  Und Frau Schneider formt mit ihrem schmalen kleinen Mund die Worte: „Wie gut, dass es sie gibt.“

Fragen warum?

Schon etliche Jahre kaufe ich mein Obst und Gemüse sehr gerne in der nachbarschaftlichen Umgebung ein. Die Ware ist stets frisch und ich darf mir aus den vielfältigen und verlockenden Angeboten aus fast allen  Ländern der Erde, die  Früchte nach meinem Geschmack in Ruhe aussuchen. Zum Abwiegen lege ich meine gefüllten Tüten nacheinander auf die Waage, und der hoch betagte stets freundliche und zu einem Schnack aufgelegte Herr lässt sich erstaunlicherweise auch nicht aus seiner wohltuenden Gelassenheit  herausbringen, wenn der kleine Laden manchmal bis zur Eingangstüre voller Kundschaft  ist.  Sein türkischer Chef fährt, während er alleine den Laden „schmeißt“, größere Mengen seiner Waren zu Restaurants und anderen Großabnehmern.  So bunt und vielfältig wie die ausgelegten Waren sind auch die Käufer, die ich dort bei meinem fast täglichen Einkauf antreffe.

Beim Lesen des Gemeindebriefes stolpere ich über den Namen eines Heimgegangenen.  Selbstverständlich hatte ich den alten netten Herrn aus dem türkischen Grünladen seit etwa einer Woche beim Einkauf vermisst.  Nun war er so plötzlich verstorben.  Ich wusste gleich, dass ich seine freundliche und gelassene Art vermissen werde. 

Ein paar Tage später erwidert eine junge Frau kaum meinen morgendlichen Gruß, als ich den Laden mit den vielen farbenfrohen Obst- und Gemüsekisten betrete.  Sie steht etwas „angewurzelt“ hinter der Kasse, und ihr Gesicht wirkt auf mich verschlossen.  Beim Abkassieren bemerken meine Ohren ihren fremdländischen Akzent in ihrem recht guten Deutsch. Auch in den nächsten Wochen ertappe ich mich beim Einkauf dabei, dass ich eine Distanz zu dieser so jungen Frau einhalte.  Ja, ihre Unfreundlichkeit ärgert mich ein wenig.  Und ich denke, wenn sie nur freundlicher wäre, dann könnte ich auch leichter einen Zugang zu ihr finden.

Heute kaufe ich Pflaumen, Weintrauben und Tomaten zu einer Tageszeit ein, in der der kleine Laden wie zu einem kleinen Schläfchen, so still vor sich hinschlummert.  Ich bin die einzige Kundin.  Und ich bin in guter lockerer Stimmung.  Mir fällt heute ein „Trauerschleier“ im Gesicht der jungen dunkelhaarigen Frau auf.  Etwas vorsichtig frage ich sie: „Haben sie sich noch nicht eingelebt, hier in Deutschland?“  Es entsteht eine längere Pause, und sie wiederholt das Wort „eingelebt“.  Und sie fragt: „Eingelebt, was ist das?  Vielleicht so was wie gewöhnt?“ – „Ja, sage ich.“  Und dann bricht es aus ihr heraus, dass sie schon drei Jahre hier in Deutschland lebt und aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt.  Wie schwer es ihre Eltern und sie gehabt haben.  Beim Erzählen wird sie so herrlich lebendig, sie lässt ihre innersten Gefühle mir gegenüber zu, sie zeigt ihr wahres Gesicht.  Mir ist, als wäre in diesem Minutengespräch eine kleine Brücke zwischen uns beiden Frauen gewachsen, aus Anteilnahme und Verstehen.  Und ich erzähle der jungen Flüchtlingsfrau noch etwas von meinem eigenen Schicksal vor gut 50 Jahren, dass ich damals auch meine geliebte Heimat verlassen musste, weil der Russe schon unsere Stadt beschoss.  Alte schmerzende Gefühle lassen mich diese leidgeprüfte Frau verstehen und mit anderen neuen Augen sehen.  Jetzt freue ich mich schon auf das nächste Gespräch mit dieser tapferen jungen Frau.  Ich will versuchen, ihr in der Fremde wenigstens verständnisvoller und warmherziger zu begegnen.

Vom Schenken

Vor zwanzig Jahren, als unsere jüngste Tochter noch ein kleines Schulmädchen war, verbrachten wir vier Wo­chen der Sommerferien mit ihr an der wunderschönen Nordsee.  Ich fragte sie am Schluss des Urlaubs, was ihr denn am besten gefallen habe.  Dabei dachte ich vielleicht an einen Tagesausflug, an Erlebnisse am Strand oder eine besondere Begebenheit.  Aber da bekam ich eine nicht erwartete, jedoch eindeutige Antwort: „Dass ihr im Urlaub immer so viel Zeit für mich hattet, das war das Allerschönste für mich.“  Sie brauchte uns also, unsere Nähe, unser gemeinsames fröhliches Spiel, unser Lachen, unsere Zuwendung.  Und wir gaben es ihr im ganz natürlichen Miteinander.  Sie brauchte kein neues Fahrrad oder andere materielle Wunscherfüllungen, sie brauchte die Zuwendung ihrer Eltern.  Es geschieht heute immer häufiger, dass wir dem anderen etwas schenken, was er gar nicht braucht, ja, worüber er sich nicht freuen kann.  Kaufen wir uns nicht manchmal frei mit einer materiellen Gabe, hinter der wir uns verstecken, wenn wir nichts von uns selber zu geben bereit sind?  So geschieht dann auch nur ein Austausch von Geschenken, der mit dem wirklichen Geben nichts zu tun hat.  Ich denke, die eigentlichen Gaben der Liebe, das sind echte Geschenke.  Und mit dem Herzen schenken, das muss nicht einmal Geld kosten.  Kürzlich ließ ich beim Anprobieren einer neuen Hose in der Umkleidekabine meine Lesebrille liegen.  Erst zu Hause stellte ich bestürzt das Fehlen der Brille fest.  Ich war in Zeitnot, denn kurz darauf würde ich meine Brille dringend bei meinem Dienst benötigen.  Mein Mann setzte sich ganz kurz entschlossen, obwohl er auch beruflich kaum abkömmlich war, auf sein Fahrrad und kam schon nach 15 Minuten mit der Brille zurück.  Das habe ich als wirkliches Geschenk empfunden.  Mein Dank war dann auch tief aus dem Herzen sprudelnd.  Er hatte mir von seiner knapp bemessenen Zeit ein Stück geschenkt.  An einem anderen Tag bin vielleicht ich die Gebende, schen­ke meine Fröhlichkeit und mache anderen Menschen Mut.

 

Konnten wir nicht als Kinder wunderbar schenken: Wiesenblumen und selbst gemalte kleine Zeichnungen und eine liebe Umarmung mit einem Küsschen.  Auch heute können wir als Erwachsene daraus noch lernen.  Mir fallen plötzlich so viele echte Geschenke ein: Ein liebes Wort im rechten Augenblick, ein Besuch in deiner Krankheit, ein Mühen um Verständnis für deine trostlose Lage, Vertrauen schenken, ein Streicheln über den gebeugten Rücken einer alten einsamen Frau, nach einem Streit Verzeihen schenken, oder ich schenke dir einen ausführlichen Brief, ich lass dich nicht warten, du bist mir nicht gleichgültig, ich schenke dir Zuwendung.  Schenken muss aber in Freiheit geschehen, ganz ohne Berechnung, ohne etwas zurückzuerwarten.  Wir müssen loslassen können.  Wir dürfen auch eine Gabe annehmen, ohne uns gleich verpflichtet zu fühlen, eine Gegenleistung zu erbringen.  Nun fällt mir noch die Spruchweisheit ein, dass „Geld den Charakter verdirbt“.  Lernen wir doch wieder, ohne die Krücke Geld von Herzen zu schenken!  Entdecken wir wieder unsere hingebende Fähigkeit, und wir können Schätze verschenken!

Sie hat aber auch niemals gearbeitet

Immer wieder lese ich in den Zeitungen Nachrufe über bedeutende Männer, die in ihrem Beruf im Rampenlicht der Öffentlichkeit standen. Es werden dem Leser natürlich alle Vorzüge und Fähigkeiten des Verstorbenen ins Bewusstsein gerückt. Neben diesen Lebensberichten findet man meistens auch ein Foto, auf dem manchmal sogar die Witwe des tüchtigen Mannes zu sehen ist.  Und unter diesem Bild stehen alle Titel und Namen des Verstorbenen, aber für die noch lebende Frau steht tatsächlich nur „mit Frau“ darunter.  Mir tut dieses Übergangenwerden richtig weh.  Während in dem Nachruf von den zahlreichen hervorragenden Qualifikationen die Rede ist, wird auch noch gebührend erwähnt, dass dieser großartige Mann auch noch Vater von fünf Kindern war.

Mein Blick fällt auf die Frau an seiner Seite. Sie macht auf mich einen lebenstüchtigen Eindruck, und scheint aus einer inneren Zufriedenheit heraus zu leben. Und ihre Hände lassen mich nicht mehr los.  Ja, kräftige zupackende Hände hat diese Familienmutter.  Wie oft hat sie wohl die Kümmernisse der Kinder vor dem Vater geschickt versteckt, damit er unbelastet in die nächste Sitzung gehen konnte.  Und besonders an den Sonntagen den nicht ausgebliebenen Geschwisterstreit begütigend geglättet, damit der viel  geplagte Vater seine ungestörte Mittagsruhe hatte.  Außerdem studierte ihr Mann an den Wochenenden seine so wichtige Fachliteratur, denn schließlich musste er im harten Konkurrenzkampf der Arbeitswelt bestehen können. Sie las dann den lieben Kleinen Märchen vor, und später spielte sie mit ihnen „Stadt, Land, Fluss“.  Wenn die Kinder krank waren, konnte sie ihren Mann nicht bei den öffentlichen Auftritten begleiten, um ihm die nötige Ruhe durch ihre Anwesenheit zu vermitteln. Selbstverständlich hatte „und Frau“ zu allen Empfängen und sonstigen besonderen Anlässen immer das weiße Hemd makellos gewaschen und gebügelt. Und seinen dunklen Anzug hatte sie auch rechtzeitig aus der Reinigung geholt.

Das berufliche Vorwärtskommen des Mannes war aber auch mit etlichen Umzügen in fremde Gegenden verbunden.  Geduldig packte die Mutter zum vierten Mal in wenigen Jahren, die unzähligen Kartons mit Geschirr, Spielsachen und Windelhöschen.  Bei den Hausaufgaben der schulpflichtigen Kinder wurde ihre tägliche Mithilfe noch mehr gebraucht, weil der Wechsel in ein anderes Bundesland mit Problemen verbunden war. In der Einarbeitungszeit auf der neuen Stelle, mit noch mehr Aufstiegschancen, war es für ihren Mann selbstverständlich, dass sie ihm jedwede familienbedingten Belastungen fernzuhalten hatte.  Immer war sie die ruhende Mitte und das bergende Zuhause für alle Familienmitglieder.  Wie oft nahm sie den Kochtopf schnell vom Herd, wenn wieder mal das Telefon klingelte, und sie geduldig einen Mitteilungszettel für ihren abwesenden Mann schrieb.  Denn er plagte sich doch schließlich nur für seine Familie so ab!  Dass er die Anerkennung seiner Arbeit in der Öffentlichkeit so nötig brauchte, wie das tägliche Brot, das gab er niemals offen zu. Nur dadurch, dass die Mutter alle Verantwortung, ausgenommen den Gelderwerb, nach ihren Kräften auf sich genommen hat, konnte der Familienvater, genau wie seine ledigen Berufskolleginnen, die Karriereleiter zielstrebig hinauf klettern.

Dass Witwen, die bedingt durch die Belastungen der großen Familie, keinem eigenen Gelderwerb mit Rentenansprüchen nachgehen konnten, nur sechzig Prozent der Pensionsansprüche des Mannes bekommen, ist schlicht ausgedrückt eine große Benachteiligung, oder ein himmelschreiendes Unrecht, zumal diese Frauen oftmals etliche Rentenzahler groß gemacht haben, von deren Einzahlungen jetzt die Allgemeinheit profitiert.

Zu erwähnen ist noch, dass diese beherzte Frau ihren alten und pflegebedürftigen Vater noch zu sich aufnahm, als die erwachsenen Kinder nacheinander zum Studium in fremde Städte zogen; obwohl. sie insgeheim gedacht hatte, dann endlich mal Zeit für sich selber zu haben.

Kurz nachdem der alte Vater verstarb, wurde dann das erste Enkelkind geboren, und damit die Tochter ihr begonnenes Studium fortsetzten konnte, nahm sie den kleinen Enkelsohn in ihr immer noch warmes Nest auf. Ja, sie blieb jung dabei und auch zufrieden. Wenn der Kleine seine Ärmchen nach ihr ausstreckte und sein Lachen das Haus erfüllte, dann fühlte die Großmutter, dass sie für alle Mühe auch beschenkt wurde. Ich frage mich, woran es liegt, dass diese Frau stets so zufrieden und fröhlich sein konnte?  Ist sie vielleicht von dem Gefühl des Gebrauchtwerdens abhängig?

Trotzdem bewundere ich diese Familienmutter, die so ganz für andere Menschen aufgeht, als hätte sie so gar keine eigenen "egoistischen" Bedürfnisse. In ihrer Jugend hat sie so gerne gemalt, und sie sagt, dass sie dazu ja immer noch Zeit hat, wenn sie nicht mehr gebraucht wird. Hoffentlich wird ihr diese Zeit zur Findung der eigenen Identität noch geschenkt!  Nachrufe für Männer und Berichte über ihre vielfältigen Arbeitsfelder habe ich schon so viele gelesen, jedoch an die Würdigung und Anerkennung einer Familienmutter zu Lebzeiten kann ich mich leider nicht erinnern.

Treues Herzstück

Obwohl der Frühling in diesem Jahr sehr zeitig seinen Einzug gehalten hat, pfeift heute ein frischer Nordost-Wind um alle Ecken und durch sämtliche Fensterritzen.  Der alte Birnbaum vor dem Haus muss unzählige Blütenblätter an den wilden Bläser abgeben.  Frühlingsschnee liegt auf grüner Wiese.  Ellen Kaminski nimmt für einen Moment ihre Lesebrille ab, legt diese und ihr Strickzeug auf den kleinen runden Tisch, der in Reichweite ihres Rollstuhls steht.  Es fröstelt sie ein wenig.  Sie zieht die Wolldecke etwas enger um ihren Körper und schlingt sich das große wollene beigefarbene Tuch fest um ihre schmalen Schultern.  Ihr Lieblingsplatz hier im Hause ist an dem großen Fenster, durch das sie einen weiten Ausblick über den kleinen grünen Hügel am Teich vorbei bis zum Kirchturm hat.  Sie schaut auf die goldfarbenen Zeiger der Kirchturmuhr und sieht, dass es gleich zwölf Uhr ist.  Da bewegt Freude ihr Herz, so, als würde jemand ihre inneren Freudenglocken läuten.  Nun dauert es nur noch eine viertel Stunde, dann kommt Markus, ihr achtjähriger Enkelsohn aus der Schule.  Ellen Kaminski setzt wieder ihre Brille auf und nimmt das Strickzeug in die Hände.  Sie zählt noch einmal die vorhin aufgeschlagenen Maschen nach und überlegt, ob sie auch ausreichen für einen Pullover für ihre Tochter Julia.

Da hört sie hastige Schritte, die sich ihrem Zimmer nähern.  Julia stürzt herein, fällt ihrer Mutter gleich um den Hals und schluchzt.  Ellen Kaminski streichelt ganz sacht über den Kopf ihrer ältesten Tochter, den diese in ihrem Schoß birgt.  Sie sagt nichts, aber sie ist ihrer Tochter ganz nahe.  Ungebremst ausweinen darf sich Julia, so wie damals als kleines Mädchen.  „Ach Mutter, es sind doch alles helle bunte Freudentränen!  Stell dir vor, ich bekomme nun doch ein zweites Kind!“  Und: „Mutter, verzeih mir, wenn ich in der letzten Zeit öfter gereizt reagiert habe.  Ich war so ungeduldig, und manchmal hatte ich nur noch sehr wenig Hoffnung auf eine erneute Mutterschaft.“ – „Ja, es ist gut, ich habe es längst bemerkt“, sagt Ellen Kaminski ganz schlicht.  Jetzt streichelt Julia das Gesicht ihrer Mutter, und dabei fällt ihr Blick auf das eben begonnene Strickzeug.  „Nimm man 20 Maschen mehr auf, Mutter, der Pullover soll dann ja wohl zwei wärmen.“

Markus öffnet die Türe erst einen Spaltbreit und wirft eine Hand voll weißer Blütenblätter in das Zimmer.  „Oma, das ist Frühlingsschnee“, sagt er und gibt ihr einen Kuss auf den Mund.  „Und du bist mein Sonnenschein, Markus“, begrüßt ihn die Großmutter.  „Hast du denn deinen Aufsatz heute zurückbekommen oder ist deine Lehrerin immer noch krank?“, fragt Ellen Kaminski sehr interessiert; denn gestern haben sie beide über das Aufsatzthema lange gesprochen.  „Ja, Omi, hier schau, ich habe eine Zwei plus bekommen."

Julia geht ganz leise und unauffällig aus dem Raum, denn nun nimmt Markus die Omi ganz in Anspruch.  Da wird Julia mal wieder bewusst, wie viel ihre Mutter ihr immer noch von ihren Aufgaben so freudig und selbstverständlich abnimmt.  In der Küche bereitet Julia rasch eine kleine warme Mahlzeit.  Abends, wenn Detlef vom Dienst nach Hause kommt, essen sie immer etwas aufwendiger.  Was wird wohl Detlef zu dem bevorstehenden freudigen Ereignis sagen?  Jetzt, da sie gerade angefangen hat, wieder halbtags berufstätig zu sein.  Das zusätzliche Geld hatten sie schon ein wenig verplant.  Abends, als sie zu viert beim Essen um denn großen runden Tisch sitzen, verkündet Julia freudestrahlend und stolz, dass sie ein Kind erwartet.  Detlef und Markus sind begeistert, dass die Familie endlich größer wird.

Am nächsten Tag bringt Markus seinen Freund Stefan gleich nach der Schule mit nach Hause.  Stefan hat seine neuen Jeans zerrissen und hat Angst, dass seine Mutter, wenn sie abends müde aus der Fabrik heimkommt, schimpft.  „Omi, kannst du uns da nicht helfen?  Du kannst doch so toll nähen, dass man es nachher kaum noch sieht.“ – „Aber ja, stell mir gleich die Koffer-Nähmaschine auf den Tisch.  Dann repariere ich die Hose schnell.“   Stefan bedankt sich überschwänglich bei Frau Kaminski und ist sichtlich erleichtert.  Draußen auf der Straße sagt er zu Markus: „Mensch, hast du eine tolle Oma!  Die kann ja wohl alles.“  „Ja, außer laufen kann unsere Omi fast alles“, erwidert Markus.  Darum fahre ich sie auch, sobald es jetzt wärmer wird, in den Stadtpark, damit sie frische Luft bekommt.  Denn ohne unsere Omi wäre es längst nicht so schön zu Hause.  Egal, mit welchem Problem ich auch zu ihr gehe, sie weiß immer eine gute Lösung.“

Inzwischen ist der weite Pullover für Julia fertig, da näht Ellen Kaminski aus weißem Batist ein Taufkleidchen mit passender Mütze für das Enkelkind, das nun bald geboren werden soll.

Die Wochen und Monate vergehen schnell.  Als Ellen Kaminski an einem sonnigen Septembertag mittags draußen in ihrem Rollstuhl vor denn Haus sitzt und emsig Birnen schält, kommt Detlef, Ihr Schwiegersohn, freudig auf sie zu und gratuliert ihr zum zweiten gesunden Enkelsohn.  Und der sonst so wortkarge Detlef sagt zu ihr: „Mutter, wie gut, dass wir dich bei uns haben, du bist unser treues Herzstück!“ – „Ja, Detlef, ich dachte gar nicht, dass ich auch diese fünf Jahre, die ich nun schon im Rollstuhl sitze, so zufrieden leben könnte.  Wenn ich noch an den Unfalltag zurückdenke, als ich nach der Operation erwachte!  Ich war voller Verzweiflung und Angst, als ich erfuhr, dass ich nie mehr würde laufen können und konnte mir nicht vorstellen, dass dennoch ein erfülltes Leben für mich möglich sein würde.  Aber mein Herz, mein Geist und meine Hände sind ja nicht gelähmt.  Ich kann noch so viel geben und nehmen!“

Geburtstag im Urlaub

Immerhin hat sich mein Mann schon vor dem gemeinsamen gemütlichen Frühstück aus dem Bett geschwungen, ins Auto gesetzt und ist in der Stille des Morgens zwischen die wogenden Felder und blühenden Wiesen gefahren, um für mich einen wundervoll natürlichen Strauß, bestehend aus blauen Kornblumen und gelber Melle zu pflücken.  In der bauchigen Glaskanne sieht das Blau mit dem Gelb gemischt bezaubernd aus.  Einen Duden-Band, zu meiner weiteren Bildung, bekomme ich noch dazu geschenkt.  Im Laufe des Vormittags gehe ich mehrmals vergeblich zum Briefkasten.

Ich ja, meine Töchter haben schon per Karte vor zwei Tagen gemeinsam gratuliert.  Mein Sohn hat nicht geschrieben.  Der sitzt und schwitzt im Moment über seiner Examensarbeit.  Soll dies eine Entschuldigung sein?  Nein, ich bin doch etwas enttäuscht.  Auch haben Freundinnen meinen Geburtstag wohl vergessen.  Aber vielleicht finde ich nach meiner Rückkehr aus dem Ausland zu Hause noch Post vor.

Am Nachmittag machen mein Mann und ich bei strahlendem Sonnenschein eine herrliche Tour auf unserem mitgebrachten Tandem, entlang an gepflegten Bauernhöfen, duftenden Heuwiesen, blühenden Gräben und reifen, gelbgoldenen Weizenfeldern.

 

Ich fühle mich so frei und fröhlich, dass ich die ganze Fahrt über ein Lied nach dem anderen singe.  Und über uns immer wieder der unverkennbare liebliche  Lerchengesang.

   Abends spät, in aller Stille, denke ich noch einmal über meinen Geburtstag nach.  Meine Gedanken werden nicht mehr durch Äußerlichkeiten abgelenkt, und so können sie besser in die Tiefe gehen.  Da erst nehme ich meine wertvollsten Geschenke wahr, die Gott mir fürsorglich bereitet hat.  Ich falte meine Hände und bedanke mich für meine körperliche Gesundheit, für meine seelische Ausgeglichenheit, die Fröhlichkeit, die manchmal sogar einem Kinde gleicht, und diese unbeschwerten Urlaubswochen in unseres Schöpfers wundervoller Natur.  Die prachtvollen Blumen sind ja auch ein Gottesgeschenk!  Dankbar und zufrieden schlafe ich ein.

Mutter Semmler

Ihre dunklen Locken hatte sie stets adrett geordnet, und die weiße Schürze war immer gestärkt und sauber.  Mit ihren warmen, sehr lebendigen Augen begrüßte sie jeden eintretenden Kunden in ihrem kleinen Lebensmittelladen.  Und ihre gleichbleibende Freundlichkeit, das habe ich als Kind schon gespürt, war echt und kam so ganz von innen heraus.  Vor allem ging es in ihrem Laden niemals hektisch zu.  Wenn Mutter Semmler mit der Holzkelle in der Hand geschickt das dunkelbraune Rübenkraut in das mitgebrachte leere Glas tropfen ließ, dann unterhielten sich eben die noch wartenden Kunden untereinander.  Ganz ruhig nahm sie manchmal den nassen Lappen, um das Vorbeigekleckerte abzuwischen.  Man redete etwa nicht nur über das schlechte Wetter, sondern über die vielerlei Sorgen und Nöte, die in den Jahren kurz nach dem Krieg zu bewältigen waren.  Mutter Semmler kannte die Menschen, die bei ihr einkauften, und sie hatte ein feines Gespür dafür, wo sie als Vermittlerin helfend gebraucht wurde.  Wenn ein junger Mann endlich Arbeit im Kohlenrevier gefunden hatte, aber noch auf Zimmersuche war, dann wusste sie, dass die Witwe Berger ein Zimmer frei hatte und mit der kleinen Rente schlecht zurechtkam.  Zudem war Frau Berger seit dem Tod ihres Mannes auch ziemlich einsam, und so freute diese sich, dass sie den jungen Mann auch noch „bemuttern“ konnte.  So hatte Mutter Semmler beiden helfen können.

Eines Tages kaufte ich im Auftrag meiner Mutter gleich fünf Pfund Mehl, zwei Pfund Zucker und zwölf Eier ein.  „Ihr wollt wohl Kuchen backen“, sagte sie da interessiert, und ich erzählte ihr von meiner bevorstehenden Konfirmation, zu der sie mir dann eine wunderschöne Schale mit Hyazinthen schickte.

Und vorne links, in der Ecke hinter der Schaufenstertrennwand, stand ein urgemütlicher kleiner Lehnstuhl aus Holz, auf dem jedoch ein weiches Sitzkissen lag, welches zum Verweilen geradezu einlud.  Da saß öfter mal eine Kundin, die schon ihren Einkauf in der Tasche neben den Lehnstuhl gestellt hatte, sich aber noch mit Mutter Semmler unterhalten wollte, sobald diese dafür Zeit hatte.  Und Mutter Semmler hatte fast immer Ruhe und Zeit zum Zuhören.  Sie freute sich, wenn es ihr wieder gelungen war, dass ein Mensch getröstet aus ihrem Laden ging.  Als ihre einzige Tochter in der Schule in Lernschwierigkeiten geriet, fand sich auch sehr schnell ein etwas älterer Junge aus der Nachbarschaft, der dem Mädchen gerne Nachhilfeunterricht gab.

Wenn Kinder sich mit einem Groschen in der Hand ein paar Bonbons kaufen konnten, gab sie immer großzügig mehr, wenn sie in das große Bonbonglas griff.  Strahlend schoben die Kleinen mit ihrer Süßigkeit in der kleinen Spitztüte davon.  Bekam jemand aus ihrem Kundenkreis am Sonntag unerwarteten Besuch, und hatte zu Hause vielleicht nicht genügend Lebensmittel vorrätig, was in der Zeit ohne Kühlschrank durchaus vorkam, dann konnte er selbstverständlich bei Mutter Semmler „hinten herum“ an der Haustür klingeln.  Wenn sie da war, öffnete sie immer freundlich und verkaufte schnell noch ein paar Eier und Wurst.

Einmal, als meine Tante zu uns zu Besuch kam, durfte ich bei Mutter Semmler über mehrere Wochen schlafen.  Das hatte sie meiner Mutter angeboten, als diese nicht wusste, wo sie die Tante unterbringen sollte.  Ich fühlte mich in dem schönen hellen Zimmer sehr wohl.  Dort hatte ich sogar ein großes eigenes Bett, und ich bekam abends noch so manche Käseschnitte zusätzlich geschenkt.

Mutter Semmler gab nicht nur notwendige Lebensmittel an die Verbraucher weiter, sondern sie war eine großartige Frau, die Barmherzigkeit übte.  Für mich war sie eine praktizierende Christin, obwohl ich nicht weiß, ob sie überhaupt zur Kirche ging.

Ein treuer Kunde

Seine Wochenendzeitung faltet er langsam zusammen. Und er nimmt die sensationsgefüllte Lektüre enttäuscht in seine Hände und legt sie auf den Stapel, auf dem er alles bedruckte Papier sammelt.  Die letzten warmen Strahlen der Abendsonne genießt der betagte Ruheständler in seinem idyllischen Garten.  Am Zaun angebunden leuchtet die gelbbraune große Sonnenblume, obwohl Wind und Regen der letzten Wochen sie etwas zerzaust haben.  Roter und weißer Phlox verströmt verschwenderisch seinen süßen Duft.  Bedächtig begießt der leidenschaftliche Hobbygärtner alle durstigen Pflanzen.  „Ihr seid ja so ausgetrocknet nach diesem langen Sonnentag.  Wie schade ist es nur, dass ihr mir nicht antworten könnt.  Ich habe heute noch mit keinem Menschen gesprochen.“ 

Auf der alten Holzbank hinter seinem kleinen Häuschen sitzt er in frühere schöne Erlebnisse versunken, bis ein frischer Abendwind ihn wachrüttelt.  „Die rechte Armlehne ist schon länger nicht mehr fest.  Ich werde morgen früh gleich einen Tischler anrufen.“  Mit diesem festen Vorsatz geht er schleppenden Schrittes in sein gemütliches Zuhause.

Am nächsten Morgen greift der Alleinlebende schon vor dem Frühstück zum Telefonhörer.  Die Stimme der jungen Frau im Büro der Tischlerei drückt eine heitere Freundlichkeit aus.  „Ja, Herr Stemmler, wir übernehmen auch gerne kleine Reparaturen.  Wann sind Sie denn anzutreffen? 

Ich kann ihnen heute Nachmittag einen Gesellen schicken, der ihre Bank wieder in Ordnung bringt.“ - „Das ist ja wunderbar, sagen Sie ihrem Tischler, dass ich mich auf ihn freue.“  Während der alte Mann sich sein warmes Mittagessen zubereitet, formuliert seine frohe Erwartung den Satz: „Ich bekomme heute Besuch.“

 

Dem Klingelzeichen folgt der Wartende fast hüpfend.  Der junge  Handwerker begrüßt ihn so: „Herr Stemmler, ich möchte ihre Bank reparieren.  Wo steht denn das gute Stück?“ - „Draußen hinterm Haus in meinem Garten wartet mein liebes altes Gesellenstück auf ihre fachmännischen Hände.“

„Habe ich richtig gehört, Herr Stemmler, dass Sie die Bank selber getischlert haben?“ - „Ja, junger Kollege, die hat schon ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel.  Aber die längste Zeit davon war sie das wertvollste Schmuckstück meiner lieben verstorbenen Frau und hatte in unserem Häuschen einen Ehrenplatz.“ - „Das verstehe ich, Herr Stemmler, nur deshalb hat das stabile Eichenholz auch so lange gehalten.  Ich werde jetzt ganz vorsichtig die gewünschte Reparatur ausführen.“  Mit flinken Handgriffen - und unter den interessierten Augen des alten Mannes - hat der freundliche Geselle die defekte Armlehne schnell wieder mit der wertvollen Bank vereinigt.  „So, Herr Stemmler, die Rechnung bekommen sie dann bald mit der Post zugeschickt.“ -  „Junger Mann, bleiben Sie doch noch wenigstens auf einen Kaffee bei mir.  In meiner Thermoskanne wartet schon der erfrischende Trunk auf uns beide.  Ein kühles Bierchen dürfen Sie ja im Dienst nicht trinken, weil Sie mit dem Auto unterwegs sind.“  Der junge beherzte Tischlergeselle schaut in die Augen des bittenden Mannes.  „Ja, einen Kaffee trinke ich gerne noch mit ihnen.“  Beim Verabschieden drückt der betagte Mann zufrieden dem jungen Kollegen dankend die Hände.  Ein großzügiges Trinkgeld steckt er ihm diskret in die blaue Jackentasche.

Am nächsten Tag schon inspiziert der Einsame alle Möbelstücke in seinem kleinen ockerfarbenen Häus-chen.  In der Diele wird der Suchende zu seiner Freude fündig.  „Diese dunkelbraune schöne Wäschetruhe könnte auch noch eine Reparatur überstehen.  Danach wäre sie gewiss ein kostbares Geschenk für die Kirchengemeinde.  Die engagierten Mitarbeiter könnten dann auf dem Sommerfest bei der Versteigerung einen Liebhaberpreis erzielen.“  Den Auftrag gibt er unter einer Bedingung telefonisch durch: „Hier, Stemmler, ich habe noch eine stabile alte Truhe, die müsste schnell wieder funktionstüchtig gemacht werden.  Bitte schicken sie mir aber auf jeden Fall den freundlichen jungen Gesellen, der mir meine Bank so vorbildlich repariert hat.“ - „Ja, das geht in Ordnung, Herr Stemmler.“

Der begehrte Tischlergeselle steht mit seiner Werkzeugstasche am nächsten Morgen dienstbereit bei seinem Berufskollegen auf der Fußmatte.  „Junger Mann, kommen Sie doch herein, ich habe ein kleines Früh-stück für uns beide vorbereitet.“ - „Solch einen fürsorglichen Empfang bin ich nicht gewohnt, Herr Stemmler.“  In der Küche duftet es nach Kaffee und frischen Brötchen.  „Sie verwöhnen mich wie einen guten Freund.  Aber bei allem Genuss darf ich die Arbeit nicht ganz vergessen.  Die schwere alte Truhe ist ja noch in gutem Zustand.  Ich werde sie mit Verstärkungen stabilisieren.  Dann ist das gute  Möbelstück wieder brauchbar und wird gewiss einen Käufer finden, der dafür gerne tief in die Tasche greift.“

Der Tischler im Ruhestand überlegt in den nächsten Tagen, womit er den jungen Freund erneut zu sich bitten kann.  Auf dem kleinen Dachboden findet er hinter etlichem Gerümpel das schwarzweiß lackierte Schaukelpferd, dem nur ein Griff zum Festhalten fehlt.  Der Auftrag ist schnell telefonisch durchgegeben.  Der vertraute junge Mann fährt erneut zu seinem treuesten Kunden.  „Lieber Herr Stemmler, haben Sie noch eine Arbeit für mich gefunden?  Wissen Sie eigentlich, dass sie jedes Mal Fahrtkosten bezahlen müssen?“ - „Ich weiß, ich weiß das, junger Freund, aber so haben Sie mir an drei Tagen die Sonne der Freude in mein Herz scheinen lassen.“

Kinderstreit

Regen trommelt laut gegen die Fensterscheiben.  Die elfjährige Friederike und ihr  neunjähriger Bruder Tobias teilen sich das gemeinsame Kinderzimmer.  Vormittags haben die Kinder schon in der Schule still sitzen müssen.  Nach dem leckeren Mittagessen hält die Mutter sie gleich dazu an, dass sie zuerst ihre Hausaufgaben erledigen sollen.  Aber die Mutter sieht keinerlei Begeisterung in den Gesichtern ihrer beiden Kinder.  „Spielen könnt ihr doch noch später.  Zuerst die Arbeit und dann das Vergnügen“, sagt die übermäßig pflichtbewusste  Mutter.  Nach dieser Richtschnur leben die Eltern.   

Das Mädchen setzt sich brav an ihren kleinen Schreibtisch.  Es vertieft sich ganz in das Aufsatzthema.  Tobias sieht es nicht ein, dass er immer zuerst die Hausaufgaben machen soll.  Er möchte sich vorher von seiner Lieblingsmusik verwöhnen lassen.  Schnell hat der musikalische Junge sich seine neue CD aufgelegt und wirft sich voller Genuss auf sein Bett.  Zunächst duldet seine große Schwester den Störfaktor.  Doch mit der Zeit kann die Aufsatzschreiberin sich nicht mehr konzentrieren.  Die schönsten Gedanken und Formulierungen rutschen ihr immer wieder aus dem Kopf.  „Tobias, stell’ bitte deine Musik aus, ich kann sonst nicht schreiben.“ - „Dann schenk mir doch Kopfhörer“, lautet seine verständliche Bitte.  Ganz flink steht Friederike auf und sie schaltet den Player aus.  Da schubst der kleine Musikliebhaber seine Schwester ziemlich heftig. Und schon fühlt er einen Schlag am Kopf.  Ein Geschwisterstreit hat begonnen.  Tobias formuliert den Satz: „Für jeden Schlag bekommst du einen wieder.“ Und das Kräftemessen dauert etliche Minuten.  Plötzlich sagt der jüngere Tobias: „Jetzt kriegst du einen Kuss wieder.“  Und er küsst seine irritierte Schwester, die ihn eben noch geschlagen hat.  Friederike antwortet: „Meinst du, ich verliebe mich in dich?“  Damit ist der Streit beendet.

Die Handlungsweise dieses neunjährigen Jungen berührt mich sehr tief.  Ich will und kann immer wieder von Kindern lernen.  Ja ich werde mitten im nächsten Streitgespräch eine liebevolle Zuwendung verschenken.

Freudensprünge

Fast jeden Tag ist der ältere Herr mit seinem Fahrrad unterwegs.  Oftmals treffe ich den ruhigen Naturburschen, wenn er durch das weitläufige Waldgebiet fährt.  Dieser Ruheständler genießt seine Freiheit in vollen Zügen.  Er war niemals verheiratet und ist vielleicht deshalb so verschlossen.  Vielleicht haben diesen Mann Menschen auch zu sehr enttäuscht. 

Aber er ist ein Tierliebhaber und beobachtet von seinem Drahtesel aus, wenn sich ein scheues Reh äsend an einem Waldrand zeigt.  Dann verweilt er, um diesen seltenen Augenblick zu genießen.  Auf einer gemeinsamen Fahrt mit dem Tandem habe ich deutlich gespürt, wie dieser ruhige Mann richtig aufblüht, wenn er die schöne Hündin vor dem Bauerncafé streichelt.  Mit einer Ausdauer haben die Hündin und der Streichelnde, diese gebende und empfangende Zuwendung und Wärme genossen.

Seit ein paar Wochen jedoch vermisse ich die unregelmäßigen lieben Anrufe des Alleinlebenden.  So greife ich eines Abends zum Telefon und frage: „Bist du krank gewesen, lieber Erwin?

Du hast dich so lange nicht bei mir gemeldet.“  Eine hörbar fröhliche Stimme überrascht mich.  Und dann erzählt er mir von seinem täglichen Ausführen einer kleinen fünfjährigen Western-Terrier-Hündin.  In seiner Nachbarschaft entlastet er dadurch die kranke Hundebesitzerin.  Es sprudelt nur so aus dem Begeisterten heraus.  Seine Stimme verrät weiche Zärtlichkeit, mit der er das kleine weiße Wollknäuel verwöhnt.

 

Fürsorglich hat der gut Beobachtende dem Vierbeiner eine neue Leine gekauft, die am Hals nicht mehr einschnürt.  Und morgens, wenn er die schon Wartende zum gemeinsamen Joggen abholt, macht die Hündin Freudensprünge.  Das gefällt Erwin besonders, weil er genau fühlt, dass sein Herz auch vor Freude in seiner Brust hüpft.  Und diese Anhänglichkeit, mit der die „Kleine“ ihn beschenkt.

So bekommt der Junggeselle noch in seinen späten Jahren täglich ein zauberhaftes Begrüßungsküsschen zur Belohnung.  Manchmal vergisst der neue Betreuer leider das „Leckerli“.  Dann springt die kleine Hündin immer wieder an seinem Hosenbein hoch.  Und nur für kurze Zeit kann sie die hingehaltenen leeren Hände ihres Begleiters verstehen.  Sie kann eben die Vergesslichkeit der Menschen nicht einordnen.  „Ja, meine kleine Daika, wenn ich heute wieder in meine Wohnung komme, werde ich mir gleich die süße Verwöhnung auf den Tisch legen, damit ich sie morgen nicht wieder vergessen kann.  Bist du nun zufrieden?“

Ein Engel für Jonathan

Die agile Großmutter freut sich jede Woche ganz besonders auf den Mittwoch.  Dann kommt nämlich der dreijährige Enkelsohn Jonathan regelmäßig zu ihr.  Und das erstgeborene Enkelkind bringt so viel Lebendigkeit, Frohsinn und Überraschungen mit.  An diesem Freudentag ist der stille Junge wieder flink wie ein Wiesel.  Mit dem verbalen Ausdrücken seiner Wünsche ist Jonathan auffällig zurückhaltend, aber körperlich verschafft er sich durch seine Ausflüge seinen Interessen entsprechend reichlich Nahrung.  Im Hause sind seine Aktivitäten noch relativ gut zu beobachten.  Aber sobald die Großmutter mit ihrem Freudenbringer in den schönen großen Garten geht, nutzt der Erlebnishungrige den größeren Auslauf nach Herzenslust nicht nur für ungefährliche Entfaltungsmöglichkeiten.  Denn mit Sandspielereien gibt der Entdeckungsfreudige sich nicht mehr zufrieden.  Seine kindliche natürliche Neugierde treibt ihn schnell bis an das Nachbargelände.  Ob ihn dort eine rote Frucht heranlockt, oder ein singendes Vöglein, wir wissen es nicht?  Während seine Beschützerin fürsorglich frische Möhren für das Mittagessen aus einem bunt gemischten Gemüsebeet erntet, nutzt der schlaue Aufpasser die kurze Zeit des Unbe-obachtetseins und versucht über den hohen trennenden Zaun zum nachbarlichen Grundstück zu gelangen.  Aber der Stacheldraht erfüllt seine Funktion als abweisende Barriere, verhindert somit ein Herüberklettern.  Die Großmutter hält erleichtert den Wagemutigen in ihren bergenden Armen.  Mit dem Stoßseufzer „Gott sei Dank“ auf ihren Lippen, drückt sie dem unverletzten sportlichen Jungen einen Kuss auf sein erhitztes Gesicht.  Im Abendgebet erinnert sie sich an diese kleine Begebenheit, und es ist ihr ein Bedürfnis, Gott zu danken, dass ihr kleiner Enkelsohn von einem Schutzengel behütet wurde.  Wie oft vergessen wir zu danken?

Ein außergewöhnlicher Familientag

Die Mutter will ihre sechsjährige Tochter wecken.  Doch erstaunt stellt sie fest, dass ihre Langschläferin heute ausnahmsweise schon perfekt angezogen ist.  Die kleine Dame schaut nicht ohne Eitelkeit in den Spiegel.  Ja, ihr gefällt die schicke neue Hose mit der dazu passenden Weste in jeansblau besonders gut.  Und ihre Oma hat die weiße Bluse mit den etwas weiteren langen Ärmeln dazu geschenkt.

Die vierköpfige Familie frühstückt an diesem Tag gemeinsam im rustikalen  Esszimmer.  Der Vater hat sich extra noch einen Urlaubstag für die Einschulung seiner Larissa aufgehoben.  Fürsorglich hat die Mutter die Zuckertüten schon in die Diele gelegt.  Denn der kleine Bruder soll nicht leiden, auch er bekommt eine bunte Tüte mit Naschereien, allerdings im Miniformat.  „Larissa, du musst jetzt aber dein Müsli aufessen, sonst kannst du nachher nicht deinen schönen Ranzen tragen“, mahnt die Mutter mit einem Blick auf die Uhr.  Das kleine Herz der Schulanfängerin schlägt vor Freude schneller als sonst, und sie ist mit ihren Gedanken überhaupt nicht beim Frühstücken.

Inzwischen treffen beide Großmütter wie versprochen pünktlich ein.  Ihre  festliche Kleidung verrät, wie wichtig ihnen dieser Tag ist.  Sie herzen ihre beiden Enkelkinder besonders, und die Freude auf dieses besondere Ereignis strahlt aus ihren altmütterlichen lieben Gesichtern.  Beide Omis nehmen die Hauptperson des Tages auf dem Fußweg zur Schule in ihre schützende Mitte.  Die stolzen Eltern folgen mit dem kleinen Bruder in zweiter Reihe.  Oliver ist ungeduldig und darf schon ein Bonbon aus der tröstenden Zuckertüte essen.

Die Schule zeigt sich ebenfalls in einem festlichen Kleid aus bunten Malereien an den Fenstern.  Gebastelte Blumen aus Tonpapier stehen in Vasen und Krügen im großen Allzweckraum auf den Tischen.  Wie viele fleißige Kinderhände haben wohl diesen leuchtenden Schmuck angefertigt?  Der heimelige Raum füllt sich schnell mit Großvätern, Großmüttern, Eltern, Müttern, Vätern, Paten, Geschwistern und vor allem mit gespannten, oder vielleicht auch ängstlichen Erstklässlern.  Vielleicht genießt sogar eine rüstige Urgroßmutter diesen Freudentag ihres Urenkelkindes.  Die Schulleiterin begrüßt mit viel Herzlichkeit alle Anwesenden, und den aufmerksamen Zuhörern bleibt nicht verborgen, dass diese gestandene sympathische Frau ein besonderes Geschick hat, mit Kindern umzugehen.  Mit ihrer Wortwahl erreicht sie die kleinen Mädchen und Jungen, und mit ihrem Humor zaubert sie Lachen in fast jedes Gesicht.  Von den beiden Klassenlehrerinnen werden die Namen der Schulkinder einzeln aufgerufen, und sie werden mit einem „Hallo, und ich freue mich schon auf dich“, in die erste Klasse aufgenommen.  Danach genießt die versammelte Gemeinschaft im bis auf den letzten Platz gefüllten Allzweckraum das wunderschöne Märchen „Die Gänsemagd“ der Gebrüder Grimm, von Kindern der dritten und vierten Klasse, spielerisch gut einstudiert und aufgeführt.  Damit ereichen die jungen Künstler nicht nur die Herzen der Schulanfänger, sondern auch so manche Mutter und Großmutter ist von dem Märchen begeistert.  Stürmischer Applaus ist ein spürbarer Lohn für die Mühe ihres guten Rollenstudiums.

Nachdem die neuen Erstklässler unter Anleitung ihrer freundlichen Lehrerin die frischen Eindrücke von der Gänsemagd mit Hilfe von Buntstiften auf einen großen weißen Bogen Papier gemalt haben, stürmen sie wieder zu ihren wartenden Familien, die sich in der Zwischenzeit an einem leckeren Büffet gestärkt haben.  Aber jetzt kommen die Väter und Mütter endlich zu ihrem Recht.  Mit der Schultüte im Arm und einem Lächeln auf dem Gesicht werden wahrlich einmalige Momente mit dem Fotoapparat festgehalten.  Und die Großmutter, die im Herbst 1944, als der 2. Weltkrieg tobte, eingeschult wurde, erinnert sich noch heute, dass in ihrer Zuckertüte etliche Kümmelkekse den spitzen Teil ausfüllen mussten, weil ihre Mutter nur ein paar Bonbons auftreiben konnte.  Diese Generation schätzt den Frieden in unserer heutigen Zeit, in der sie selber, ihre Kinder und Enkelkinder leben, als das höchste und wertvollste Gut ein.  Zum Abschluss singt noch der Schulchor einige frohe Kinderlieder.

Larissas Vater hat einen Tisch in einem gemütlichen Restaurant vorbestellt, damit die Freude nicht so schnell verebbt.  Besonders für die Frauen, die sonst ja immer für das leibliche Wohl sorgen, ergibt sich dadurch eine lockere Atmosphäre, in der viel Platz für erinnerungsträchtige Gespräche ist.  Das frischgebackene Schulmädchen lässt großzügig alle Familienmitglieder in die volle Schultüte greifen.  Clever meint die Schenkende: „Die Omis bekommen von den Süßigkeiten ja keine schlechten Zähne mehr, die dürfen sich zwei Bonbons  nehmen.“  Alle lachen, ausgenommen der kleine Bruder, der diese Aussage noch nicht verstehen kann.

Später fährt der stolze Vater die Großmütter mit dem Auto heim.  „Lieber Manfred, danke für dieses wunderschöne Familienfest“, so verabschiedet sich seine Schwiegermutter.  Und seine eigene Mutter sagt beim Aussteigen: „Es war ein herrlicher Tag, vielleicht träume ich heute Nacht ja noch von meiner eigenen Einschulung, an die ich mich noch ganz genau erinnern kann.  Es gab so viele Berührungspunkte für mich.  Aber ich finde es trotzdem sehr schade, lieber Manfred, dass wir nicht zum Schulanfängergottesdienst gegangen sind, den eure Gemeinde doch auch anbietet.“

Eine Pfarrfamilie

Diese wahre Geschichte spielt Mitte der dreißiger Jahre in einer kleinen lebendigen Dorfgemeinde in der Pfalz. Es gibt weder Computer, und der junge Pfarrer besitzt auch keine eigene Schreibmaschine.  Er lebt zufrieden mit seiner jungen Frau und den gemeinsamen drei Kindern seit einem Jahr in dieser waldreichen schönen Gegend.  In den Schulferien findet immer ein elternloses Mädchen in dieser munteren Familie liebevolle Aufnahme.  An dem großen runden Tisch in der geräumigen Küche versammeln sich alle zu den gemeinsamen Mahlzeiten.  Und Cordula blüht in den Ferien zwischen den drei Pfarrerskindern auf, so wie eine duftende schöne Rose.  Eine Katze mit einem glänzenden schwarzen Fell gehört ebenso zur Familie.  Manchmal ist das Tier mit den funkelnden grünen Augen Spielgefährte für die Kinder.  Die Mieze genießt mit Inbrunst die Streicheleinheiten der tierliebenden Großfamilie.  Aber sie hat auch anstrengende Aufgaben im und um das Pfarrhaus zu erledigen.  Das fast hundert Jahre alte Fachwerkhaus bietet genug Schlupflöcher und Unterkunft für zahlreiche Mäuse.  Ihre spezielle Schüssel bekommt die unverzichtbare Katze zuverlässig mit Milch gefüllt. Den „Braten“ jagt das Tier sich meistens in der Nacht.

An einem heißen sonnigen Tag in den Sommerferien spielen die vier Kinder mit ihren Bällen im schattigen Obstgarten und auf dem holprigen Hof.  Zwischen zwei stämmigen hoch betagten Eichen ist hinter dem Pfarrhaus eine Schaukel angebracht.  Hoch in die Lüfte sich schwingen, das bereitet allen Kindern Lust und Freude. In diesem weitläufigen schönen Paradies gedeihen die Kinder, die vielen bunten Blumen und die Obstbäume und all die wohlschmeckenden Gartenfrüchte besonders gut.  Der süße Duft von blühendem gelbem Goldlack verströmt und verschenkt sich.  Die Johannisbeeren leuchten verlockend rot und reif an den zahlreichen Sträuchern.  Die Mutter hat ohne Murren schnell acht fleißige Hände mehr zum Pflücken.  Natürlich schmecken den Kindern die saftigen süßen Früchte als Lohn zwischendurch.  Und so verschwindet eine Johannisbeertraube nach der anderen in ihren „Futterluken“. Trotzdem füllen sich die Ernteeimer ziemlich schnell.

Der Pfarrer brütet indessen wie eine Glucke über dem Nest schon seit Stunden an seiner Sonntagspredigt. Die Auslegung des schwierigen Textes will ihm heute nicht wie sonst gelingen.  In seiner Amtsstube öffnet er das kleine niedrige Fenster, damit frischer Sauerstoff hineinfluten kann.  „Eine Verschnaufpause wird mir sicherlich gut tun, mich vielleicht auf einen guten Gedanken bringen“, sagt der Geistliche laut und flüchtet in den sommerlichen Garten.  Ein harmonisches Bild beschenkt seine Augen und Seele.  Seine fleißige Frau, die sich inzwischen zu einer passionierten Gärtnerin entwickelt hat und die vier Kinder sind so emsig mit der Beerenernte beschäftigt, dass sie ihn gar nicht sehen. Seine jüngste Tochter Hiltrud bemerkt ihn zuerst und sie steckt ihrem Papa fürsorglich ein besonders großes rotes Prachtexemplar in den Mund.  „Oh, wie süß und saftig die Früchte schmecken“, und „ich helfe euch gerne ein wenig beim Pflücken.“  Beladen und frohen Mutes geht der Pfarrer später mit zwei vollen Eimern frisch gepflückten Beerenobstes ins Haus zurück.  Die vollen Ernteeimer stellt er in der Küche ab.

Mit neuem Schwung öffnet der Hausherr die Tür zu seinem kleinen, aber gemütlichen Amtszimmer.  Er traut seinen Augen nicht.  Die fast fertige Sonntagspredigt gleicht einem See aus blauer frischer Tinte.  Und auf diesem Kunstwerk sitzt als Krönung die Katze, die ihn unschuldig anschaut.  Daneben steht das völlig leere Tintenfass.  Da platzt dem stets tierlieben Predigtschreiber der Kragen der Geduld und Nachsicht. „Nichts ist mehr lesbar, du dumme Katze hast mir die anstrengende Arbeit von mehreren Stunden zerstört. Und der Holzfußboden ist auch noch bekleckert.  Raus mit dir auf den Hof.“  Die Übeltäterin schleicht auf leisen Pfoten davon.  Zum erneuten Aufschreiben der Predigt reicht die knappe Zeit nicht mehr aus.  Wichtige Amtshandlungen stehen noch auf seinem Terminkalender.

Am Sonntagmorgen betritt der Gemeindepastor sehr frühzeitig mit einem bangen Gefühl der Unsicherheit seine vertraute Kirche.  Fast alle Kirchenbänke sind schon besetzt.  Zu seiner großen Freude stellt er auf der Kanzel fest, dass sein einmal aufgeschriebenes Predigtkonzept in seinem Gedächtnis wunderbar abgespeichert ist.  „Liebe Gemeinde, unsere Katze hat mir einen herben Streich gespielt.  Sie hat auf meine fast fertig geschriebene Predigt ein volles Fass blauer Tinte ausgegossen.  Bitte üben Sie Nachsicht mit mir, denn ich werde jetzt erstmalig frei zu Ihnen predigen.“ Nach dem klangvollen Schlusslied  steht er im Talar an der Kirchentür und verabschiedet jeden einzelnen Gottesdienstbesucher mit einem Händedruck und einem freundlichen Wort für die Woche.  „Herr Pfarrer, heute haben Sie mir ins Gesicht geschaut und so locker und inbrünstig aus Ihrem eigenen Herzen gepredigt, dass ich wunderbar zugehört habe, ich war überhaupt nicht abgelenkt.  Predigen sie bitte immer so.“  Dieses Kompliment macht ihm ein älterer Herr.  Aber auch andere Gemeindemitglieder zollen ihm Lob und Dank.  Eine unübersehbare dankbare Freude leuchtet auf seinem entspannten Gesicht.  Im Pfarrhaus feiert er mit der schwarzen Katze Versöhnung, bedankt sich bei ihr mit ausgiebigem Streicheln über ihr schönes glänzendes Fell.  Und dieses Freudengeschenk strömt aus seinem Herzen, und er teilt es mit seiner verständnisvollen Frau und den vier frohen Kindern.

Unter einem Dach

Fürsorglich wie eine Glucke sitzt das spitze Satteldach auf den stabilen Steinmauern des Einfamilienhauses. Es schützt vor Regen, Sonne, Wind und Kälte.  In dem rostroten Wohnhaus leben drei Generationen dicht beieinander.  Die hoch betagte Großmutter hält sich vormittags gerne in der hellen wohnlichen Küche auf.  Mit ausdauerndem Fleiß hilft sie ihrer zwanzig Jahre jüngeren Tochter bei den umfangreichen Vorbereitungen für das Mittagessen der Großfamilie.  Kartoffeln schälen und Gemüse putzen sind Tätigkeiten, die die alte Dame bequem im Sitzen erledigt.  So spürt sie täglich neu, dass sie noch gebraucht wird.  Und während die beiden Frauen sich angeregt unterhalten, merkt die Ältere manchmal gar nicht, wie schnell sich der Kartoffeltopf füllt.  „Mutter, magst du noch die Äpfel für den Blechkuchen schälen?“, fragt die tüchtige Bäckerin.  „Ja, natürlich selbstverständlich, du weißt doch, wie gerne wir alle deinen saftigen Apfelkuchen essen.“  Charlotte streichelt ihrer Mutter schnell und zart zugleich mit ihrer bemehlten Hand die Wange.  Diese zwischenmenschliche Wärme liebkost die Seelen der beiden Frauen.

 

Mittags bringt die erwachsene blonde Enkeltochter ihre fröhliche Stimmung aus dem Kindergarten als erfrischende Vorspeise zum Mittagessen mit an den runden Familientisch.  Die vitale Großmutter, die schon immer ein großes Herz für Kinder hatte, interessiert sich auch heute noch für die Arbeit der jungen Kindergärtnerin.  Und Anna wird so alle Freuden und auch Nöte los, die die Kinder ihr bereiten.  Der einzige Mann im Hause, der den ganzen Vormittag im Garten gearbeitet hat, setzt sich körperlich erschöpft und sehr hungrig auf seinen Platz.  Still genießt der betagte Familienvater das intensive Gespräch zwischen seiner aufgeschlossenen  Schwiegermutter und seiner jüngsten Tochter.  Bevor sich alle von den dampfenden selbst geernteten Kartoffeln auffüllen, spricht der Hausherr dankbar ein Tischgebet.

Dorothea fährt ihren Kleinwagen in die Garage.  „Für heute mal wieder geschafft“, mit diesem Seufzer der Erleichterung auf den jungen Lippen, kuschelt sich die ältere Tochter in die behagliche Atmosphäre ihrer Großfamilie.  Die engagierte Altenpflegerin lässt alles, was sie im harten Schichtdienst beschwert, von sich abfallen.  Die Eltern und auch die Großmutter haben wunderbar zuhörende Ohren.  Nur wenn Dorothea ausreichend abladen darf, kann sie am nächsten Tag wieder fröhlich in ihren schweren Dienst fahren.  Die junge Frau wird nämlich auch immer wieder mit dem Tod alter Menschen konfrontiert, die sie oftmals über Monate  oder sogar über Jahre hinweg gepflegt hat.  Auch dabei hilft ihr ihre verständnisvolle Familie, die nach dem christlichen Leitsatz lebt: „Einer trage des anderen Last.“  

Obwohl die kleine zarte Großmutter zwei gemütliche Zimmer für sich alleine hat, benutzt sie eigentlich nur das eine zum Schlafen.  Viel lieber sitzt sie auch abends noch mit dem Strickzeug beschäftigt, so mitten in dem behaglichen großen Wohnzimmer, das der Treffpunkt aller Familienmitglieder ist.  „Großmutter, kann ich mit deiner Hilfe rechnen, wenn ich für unser Fest im Kindergarten so viel Tischschmuck zu basteln habe?“  Diese gezielte Frage kommt von der jüngsten Enkeltochter ganz spontan.  Bevor die emsige Strickerin antworten kann, präsentiert Mutter Charlotte einen Vorschlag.  Wir können doch alle zusammen einen Abend mit Anna basteln?“  Sogar Vater Christof stimmt dafür.  Eine Woche später schneiden zehn fleißige Hände  buntes Tonpapier, kleben Blumen und Schmetterlinge auf Tischkarten, und Anna erzählt kleine frohe Geschichten aus ihrem Arbeitsalltag im Kindergarten.  Unter der schönen alten Tischlampe wird an diesem Abend besonders viel gelacht.  Vier Frauenstimmen werden von einer kräftigen Männerstimme beim Abendliedersingen unterstützt.  So lassen sie den Tag gemeinsam harmonisch ausklingen. 

Vater Christoph wird von einer Bekannten nach dem Geheimnis seiner heilen Familie gefragt.  „Christoph, wie kommt es, dass ihr so friedlich miteinander unter einem Dach lebt?  Ihr seid doch immerhin fünf erwachsene Menschen aus drei verschiedenen Generationen.“  Der lebenserfahrene Mann mit den gütigen Augen,  denkt ein wenig nach und antwortet dann ruhig und offen.  „Doch es gibt auch bei uns immer wieder mal Meinungsverschiedenheiten, es fällt auch mal ein hartes Wort, es kommt auch vor, dass eine Tür heftig zugeschlagen wird, und die Töchter lassen manchmal der Großmutter gegenüber Aggressionen ab.  Aber wir vertragen uns schnell wieder, wir entschuldigen uns auch, wenn wir merken, dass wir dem anderen wehgetan haben.  Wir nehmen meistens auch aufeinander Rücksicht.  Trotzdem werden auch wir aneinander schuldig.  Doch ich glaube, dass wir drei Älteren jeden neuen Tag mit der Tageslosung beginnen, das wirkt sich segensreich für uns alle aus.  Wir sitzen gemeinsam im Haus unseres Glaubens, das uns schützt wie ein gutes Dach, welches uns trägt auf einem starken verlässlichen Fundament.“

Die Kette mit dem Pinguin

Die achtjährige Kathrin war mit ihren Eltern für vier Wochen in einem südlichen sonnigen Ausland.  Das  intensive fröhliche Miteinander mit Vater und Mutter hat die bewegungsfreudige Tochter auf den Wanderungen besonders genossen.  So viel Zeit haben ihre Eltern sonst nicht für ihr selbständiges Mädchen.  Nach den großen Sommerferien läuft die jetzt Drittklässlerin wieder wissbegierig zur Schule.

 

Aber in der ersten Schulwoche fehlt Kathrin der Kontakt zu einem besonders lieben Mitschüler.  Durch die Klassenlehrerin erfährt das enttäuschte Mädchen, dass Paul krank ist und seine Mutter ihn entschuldigt hat.  Nach ein paar Tagen des Abwartens greift die Sehnsüchtige eines Nachmittags selber mutig zum Telefon.  Und sie hat Glück.  Paul meldet sich am Apparat.  „Wie geht es dir, Paul, und wann kommst du wieder zur Schule?  Ohne dich ist es ziemlich langweilig für mich, besonders in den Pausen“, sagt die kleine Freundin mit fester Stimme.  Der Junge spürt, wie die Freude über diesen lieben Anruf in sein Herz hüpft.  „Kathrin, vielleicht dauert es leider doch noch etwas, bis ich wieder gesund bin.“ - „Ich wünsch' dir gute Besserung, und komm bald wieder“, sagt die Enttäuschte und legt den Hörer wieder auf.

Pauls Mutter ist total überrascht, als sie ihren bis vorhin noch kranken Jungen, jetzt schon völlig angezogen bei ihrer Heimkehr vom Einkauf in seinem Zimmer vorfindet.  „Mutti, ich hab doch kein Fieber mehr, kann ich nicht morgen wieder zur Schule gehen?“  Mit diesen Worten begrüßt der noch leicht Hustende seine erstaunte Mutter.  „Paul, wir wollen aber erst heute gegen Abend noch mal zur Sicherheit bei dir die Temperatur messen.“ - „Mutti, Kathrin hat mich angerufen und ihr ist es ohne mich so langweilig in den Pausen.“  Voller Verständnis streichelt die Mutter dem plötzlich Gesunden über seinen blonden dichten Haarschopf.  „Mein großer Junge, dann kannst du wahrscheinlich auch schon morgen Kathrin wieder begrüßen.“ 

Abends in der Badewanne sagt das Mädchen spontan zu seiner Mutter: „Vielleicht kommt Paul erst in ein paar Tagen wieder zur Schule, er ist noch krank.“  Die einfühlsame  Mutter sieht und spürt die Traurigkeit, die ihre Tochter ausstrahlt.  Abends kommt dann noch die frohe telefonische Mitteilung von Paul, dass er am nächsten Morgen schon eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn auf dem Schulhof sein wird.  Beide Kinder schlafen mit dieser Aussicht auf den kommenden Tag glücklich ein. Auch Kathrin steht zu diesem ersehnten Wiedersehen nach fast sieben Wochen der Trennung gerne früher auf.  So haben die längst miteinander vertrauten Klassenkameraden noch Zeit, sich ihre Erlebnisse aus den Ferien zu erzählen.  Und sie schütten sich ihr Herz aus. Sie  haben leider keine Geschwister und sie brauchen diese schöne Kameradschaft umso mehr.

Nach dem heutigen Unterricht warten sie beide darauf, dass ihre Mitschüler den Schulhof verlassen.  Dann sind sie endlich ohne Zuschauer.  Der sensible Paul hält in seinen Händen ein hübsch verpacktes Etwas.  Ganz zart sagt er zu seiner Freundin: „Kathrin, dies habe ich für dich aus dem Urlaub mitgebracht.“  Gespannt reißt das Mädchen das Papier auf.  Und siehe da, eine kleine Halskette mit einem Pinguin-Anhänger lässt das Herz des Mädchens schneller schlagen.  Die Freude gebiert die erste  Umarmung.  „Danke Paul, so lieb hast du an mich gedacht.  Und der Pinguin ist wunderschön.  Du hast nicht vergessen, dass ich dieses Tier besonders leiden mag.“

© Monica Maria Mieck

Nicht für das Fundbüro geeignet

In einer Zweimillionenstadt werden tagtäglich unzählige Menschen in den Bahnwaggons des Verkehrsverbundes von einem Stadtteil in den anderen befördert.  Grußlos betreten überwiegend einzelne Personen den Wagen und lassen sich auf einem freien Sitzplatz nieder.  Man sitzt oft eng auf Tuchfühlung nebeneinander und bleibt doch anonym.  Viele der Fahrgäste verschanzen sich hinter ihrer Zeitungslektüre und nehmen so den Nächsten überhaupt nicht wahr.  Vor ein paar Tagen aber war ein blumiger Anlass für eine Frau ein Grund zu einem Gespräch.  Und das gestaltete sich so:

In einem U-Bahnwagen saßen ein Mann und zwei Frauen.  Als der Mann aussteigen wollte, lag auf der Bank neben seinem Sitzplatz unverkennbar ein eingepackter Blumenstrauß.  Die eine der beiden Frauen war sehr aufmerksam, und sie rief noch hinter dem Aussteigenden her: „Sie haben ihre Blumen liegengelassen!“   Und sie bekam zur Antwort: „Nein, das sind nicht meine Blumen, die lagen da schon auf der Bank, als ich eingestiegen bin.“  Der Zug setzte pünktlich seine Fahrt fort.  Jetzt saßen nur noch die beiden Frauen im Wagen.  In Gedanken versunken, so schien es  jedenfalls, schaute die junge Blondine mit auffallend langen Haaren während der Fahrt aus dem Fenster.  Schräg gegenüber saß die Frau im besten Mittelalter mit fast schwarzen kurzen Locken und einem freundlichen Gesicht.  Unvermittelt schauten sie sich dann aber spontan an.  „Also, wenn der schöne Blumenstrauß von jemandem vergessen wurde und nun in den nächsten Stunden ohne Wasser gewiss bald vertrocknet sein wird, schlage ich doch vor, dass Sie den Strauß in Ihre Obhut nehmen, denn ich bin noch länger unterwegs und für das Fundbüro sind die schönen Blumen nicht geeignet“,  sagte die wachsame Frau im mittleren Alter zu ihrem Gegenüber.  Doch im Gesicht der Angesprochenen spiegelten sich ein Verlegensein und eine spürbare Unentschlossenheit.  „Einen Blumenstrauß, den ich nicht käuflich erworben oder geschenkt bekommen habe, möchte ich nicht an mich nehmen“, sagte die junge Frau dann ganz offen und ehrlich.  Doch spontan hatte die Frau mit den wachen Sinnen der Mitfahrenden einen gut überlegten Vorschlag zu machen.  „Wie wäre es, wenn sie den Blumenstrauß jemandem schenken würden, vielleicht Ihrer Mutter?“  Mit einem Leuchten in ihrem Gesicht antwortete darauf die junge Frau: „Ja, das ist eine prima Idee, denn ich habe meine Mutter schon so lange nicht mehr besucht.“  Und bei der nächsten Bahnstation steigt eine erwachsene Tochter aus und winkt der Weiterfahrenden fröhlich mit dem verpackten Blumenstrauß zu, als wär’s ein Dank an sie.

Sein neues Amt

Langsam steigt er von seinem Fahrrad und lüftet die grüne Schirmmütze, bevor er das versteckt gelegene kleine Restaurant betritt, das von stattlichen hoch betagten Lebensbäumen und zahlreichen Kiefern beschützt wird.  Seit seiner Pensionierung kehrt der freundliche Herr zu Kaffee und Kuchen fast jeden Tag in diesen Familienbetrieb ein.  Diesen kleinen Luxus leistet sich der ehemalige Beamte nicht nur des selbstgebackenen Kuchens und des guten Kaffees wegen.  Der groß gewachsene Ruheständler bringt stets so viel Fröhlichkeit mit an den so genannten Stammtisch, an dem weder Karten gespielt, noch Bier getrunken wird.  Dort ist der Treffpunkt für Alleinlebende, für Einsame und Kontaktsuchende.  Die Menschen, die sich um den schönen Holztisch im alten Forsthaus versammeln, haben in dieser Gemeinschaft die Möglichkeit, dass sie ein Urbedürfnis eines jeden Menschen, nämlich das sich Mitteilen dürfen, hier stillen können.  Sie sitzen auf der stoffbezogenen rustikalen Bank dicht beieinander.  In ihren Wohnungen müssen sie schon genug mit dem Alleinsein leben.  Und sie sind so treu und zuverlässig, dass man fast die Uhr nach ihrem Eintreffen stellen könnte.  Die Pünktlichkeit ist vielleicht  eine noch nicht erloschene auferlegte Eigenschaft aus den aktiven Berufsjahren.  Mehr vermute ich jedoch, dass ihnen das Zusammensein so wichtig ist.

Wenn die junge Wirtin die Kerze auf dem Tisch angezündet hat, bekommen die Augen im warmen Licht einen leichten Glanz.  Es wird erzählt, gefragt, gelacht, und immer darf jeder ausreden.  Man geht diszipliniert und rücksichtsvoll, ja kameradschaftlich miteinander um.  Eine warme Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens macht es möglich, dass auch über die Untersuchungsergebnisse der letzten Arztbesuche und über Erkrankungen gesprochen wird.  Die Gleichgültigkeit hat auf dieser Bank keine Chance, hier ist kein Platz für sie.  Und wenn einer aus der vertrauten Runde mal an einem Nachmittag fehlt, ruft abends ein Besorgter gleich bei ihm an.  Im Krankheitsfall wird ganz selbstverständlich Hilfe geleistet.

Oft jedoch klingelt zusätzlich bei dem Ältesten aus dieser Runde zu verschiedenen Tageszeiten das Sorgentelefon.  Wie wohltuend ist es für die Anrufer, dass sie stets mit zuhörenden Ohren und menschlicher Wärme beschenkt werden.  Wenn der väterliche Freund zu Hause ist, meldet er sich immer, und die Hilfesuchenden haben das gute Gefühl, dass sie im Moment für ihn das Wichtigste sind.  Viel, sehr viel Zeit verschenkt der lebenserfahrene Mann ganz selbstverständlich an etliche Mitmenschen.  Seine Ausgeglichenheit und seine Güte wirken bei den langen und auch kurzen Telefonaten so, als würde dem Leidgeprüften lindernde Salbe auf seine wunde Seele gelegt.  Mit seiner ruhigen Stimme macht der Einfühlsame immer wieder Mut zu den kleinen Schritten, zur praktischen Lebensbewältigung im Alltag.  Die Ratsuchenden spüren viel Verständnis, und niemals müssen sie eine Verurteilung verkraften.  Es ist kein Geheimnis, dass ihr Vertrauensmann die Kraft für seine lebenserfüllende Aufgabe sich im täglichen Gebet von unserem Gottvater schenken lässt.  Und sein Schlüsselwort heißt Nächstenliebe.  Dieser praktizierende  Christ lebt bewusst nach dem brüderlichen Rat Albert Schweizers, sich ein Nebenamt zu verschaffen, das die Tage auch nach der Pensionierung sinnvoll ausfüllt.

Kleine Residenz

Das würfelförmige weiße Haus schmiegt sich unauffällig in die Reihe der vielen Giebelhäuser, die bei genauem Hinschauen einträchtig vereint wie eine Geschwisterschar auf mich wirkt.  Einer stützt in Sturmzeiten den anderen, hilft selbstverständlich und ungefragt beim Ausbessern des Daches mit.  Im Schutze der Hauswand klettert ein üppiger roter Rosenstock mit viel Blühkraft, so als wolle er noch in diesem Sommer die Regenrinne küssen.  Die schmale Straße, die die Häuser und den Boot tragenden Fluss trennt, schlummert in der warmen Mittagssonne.  Auch die Geschäftsleute genießen ihre wohlverdiente Pause.

 

Ein schlankes braunes Boot liegt artig angebunden am grünen Ufer. Davor zwischen blau blühenden Lupinen erspähe ich an einem Gartentisch eine malende Frau.  Sie scheint ganz in ihr Spiel mit den bunten Farben eingetaucht zu sein.  Doch dann läuft ein winziger weißer Hund auf mich zu, schnuppert an meinen Schuhen und Hosenbeinen, und er akzeptiert mich.  In diesem Moment treffen sich die Offenheit und Freundlichkeit zweier Frauen.  „Darf ich mal schauen, was Sie da malen?“ - „Ja, gerne, kommen Sie doch zu mir und setzen Sie sich in den Strandkorb.“  Unsere Hände berühren sich, aber noch intensiver begegnen sich unsere wachen Augen.  Wir sind beide fast gleichaltrig, haben erwachsene Kinder und immer noch viele kreative Einfälle.  Gemeinsame Interessen weben schnell eine warme Verbindung.  Ich verweile gerne in der Nähe dieser Frau.  Ja, ich fühle, dass wir uns besonders gut verstehen.  Die Sonne hat schnell die bunten Farben auf dem Aquarellpapier getrocknet.  Der Pinsel hält Ruhepause. Die Besitzerin der „Kleinen Residenz“ zeigt mir, nicht ganz ohne Stolz, die romantischen Puppenstuben im Inneren des Hauses. 

 

Gemütlich eingerichtete Zimmer mit zartem Flair, denen man ansieht, dass man sich hier  rundum wohl fühlen kann.  An den frisch gestrichenen weißen Wänden kann ich den Fleiß und die Phantasie der Hobbymalerin wieder finden.  Getrocknete Rosen breiten in Körben ihren verführerischen Duft aus.  Das ganze Häuschen lädt zum Verwöhnen ein.

Mit einer kostbaren Weißweinflasche und zwei Gläsern begeben wir uns wieder in die Fülle des duftenden Sommers hinein, zwischen hohe Gräser, blaue Lupinen und stolze Margeriten.  Und wir beiden Frauen kommen uns sehr nahe.

„Ich habe mir die „Kleine Residenz“ zu meinem 60. Geburtstag selber geschenkt, damit ich nicht als Witwe so einsam bin.“  Elf Jahre harte Arbeit als Designerin hat sie schon als allein lebende Frau hinter sich, und von diesem Lohn hat sie sich nun diesen Wunsch für die nächste Phase ihres Lebens erfüllt. 

 

Eine erfüllende Aufgabe gegen das Alleinsein!  Dass aus diesen warmen braunen Augen heute Morgen noch Tränen auf das weiße Kopfkissen gefallen sind, kann ich trotzdem verstehen.  Danach hat diese mütterliche Frau sich aber mit viel Elan an das Verwöhnungsfrühstück für ihre Gäste gemacht.  Diese schöne Verpflichtung  hat sie aus ihrem Bett gelockt.  Die Inhaberin dieser außergewöhnlichen Pension hat vor allem noch Zeit für Gespräche, wenn ihre Gäste sie wünschen.  Wo die Liebe und das Mitgefühl residieren, sind die Räume warm und bunt.  Mit fällt es schwer, mich von dieser beherzten Frau zu verabschieden.  Lange schenken wir uns körperliche Berührungen, ehe ich winkend und nachdenklich in die schmale Straße stolpere.

 

 

Heimweh

Nach einem für mich gut verträglichen Flug von 4.000 Kilometern landet die Maschine erstaunlich sanft auf dem Rollfeld.  Ein vereintes unüberhörbares Dankeschön bekommt der versierte Pilot von allen Fluggästen mit einem Applaus.  Nachdem ich den Flughafen neugierig verlasse, blendet mich mitten im Januar die nicht gewohnte starke Sonneneinstrahlung.  Sommerliche Temperaturen locken die vielen Touristen auf die spanische Insel Gran Canaria.  So weit habe ich mich bisher noch nicht von Deutschland fort gewagt. 

Meine Augen trinken im Januar den Anblick der bezaubernden, in allen Rottönen blühenden, Bougainvilla-Blüten, die auf zahlreichen Klettersträuchern dicht beieinander sitzen.  Auf der Autofahrt ins Hotel begrüßen mich am Straßenrand junge und betagte Palmen in ihrem schönen grünen Fächergewand. 

 

Ein Hotel soll in den kommenden Wochen meine Bleibe sein.  Die kahlen fast schmucklosen Wände in dem gemieteten Appartement lassen gleich meine selbst gestalteten farbenfrohen Batikwandbehänge sehnsüchtig vor meinem inneren Auge aufleuchten.  Vor allem mein eigenes Bett, in dem ich mich so geborgen und wohl fühle, entbehre ich schon nach der ersten Nacht.  Und die harten Holzstühle ohne jegliche Kissenverwöhnung, lassen mich an meine bequemen gepolsterten Sitzmöbel in der Heimat denken.  Und zu allem Übel schmeckt der Beuteltee leider nach Chlor.  Außerdem funktioniert die Dusche im Bad nicht einwandfrei.  In der Küche suche ich vergeblich nach einem Küchenmesser, um mir eine Apfelsine zu schälen.  Mit einem tiefen Seufzer, dass ich daheim alles so schön praktisch und griffbereit und auch gemütlich habe, setze ich mich abends auf den harten weißen Küchenstuhl, an den runden Plastiktisch, unter die einzige Lampe, die mir ein Lesen in meinem spannenden Buch ermöglicht.

Weil es für mich in der Mittagssonne draußen zu heiß ist, lese ich im kühlen Hotel meine mitgebrachte Lektüre emsig weiter.  Aber mein Lesestoff ist bald verbraucht.  Zum Glück rettet mich mein Büchlein mit den Tageslosungen, das ich dann bis Mitte des Jahres im Voraus in vollen Zügen nachdenklich und intensiv studiere.  Eine segensreiche Beschäftigung tut sich da für mich auf.  Welch ein Geschenk! 

Nach einer Woche Aufenthalt besteige ich wieder das Flugzeug, das mich und mein Heimweh nach Hause fliegt.  Ich denke, dass ich gut kuriert bin.  Lieber bleibe ich in der Heimat, auch im kalten Winter.  Hier kann ich den Raureif auf den kahlen Zweigen bewundern und die hungrige Meise beim Körnerpicken beobachten.  Plötzlich laufen meine Gedanken ganz weit zurück in meine Kindheit, in der ich beim Rodeln im glitzernden Schnee so viel Freude empfunden habe. -  Heute jedoch lugt die Wintersonne zwischen den Wolken hervor.  Damit will der unverzichtbare Himmelskörper uns sagen, dass er uns mit seinen wärmenden Strahlen im Frühling wieder großzügig bescheinen wird.  Die Vorfreude auf den gewiss kommenden Frühling: Mit seinen frohen Farben, vielfältigen Schönheiten, den ersten Veilchen, die meine Augen küssen, dem bezaubernden Singen der Vögel, dem Grünen und Wachsen von Tag zu Tag, liegt er jetzt schon hoffnungsvoll in meinem Herzen.  Von Kindesbeinen an bin ich an ihn gewöhnt, und ich lebe sehr gerne in dem vorgegebenen natürlichen Rhythmus der sich abwechselnden Jahreszeiten.  Frühling, Sommer, Herbst und Winter, sie haben alle vier ihren eigenen unverwechselbaren prachtvollen  Charakter.  Ja, ich würde die bunte Herbstlaubfärbung besonders schmerzlich vermissen.  Die milde Wärme in der dritten Jahreszeit bekommt meinem alternden Körper so gut.  Das Rascheln des trockenen Laubes unter meinen Wanderschritten ist eine altjunge Musik, die mich wärmend an meine Kindheit erinnert.

© Monica Maria Mieck

Ich habe ihn sehr vermisst

Der türkische Kleinbauer bemüht sich mit viel Fleiß und nach Kräften, die zehnköpfige Familie durch die Erträge, die das Land und das Vieh erbringen zu ernähren.  Seine acht Kinder sind im Wachstumsalter und brauchen nicht nur Brot, sondern auch Schuhe und Bücher.  Doch die Ernte fällt manchmal sehr spärlich aus, und so leben sie von der Hand in den Mund.  Sorgenvoll sitzen die Eltern abends nach der Tagesarbeit zusammen, und sie überlegen, wie es weiter gehen soll.  Schweren Herzens entschließt sich der Familienvater, nach Deutschland zu gehen, in das Land, das noch Gastarbeiter sucht.

 In einer Baumschule sind seine kräftigen fleißigen Hände sehr willkommen.  Viele Überstunden macht der stille Mann mit den wehmütigen großen brauen Augen.  Oftmals sehnt er sich nach seiner Frau und seinen Kindern und auch nach der vertrauten Heimat.  Bei dem Baumschulenbesitzer hat er eine preiswerte gute Unterkunft gefunden.  So schickt er jeden Monat pünktlich den größten Teil seines Verdienstes in die Heimat.  Die gestandene Familienmutter kann endlich ihren Söhnen und Töchtern dringend benötigte Schuhe kaufen.  Äußerlich geht es der Großfamilie endlich besser.  Aber das ganze Jahr über wächst die Sehnsucht nach dem Vater, der nur zu einem recht kurzen Urlaub bei seiner Familie sein kann.

Das Getrenntleben hat erst nach 18 Jahren ein Ende, als Frau und Kinder nach Deutschland dürfen.  Hier lernen die Kinder in einer speziellen Ausländerklasse alle schnell und gut die fremde Sprache.  Der Vater findet in einem Krankenhaus einen Arbeitsplatz als Betriebshelfer.  So ist er mit zunehmendem Alter nicht ständig Wind, Kälte und Regen ausgesetzt.

In meiner Nachbarschaft hat ein junger freundlicher Türke eine günstig gelegene Änderungsschneiderei eröffnet.  Mit einem seiner Brüder schafft er es, alle anfallenden Änderungswünsche seiner inzwischen großen Kundschaft zu erfüllen.  Der Laden läuft gut.  Auch ich bringe gerne Teile meiner Garderobe zu diesen beiden gelernten Schneidern.  Und ich freue mich, wenn nach der Bezahlung auch noch ein wenig Zeit für ein Gespräch übrig ist.  Mich interessieren die Gedanken dieser Menschen, die ihren Urlaub jedes Jahr in ihrem Herkunftsland verleben.  So erfahre ich auch diese Geschichte seines Vaters, die der junge türkische Familienvater mir anvertraut hat.  Er beschenkt mich mit seiner Offenheit, und ich danke ihm für sein Vertrauen.

„Am letzten Sonntag habe ich Sie mit ihrer hübschen Tochter und ihrem kleinen Sohn auf Fahrrädern gesehen“, sage ich beim Eintritt in seinen gepflegten Laden.  Er lacht, und seine dunkelbraunen großen Augen strahlen.  „Ich finde es gut, dass Sie sich in Ihrer knappen Freizeit um Ihre Kinder kümmern.“ - „Ja, das will ich auch sehr gerne, weil ich meinen schon verstorbenen Vater immer so sehr vermisst habe.  Da fehlte mir einfach immer etwas.  Wenn ich mal in der Schneiderei zu viel Arbeit habe und den Sonntag dafür opfern muss, merke ich das gleich am Verhalten meiner Kinder, die nicht gerne auf ihren Papa verzichten wollen.  Ich will jetzt wenigstens versuchen, dass meine Kinder neben der Mutterliebe auch den Vater erfahren können.“  Ich freue mich über diese wertvolle Einstellung dieses jungen Familienvaters.  Ein paar Tage später sehe ich, wie der schlanke junge Schneider seine Vaterrolle so richtig auf dem großen Waldspielplatz genießt.  Das Töchterchen Asya rutscht schon mutig alleine die lange Rutschbahn mit Genuss herunter.  Den jüngeren Sohn Mertol nimmt der Vater noch schützend auf seinen Schoß, damit er sich angstfrei an das Gerät gewöhnen kann.  Welch unbezahlbares Geschenk ist es für diese Kinder, dass ihr Vater sie so liebevoll wahrnimmt und betreut.

© Monica Maria Mieck

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Kontakt: maritimbuch (at) googlemail.com

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Elfriedenhof

Die in ockergelb frisch angestrichenen Altbauten wurden im Jahre 1907 erbaut.  Sie stehen Wand an Wand aneinandergereiht, geben sich Halt wie unzertrennliche Geschwister fürs ganze Leben. 

 

So gut sie es vermögen, schützen sie mit ihren dicken Mauern die Bewohner vor dem fast unerträglichen belastenden Verkehrslärm.  Tagsüber öffnen die Bewohner nur ungern ihre Fenster an der Vorderfront.  In diesen alten Häusern gibt es noch immer keine Zentralheizung.  Kurz bevor der Winter seinen Einzug hält, sehe ich nämlich ein mir alt vertrautes Bild: Ein Mann trägt auf seinem Rücken säckeweise Kohlen und Briketts in die Keller der Häuser und er schützt seinen Kopf mit einer schwarzen Kapuze.  Wenn es dann wirklich kalt geworden ist, rieche ich, dass in unserer Nachbarschaft mit Briketts geheizt wird.  Überwiegend junge und auch alte Menschen haben hier ihre Bleibe gefunden.  Die Mieten sollen nicht so hoch sein.

Zur Hofseite ist jede Wohnung mit einem schönen Balkon ausgestattet, der ringsherum durch ein Gitter abgesichert ist.  Durch diese vielen Gitterstäbe schaut lustig, neugierig und sonnenhungrig ein Reichtum von bunten  Blumen hindurch.  Rote Geranien wetteifern mit Studentenblumen, Petunien und gelben Begonien.  Hoch oben im vierten Stockwerk versucht sogar eine große Sonnenblume sich in das Stückchen Himmel zu recken, das dem großen Innenhof eine zuverlässige Lichtquelle gewährleistet.  Aber auch Fächerpalmen und sogar Tomatenpflanzen zeugen von einer ganz individuellen Note der Balkonbesitzer.  Außerhalb einiger Balkone hängt, ganz geschickt angebracht, auf einem selbst gebastelten Wäschetrockner für draußen, manchmal auch Wäsche.  Und wenn die bunten Wäschestücke im Wind flattern, geben sie dem Hof zusätzlich einen sehr lebendigen Ausdruck.  Auf einem dieser eigenen Aussichtstürme dreht sich je nach Windstärke eine kleine Windmühle.  Aus dieser Wohnung höre ich auch manchmal eine Kinderstimme.  Unter dem Hochparterre befinden sich mehrere große Garagen.  In einer Ecke des Innenhofes stehen die grünen Behälter, die den Hausmüll schlucken.  Ein Bewohner hat mit künstlerischem Fingerspitzengefühl wirklich phantasievoll die grünen Riesen bemalt.  Der Boden des recht großen Hofes ist asphaltiert, und es sieht dort trist grauschwarz aus.

Eines Tages steht eine ältere Mitbewohnerin mal wieder auf ihrem Balkon, an dessen Gitterstäben zartfarbene Wicken blühen, als hätten Schmetterlinge sich auf ihrem Balkon niedergelassen.  Von einem energischen Kopfschütteln unterstützt, sagt die allein lebende rüstige Rentnerin laut in die stille Mittagszeit hinein: „Unser Innenhof sieht ja wirklich traurig und beschämend aus.  Aber keiner der Mieter fühlt sich für dieses Stiefkind verantwortlich.  Bei allen hört die Pflege an der Wohnungstüre auf.  Zeit und auch Kraft hätten die jungen Leute ganz bestimmt für ein wenig Gartenarbeit.  Ich beobachte sie öfter, wenn sie auf ihrem Balkon sitzen und sich sonnen.  Aber ich will nicht immer wieder sagen, die anderen könnten es ja eher machen, die haben noch jugendliche Kräfte.“  Zuerst sucht Elfriede Bromberg in ihrem Keller nach längst ausrangierten Tontöpfen, die sie in vielen verschiedenen Größen vorfindet.  „Manchmal zahlt sich das Aufheben eben doch aus“, sagt die vom Arbeitseifer Gepackte.  Ganz hinten in einem dunklen Winkel stehen auch noch zwei alte Bierfässer und ein riesengroßer Kübel.  „Wie gut, dass ich hier so lange nicht entrümpelt habe.“

Am nächsten Morgen stehen dann schon alle Gefäße, die sich mit viel Phantasie irgendwie zum Bepflanzen eignen, in aufnahmebereiter Erwartungshaltung auf dem sonnigen Hof.  „Ein paar Mark für anständige Blumenerde will ich gerne als meinen persönlichen Beitrag zu einem freundlicheren Innenhof spendieren“, sagt die weißhaarige Tatkräftige in die Stille dieses Frühsommermorgens hinein.  „Nur schleppen kann ich solchen schweren Sack Erde nicht mehr.“  Die freundlich Couragierte klingelt ganz einfach bei ihrem nächsten Nachbarn, dem jungen Studenten, dem sie schon öfter mal ein Stück von ihrem selbstgebackenen Kuchen herübergebracht hat.  Markus erscheint ziemlich verschlafen an seiner Wohnungstür.  „Bitte, Frau Bromberg kommen Sie ruhig zu mir herein, auch wenn ich im Moment nicht alleine bin.  Dass ich nicht wie der Papst lebe, haben Sie gewiss schon bemerkt, weil Ihnen ja wohl kaum etwas verborgen bleibt, was in diesen Häusern vor sich geht.“  Eine junge Frau sitzt im Morgenrock am Küchentisch und frühstückt.  Die beiden jungen Leute bieten der mütterlichen Nachbarin eine Tasse Kaffee an.  „Aber, liebe Frau Bromberg, was treibt sie denn so früh zu mir?“ - „Kinder, wer ist denn mal so lieb, und holt für mich einen großen Sack Blumenerde für unseren Innenhof, den ich etwas verschönern will?  Markus, könnten Sie nicht mit Ihrem Fahrrad den Sack transportieren?“ - „Klar, wird gemacht, Mutter Bromberg“, sagt der Student verbindlich und locker zu seiner einfallsreichen Nachbarin.

Auf dem nahe gelegenen Wochenmarkt kauft die Wildentschlossene ein paar fleißige Lieschen und Fuchsien, die sie per Einkaufsroller nach Hause zieht.  Elfriede Bromberg kann es kaum erwarten, dass Markus endlich mit der notwendigen Lebensgrundlage für die Blumen auftaucht.  Aber er hat heute wohl länger Vorlesung als an den anderen Wochentagen.  Inzwischen trennt die Blumenliebhaberin sich von einigen Efeuranken und einem Oleander, die auf ihrem Balkon bisher ihren Standort hatten.  „In der dunklen Ecke, ganz dicht an der hohen Mauer, des Innenhofes werde ich die vielen Efeupflanzen platzieren, da können sie endlich ihre Kletterkünste unter Beweis stellen und sich nach allen Richtungen ausbreiten.  Endlich quietscht eine Fahrradbremse dicht vor der neuen Hofgestalterin.  „Markus, mein Junge, sei so gut, und hilf mir gleich, die Erde in die großen Gefäße zu füllen.“ - „Das ist kein Problem, Frau Gärtnerin.  Und wenn Sie später noch meine Hilfe brauchen, sagen Sie mir bitte Bescheid.“  In den nächsten zwei Stunden wühlt die Siebzigjährige richtig mit Freuden in der schwarzen Erde, und ihre Augen, die noch immer ohne Brille auskommen, geben ihren fleißigen handschuhlosen Händen gezielte Anweisungen, welche Blumen denn in welcher Anordnung und in welchem Behältnis ihren optimalen Lebensraum bekommen sollen.  Stolz, ja richtig stolz, steht Elfriede Bromberg dann gegen Abend auf ihrem Balkon und schaut sich zufrieden ihr außergewöhnliches Tagewerk an.  „Mein Rücken schmerzt zwar etwas, aber was ist das schon gegenüber den vielen bunten Farbtupfern, die unseren grauen Innenhof jetzt so lieblich herausputzen.“  In der darauf folgenden Nacht gießt ein warmer Sommerregen die frisch gepflanzten Blumen.  Das ist ein Geschenk des Himmels.  Die alte Gärtnerin hatte nämlich in ihrem Eifer das Angießen der Pflänzchen einfach vergessen.

In der angrenzenden Nachbarschaft geht der Weinhändler, der in der alten Kramerstiege dreißig Jahre lang vielen tausenden Touristen von seinem süffigen Getränk verkauft hat, in den wohlverdienten Ruhestand.  Einen lebendigen blühenden Nachlass schenkt er der stets freundlichen Elfriede Bromberg zum Abschied.  Auf seinem kleinen praktischen Ziehwägelchen, auf dem er immer die vielen Weinflaschen aus seinem Weinkeller bis in die Stiege transportiert hat, befördert er jetzt einen riesengroßen Holzbottich, der hellgrünroten Hortensien ein sichtbar gedeihliches Zuhause bietet.  Das ist nun das Prachtstück des einstmals grauen Innenhofes.  Es kommt aber auch immer wieder vor, dass ein Mitbewohner bei der „Hofmeisterin“ klingelt und ihr ein paar Blumenpflanzen für die gemeinsame Gestaltung des Innenhofes bringt.  Ja, Elfriede wird gelobt und auch in ihrer Arbeit unterstützt.  Zum Geburtstag schenken ihr die Nachbarn statt Schnittblumen jetzt Blumen, die manchmal eine Lebensdauer von mehreren Jahren und bei Elfriedes liebevoller Pflege sogar eine erstaunlich lange Blütezeit haben.

Im kommenden Sommer, als das Grau des Hofes weitgehend von zahlreichen bunten Blumen überwuchert ist, feiert die gesamte Nachbarschaft ein kleines Sommerfest in ihrem Innenhof.  An den unteren Balkonen hängen Lampions, und so sind nach Sonnenuntergang auch noch alle Blumen in einem romantischen Licht zu sehen.  Besonders zauberhaft leuchtet die eifrig kletternde Klematis mit ihren blauen sternförmigen Blütenblättern in dieser Sommernacht.  Beate, die kreative arbeitslose Designerin, hält hinter ihrem Rücken eine Überraschung für die Initiatorin des geglückten Projektes „Freundliches Wohnen“.  Auf einer Holztafel, lieblich mit Blumen verziert steht: „Elfriedenhof“.  Markus, der handwerklich Geschickte, befestigt diese wohlverdiente Auszeichnung schön sichtbar an der großen Mauer.  Dadurch bekommt die Gärtnerin aus Berufung jeden Tag neuen Elan, der für sie in ihrem Alter ein richtiges Verjüngungsmittel bedeutet.  Ja, Elfriede Bromberg kommt sich nicht mehr überflüssig vor, und aus dieser schönen Tätigkeit haben sich ganz natürlich neue Kontakte, auch mit jungen Leuten, ergeben.  Annette, die Berufstätige, nennt Elfriede Bromberg auf dem gelungenen Sommerfest sehr liebevoll „unser fleißiges Lieschen“, und sie überreicht einen Korb mit zehn rosafarbenen Pflanzen dieser blühwilligen Gattung.

Trinke an deinen Freudenquellen

Es kann passieren, dass wir zu viel arbeiten, im Beruf, im Haushalt und in der Familie.  Wenn in diese Bereiche zu viel von unserer verfügbaren Kraft hineinfließt, kann es sein, dass nach einiger Zeit, manchmal erst nach Jahren, unsere Seele aufschreit, sich wehrt.  Wir können nicht pausenlos Leistungen erbringen.  Wir können nicht unaufhörlich funktionieren.  Manchmal ist erst ein Zusammenbruch nötig.  Unsere Seele zieht die Notbremse.  Unser Körper und auch unsere Seele lassen sich auf Dauer nicht überfordern.  So ein schrecklicher Zusammenbruch ist ein notwendiger Hilfeschrei.  Manchmal müssen Menschen so tief am Boden liegen, damit sie zur kritischen, wie auch positiven Besinnung sich die ausreichende Zeit nehmen.  Pausenloser Einsatz fordert irgendwann eine unausweichliche lange Arbeitspause.  Stellen wir vielleicht zu hohe Anforderungen an uns selber?  Oder glauben wir beweisen zu müssen, dass wir so tüchtig sind?  Vielleicht hilft uns eine Gesprächstherapie, in der wir die Ursachen für unser Verhalten aufspüren können.

Kürzlich war ich bei meiner fünfjährigen Enkeltochter zu Besuch.  Sie begrüßte mich mit einem Strahlen in ihren Augen.  Die Wiedersehensfreude hüpfte in ihrem schlanken Körper.  Ich beobachtete das Kind, wie es mit einer wunderbaren Leichtigkeit ins Basteln versunken war.  Bäuchlings auf dem Teppich liegend, malte Stella mit bunten Stiften für ihre Mama und ihren Papa jeweils einen Adventskalender, ganz nach ihren Vorstellungen.  Ohne irgendwelchen Leistungsanspruch und ohne Zeitdruck entsteht ein Geschenk, das aus dem Herzen strömt.  Sie möchte ihre Eltern erfreuen.  Keinerlei Anspannung kann ich bei dem Mädchen beobachten.  Mit einer bezaubernden Leichtigkeit schenkt es aus der Fülle seines Herzens.  Eine anschauliche Lernstunde ist diese unbezahlbare Begegnung für mich.

„Man müsste die Menschen lehren, die Freude zu finden.“  Diese Lebensweisheit habe ich einmal in einem alten Buch gelesen.  Ich möchte dich mitnehmen auf meine Suche nach der verlorenen Freude.  Vielleicht erinnerst du dich an ein besonderes Glücksgefühl, das du in deiner Kindheit empfunden hast?  Es kann das eigene Spielen auf einem Musikinstrument sein.  Vielleicht hast du in einem Kinderchor mit Hingabe gesungen.  Das Malen mit vielen bunten Farbstiften war deine große Leidenschaft.  Oder das tragende Element Wasser hat wahre Freudensprünge in dir hervorgezaubert.  Die Volkshochschulen und auch die Kursprogramme der Kirchengemeinden haben unzählige Angebote auf dem kreativen Gebiet.  Habe Mut, krempele deine Ärmel hoch, lass dich erneut ohne jeglichen Leistungsdruck auf etwas Neues ein.  Deine Phantasie wird dir dabei helfen.  Bitte, probiere doch mal aus, was dir ganz persönlich innige Freude schenkt.

Vor etlichen Jahren, als es mir psychisch ziemlich schlecht ging, habe ich ganz viele Therapie-Angebote ausprobiert.  Das Batiken kannte ich vorher noch gar nicht.  Mit einer kurzen  Einweisung in die Technik, wurde meine Neugierde geweckt.  Ein Stück Stoff von einem alten weißen Bettlaken, ein kleiner Entwurf, und schon stürzte ich mich in das verführerische bunte Farbenspiel.  Ich bekam Biss bei dieser schöpferischen Tätigkeit und es entstanden zwei bezaubernde farbenfrohe Wandbehänge. Danach ließ ich mich auf den Glasabdruck, das Seidenmalen und Emaillieren ein.  Mit den eigenen Händen etwas ganz Individuelles, ein Unikat schaffen, das lässt die verlorene Freude wieder spüren.  Leichtigkeit, Wärme und eine nicht zu übersehende Zufriedenheit werden sich in dir ausbreiten.  Das wird auch deinen nächsten Mitmenschen nicht verborgen bleiben.  Deine Augen werden wieder leuchten und dein Gang wird beschwingter.

Abschied in der Nacht

In den Schulferien fliegt die Familie immer wieder gerne auf die Insel Mallorca.  An diesem, von der Sonne begünstigten Fleckchen Erde, kann die neunjährige Tochter nach Herzenslust den ganzen Tag unter dem offenen blauen Himmelszelt verbringen.

 

Aber Frauke hat leider keine Geschwister.  Und so fehlen ihr in diesen schönen Wochen trotzdem ihre vertrauten Schulkameraden und Freundinnen.  Der Vater, der sonst im Beruf stark eingespannt ist, genießt seine lernbegierige Tochter besonders beim Schachspiel.  Mit der Mutter entdeckt die aufmerksame Frauke alles, was der Strand an Naturgeschenken zu bieten hat.

 

Nach seltenen Muschelexemplaren in wunderschönen Pastelltönen und verschiedenen Formen bückt sich die fleißige Sammlerin.  „Frauke, aus diesen herrlichen Naturschönheiten kannst du ein Kästchen für die Oma basteln.“ – „Danke, Mutti, für deine tolle Idee.  Dann habe ich für Omi ein selbst gemachtes  Geschenk.“

Zwischen all diesen abwechslungsreichen Aktivitäten läuft das interessierte Mädchen aber auch gerne mal alleine draußen umher.  So findet sie nach ein paar Tagen einen lebendigen Freund.  Dem streichelt sie mit ihren zarten Händen das pechschwarze glänzende Fell.  Das Schnurren ist das Dankeschön für diesen Liebesdienst.  Mit seinem weichen Körper schenkt der attraktive Kater der Tierliebhaberin Wärme und Nähe.  In den folgenden Wochen spielt Frauke lieber mit ihrem neuen Freund, als mit ihren Eltern.  Das Mädchen hat diesen zahmen Kater gleich in ihr warmes Herz geschlossen.  Beide suchen immer wieder den Platz auf, an dem sie sich zum ersten Mal begegnet sind.  Auf leisen Pfoten kommt das schöne Tier angeschlichen, schaut seine neue Freundin mit seinen smaragdgrünen schräg stehenden Augen aufmerksam an.  Und schon beeindruckt der ausgezeichnete Springer Frauke mit seinen gewagten Kunststücken.

Doch nach vier gemeinsamen Wochen des zärtlichen Miteinanders und fröhlichen Spielens steht das Ende ihrer Liebe fest.  Der Rückflug ist für morgen gebucht.  Das Mädchen schläft nach diesem letzten gemeinsamen schönen Tag längst in ihrem Bett.  Die Mutter packt noch ein paar Sachen in die rustikalen Reisekoffer und in den Rucksack.  Draußen auf der Wäscheleine flattern noch die weißen Badetücher.  „Wie gut, dass die Farbe weiß im Dunkeln leuchtet, sonst hätte ich fast vergessen, sie einzupacken.“  Mit diesem Satz auf den Lippen öffnet die Mutter die Haustür.  „Was machst du denn hier in der Nacht, du hübscher anhänglicher Kater?  Komm herein, du willst dich doch gewiss von Frauke verabschieden?“  Ohne lange zu zögern, weckt die Verständnisvolle ihre schlafende Tochter.  Der Kater springt vor Freude dem Mädchen auf den Schoß.  Zehn lange wunderbare Minuten genießen Frauke und ihr treuer Urlaubsfreund mit zartem Streicheln und Liebkosen den Abschied in der Nacht, ein paar Stunden vor dem Rückflug.  „Danke Mutti, dass du mich geweckt hast, das war sehr, sehr lieb von dir.“

 

Meditation über das Beten

Das Thema Beten hat mich an diesem Abend aus meiner häuslichen gemütlichen Atmosphäre gelockt.  In einer mir fremden Umgebung lasse ich mich gemeinsam mit mir nicht vertrauten Menschen auf ein ganz persönliches Besinnen ein.

Der Raum ist wohlig beheizt.  Der Winterabend hat seinen dichten dunklen Mantel in die hohen Fenster gehängt.  Wir teilen uns in kleinen Gruppen auf.  Mich zieht das kleine bescheidene Teelicht wie ein Magnet an.  Inmitten von immergrünen Zweigen strahlt die Licht spendende Flamme.  Ein Blatt Papier und ein Filzstift liegen daneben.  Um diesen ausdrucksstarken Hoffnungskranz gesellt sich noch ein junger Mann.  Wir sind zu zweit, und damit die kleinste Gruppe.  Schweigend setzen wir uns auf den Teppichboden.  Das kleine Licht, die grünen Naturzweige und das Thema haben sogleich von mir Besitz ergriffen.  Die Stille im Raum ist köstlich. 

 

Erstaunlich schnell verebbt der gewesene Tag, zieht sich mit allem Lärm und jedweder gedanklichen Beschäftigung aus mir zurück.  Ich fühle mich frei und aufnahmebereit.  Ohne Hast und Zeitbegrenzung vertiefe ich meine Gedanken und Gefühle über das Beten.  In mir entsteht schnell ein Rückblick auf mein Leben, was mir das Beten bedeutet, was mir das Beten schenkt.  Mit Hilfe des Schreibers fixiere ich den ersten bruchstückhaften Satz auf das große rote Papier: Abladen dürfen, Ballast abwerfen.  Der junge Mann schreibt gleich darunter: Stille, zur Ruhe kommen.  Weitere Formulierungen folgen, wie: Jammern, klagen, weinen, danken, neu anfangen, Vergebung erbitten, Fürbitte für andere Menschen, sich auf das Wesentliche im Leben besinnen, innere Einkehr halten, sich stärken lassen, Hoffnung erneut geschenkt bekommen, sich angenommen fühlen, spüren, dass Gott mich liebt, nicht einsam sein, Kraft und Zuversicht schöpfen, Trost erfahren, warten können,  sich in Geduld üben, Stille zulassen können, hören üben, immer wieder schweigen können und vielleicht dadurch auch das Hören geschenkt bekommen.

Wir fassen einander unsere Hände an, schauen uns in die Augen, haben uns vertrauensvoll dem anderen öffnen können.  Reich beschenkt verabschiede ich mich von meinem Gegenüber, von dem kleinen strahlenden Teelicht, den hoffnungsvollen grünen Zweigen und der Stille, die mir diese unvergessliche Meditation ermöglicht haben.

Segensreiche Übertragung

Aus gesundheitlichen Gründen kann ich am Sonntagvormittag nicht mehr zu einem Gottesdienst gehen oder auch fahren.  Weil ich aber die Gemeinschaft mit anderen Gottesdienstbesuchern und insbesondere das gepredigte Wort Gottes, auch das  gemeinsame Singen der Kirchenlieder sehr vermisse, kann ich mich nicht damit abfinden, schon in relativ jungen Jahren, so ausgegrenzt zu sein.  Nach einiger Zeit des Trauerns um den Verlust dieser mir so wichtigen Glaubens- und Lebenshilfe studiere ich mein kleines Fernsehprogrammheft endlich mal intensiv.  Und siehe da, ich finde schnell das heiß Ersehnte im Programm.  Jeden Sonntag wird abwechselnd ein evangelischer oder ein katholischer, aber auch mal ein ökumenischer oder ein freikirchlicher Gottesdienst ab 9 Uhr 30 im Fernsehen übertragen.

Mein gemütliches Frühstück habe ich beendet.  Alleine sitze ich auf der Couch.  Um mich herum ist eine wohltuende Stille.  Pünktlich schalte ich mein Fernsehgerät ein.  In mir spüre ich eine gewisse Erwartungshaltung.  Hoffentlich werde ich nicht enttäuscht.  Diese Gefühle und Gedanken verlieren sich aber abrupt.  Die Gebete, die teilweise von so genannten Laien sehr natürlich gesprochen werden, berühren mich innerlich mit ihrem tiefen und schlichten Inhalt zugleich.  Der Pfarrer hat sich besonders gut vorbereitet.  Wer mag sich schon im Fernsehen vor so vielen Zuschauern und Zuhörern, vor einer so breiten Öffentlichkeit blamieren?  Aber auch die eigenen Gemeindemitglieder wollen auf ihren Pfarrer stolz sein können.  Das Bibelwort in unsere heutige Sprache übersetzt, ist sehr hilfreich für unser aller Leben.  Es geht primär um die Gelassenheit.  Zwischendurch singe ich in meiner Wohnstube die angekündigten Kirchenlieder inbrünstig mit.  Jetzt spüre ich, dass ich doch nicht alleine bin.  Das Singen stellt heute eine wärmende Verbindung zwischen Wuppertalern und mir her.  Ja ich fühle mich dazugehörig.  Wir sind Geschwister im Glauben, und ich bekomme auch über eine so große Entfernung hinweg Trost und Freude geschenkt.  Ein wärmender wundervoller Regenbogen spannt sich vom Ort des Geschehens bis hin zu mir.

Im Gemeindesaal auf der Bühne steht ein einladender aufgeklappter Liegestuhl aus einem Holzgestell, mit einem bunt gestreiften Leinenbezug bespannt.  Auf der Armlehne liegt lässig ein grünbraunes Fischernetz.  Ausruhen, abspannen, innehalten, Stille, alle Viere von sich strecken, alles ruhen lassen, nichts ist wichtig.  Eine  wohltuende Gelassenheit löst dieses Bild in mir aus.

 

Jugendliche spielen mit einer wunderbaren Lebendigkeit glaubwürdig die Geschichte vom Fischer, der täglich mit seinem kleinen Fang zufrieden ist.  Was er in seinem Netz gefangen hat, reicht für seinen Tagesbedarf.  Dieser Mann braucht nichts anzuhäufen.  Er benötigt keinen Vorrat für morgen oder übermorgen.  Ein großes Vertrauen lässt diesen Fischer so handeln und leben.  Nachdem er seinen Fischfang an Land gebracht, und aus dem alten Boot gleich einen Teil verkauft hat, legt er sich nach getaner Arbeit in den Liegestuhl.  Seine ruhigen Augen schauen stundenlang auf das Meer hinaus.  Die Wassermusik, die von Ebbe und Flut hörbar ist, streichelt Ohren und auch seine Seele.  Plötzlich taucht ein junger Mann im feinen Anzug am weißen Strand auf.  Ungerufen spricht der „Schlauberger“ den ausruhenden Fischer an.  „Wenn du öfter hinaus auf das Meer fährst, hast du auch viel größere Erträge in deinem Netz.  Von dem Geld könntest du dir einen Motor für dein Boot kaufen.  Dann bist du auch schneller auf dem Wasser.  Und du könntest so effektiver arbeiten.  Für die großen Fische zahlt man dir auch mehr.  Du könntest ein kleines Vermögen anhäufen, dich zur Ruhe setzen und immer nur auf das schöne rauschende Meer schauen.“  Nach dieser belehrenden Rede springt der Fischer aus dem Liegestuhl und schleudert dem feinen Herrn gelassen die Worte ins Gesicht: „Aber meine Maxime ist eine andere.  Du hast mich mit deiner „Besserwisserei“ in meiner beschaulichen Ruhe gestört.  Auf das weite Meer kann ich doch jetzt schon stundenlang schauen.  Mit Freude betrachte ich das sich ständig wechselnde Himmelsbild mit den ziehenden weißen und dunklen Wolken.  Die Sonne streichelt nicht nur mein Gesicht.  So nach getaner Arbeit den Tag ausklingen zu lassen, das ist für mich ein unbezahlbarer Hochgenuss.“

Diese Geschichte vom weisen Fischer habe ich schon früher mal mit großer Aufmerksamkeit in einem Heft gelesen.  Der Inhalt berührte mich damals schon intensiv und verführte mich zum Nachdenken.  Trotzdem ist die heutige farbenprächtige, gut gespielte Lebensregel des Fischers auf der Bühne eine sehr eindrucksvolle Augenweide.  Die Jugendlichen haben viel Einfühlungsvermögen spüren lassen, jeder in seiner Rolle.  Sie konnten die Botschaft sehr natürlich, auch für die Zuschauer an den Fernsehgeräten, transportieren.  Dieser Beitrag soll ein ganz herzliches Dankeschön an alle Mitwirkenden des Gottesdienstes, der aus Wuppertal übertragen wurde, sein.  Und wie viele alte, kranke und behinderte Menschen brauchen diese Gottesdienstübertragungen dringend, damit sie ihren kleinen schweren Alltag wieder erneut bewältigen können?  Wir dürfen sie nicht vergessen.  Die verantwortlichen entscheidenden Programmdirektoren beim Fernsehen haben da eine wichtige menschliche Verpflichtung zu erfüllen.

Mein schönster Traum

An einem kalten Wintermorgen, kurz vor meiner gewohnten Aufstehzeit, träume ich die halbe Strophe aus einem mir vertrauten Kirchenlied, das ich schon im Konfirmandenunterricht gelernt habe. 

Ganz deutlich spricht eine Stimme zu mir: „Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesu Christ; das was mich singen machet, ist was im Himmel ist.“  Dann wache ich aus diesem lichtvollen und eindrucksstarken Traum auf, und es ist mir, als würde die Sonne in meiner Seele scheinen.

 

Voller Zuversicht und Fröhlichkeit springe ich aus meinem warmen Bett.  Eine tragende Geborgenheit erfüllt mich.  Das ist es, was ich zu meiner Lebensbewältigung brauche!  Nachdem ich die Vorhänge aufgezogen habe, schaue ich in eine kahle, vom dichten Nebel getrübte, graue Landschaft hinein.

Und ich denke beseelt von meinem Traum: Trotz noch so kalten trüben Wetters, trotz noch so schwerer Schicksalsschläge, kann der Menschenfreund Jesus Christus mir immer ins Herze scheinen. 

Ich bin so dankbar für diese Traumerfahrung, die mir so viel gegeben hat.  Auch in den folgenden Tagen lässt mich dieser Text nicht mehr los.  Bei meiner Arbeit singe ich mit Freuden und Inbrunst das Kirchenlied, das der unvergessene und glaubensstarke Paul Gerhardt uns schon im Jahre 1653 geschenkt hat.  Welch ein unbezahlbares Vermächtnis!  „Ist Gott für mich...“ mit seinen 13 Strophen, von denen seit meinem Traum vor allem die letzte mit der trostreichen Erfahrung meine Tage hell und fröhlich macht.  Mit einer unermesslichen wertvollen Erbschaft hat dieser vielfältig begabte Christ uns bis in den heutigen Tag eine wahrlich große Schenkung gemacht, die sich selbst im Laufe der vielen Jahrhunderte nicht verbraucht hat.

Medizin

Sie muss langsam gehen, damit sie keine roten Johannisbeeren aus ihrem Korb oder die pastellfarbenen zarten Wicken, die sie geschickt an den Erntekorb gebunden hat, verliert.  Während Waltraud Gerdes den Ernteertrag nicht ohne Stolz in ihr Häuschen trägt, fasst sie mit der freien linken Hand auf ihren schmerzenden Rücken.  „Ich habe mir heute wohl doch ein wenig zu viel Arbeit zugemutet“, sagt die fleißige Gärtnerin in den noch warmen Sommerabend hinein.  Aus den reifen, etwas säuerlichen Beerenfrüchten will die Siebzigjährige morgen das von allen Familienmitgliedern und auch Bekannten so geschätzte Gelee kochen.  Das sind Mitbringsel, die Freude machen.

Und Langeweile kennt die agile Witwe nicht.  Sie macht gerne Krankenbesuche und auch die Einsamen in ihrer Gemeinde vergisst die warmherzige Frau nicht.  Mit ihren selbstgezogenen Blumen bringt sie viel Sonnenschein in die Zimmer, in die Häuser, in denen die Verlassenheit wohnt.  Mit ihrem freundlichen und verständnisvollen Wesen kann sie wahrlich Schmerzen lindern.

Wenn die passionierte Gärtnerin wieder mal einen Blumenstrauß verschenkt hat, fühlt sie sich in ihrem Entschluss bestärkt, ihren entfernt gelegenen Garten trotz ihres Alters und ihrer kleinen körperlichen „Gebrechen“ noch nicht aufzugeben.  Auch wenn sie jetzt die doppelte Zeit für den Fußweg zu ihrem Garten Eden braucht, als noch vor fünf Jahren. 

 

Etliche jüngere Frauen halten sie für „verrückt“, weil sie es doch gar nicht nötig habe, sich immer noch in ihrem Alter mit einem so großen Garten abzuquälen.  Waltraud Gerdes lacht über solch dumme Sprüche, denn sie spürt es ganz deutlich, dass ihr Garten für sie die beste Medizin ist, ohne schädliche Nebenwirkungen.  Auch wenn der Rücken manchmal etwas knurrt, am nächsten Morgen hat er sich nach einer langen schlafvollen Nacht wieder gut erholt.  Die kreative Frau braucht keine Schlaftabletten zu nehmen, sitzt nicht stundenlang in den Wartezimmern der viel beschäftigten Ärzte, sondern freut sich in dieser gewonnenen Zeit über die Vielfalt und Farbenpracht ihrer neuen gelungenen Asternzucht.  Am Zaun, neben der großen strahlenden Sonnenblume, direkt am angrenzenden Schrebergarten hält die Junggebliebene heute einen ausgiebigen fachlichen Plausch mit ihrer verständnisvollen Gartenfreundin, die ihr gestern ein neues Kürbis-Rezept geschenkt hatte.  Waltraud Gerdes kann die eigene Kürbisernte kaum erwarten.

Der Gartenweg

Mit Bedacht hat der alte Mann die vielen gekauften Steinplatten hinter den windschiefen grauen Schuppen stapeln lassen.  Das ist ein gutes Versteck für eine harte Arbeit, an die er nicht täglich erinnert werden möchte. Vor etlichen Monaten, als der fleißige Ruheständler den Kauf tätigte, muss er in einer besonders guten Verfassung gewesen sein.  Inzwischen klettert der Efeu vom Dach des Schuppens herab über die abgedeckten Platten, verhüllt die wartende Arbeit barmherzig unter seinem immergrünen Blätterkleid.

 

„Mein Paradiesgarten ist für mich Erholung für Körper und Seele zugleich“, sagt der Gärtner liebevoll.  Und seine graublauen Augen leuchten wie die bezaubernde große Sonnenblume am Gartenzaun.  Langsam setzt sich der Großvater auf seinen Stuhl.  Beim Mittagessen streichelt er zärtlich die Hand seiner tüchtigen  Frau: „Es schmeckt wieder köstlich bei dir.“  Die vielen Treppenstufen ins obere Stockwerk schleppt der gebeugte Mann, der schon im neunten Lebensjahrzehnt steht,  sich immer mühsamer empor.  Seiner verständnisvollen, um viele Jahre jüngeren Katharina bleibt das nicht verborgen.  Kurz entschlossen ruft Katharina ihren Sohn an, während ihr Mann noch sein Mittagsschläfchen hält.  Sie hat Glück. Jakob urlaubt gerade zu Hause.  „Vater hat nicht mehr so viel Kraft, um die Steinplatten zu verlegen.“  Mehr braucht sie nicht zu sagen.  „Selbstverständlich komme ich, Mutter!“  Riesig freut sie sich über die spontane Hilfsbereitschaft ihres Zweitgeborenen.

Zwei Tage später hält schon das Auto des Sohnes auf ihrem großen Grundstück.  Der schlanke Jakob hat zwei kleine flotte Helfer mitgebracht.  Der fünfjährige Tobias ist als Erster an der Haustür, und sein dreijähriger Bruder David trottet hinterher.  Beide Enkelsöhne begrüßen ihren vertrauten Großvater mit den Worten: „Opa, wir wollen Papa beim Plattenlegen helfen.“ - „Das ist aber eine sehr liebe Überraschung!  So kann ich gleich drei starke Männer in meine Arme schließen.“ Und der kleine David läuft freudestrahlend zur Großmutter mit den Worten: „Oma, der Opa hat gesagt, das wir drei starke Männer sind.“ - „Ja, das seid ihr ja auch. Aber auch starke Männer brauchen vor der Arbeit ein zweites Frühstück.“  Tobias nimmt sich ein leckeres Schnittchen vom üppig gefüllten Teller.  „So, jetzt bin ich aber satt, jetzt möchte ich im Garten arbeiten.“ Großvater freut sich über seine beiden flinken Enkelsöhne. Mit einem frohen Lächeln, das sein gütiges altes Gesicht verjüngt, sagt er: „Fleißige Leute soll man nicht von der Arbeit abhalten.  Also hinaus mit uns vier Männern.“

Jakob schafft die schweren Steinplatten in der großen Schubkarre zum Weg.  Dann graben sein froher Vater und er, unterstützt von Tobias, den Untergrund aus. Beim Einebnen und Werkzeug anreichen ist der Fünfjährige eine prima Hilfe.  Aber auch der kleine David leistet mit Eifer seinen Einsatz.  Aus dem Sandkasten trägt er eifrig feinen Sand in seinem roten Eimerchen herbei.  „Braucht ihr noch mehr Sand“, will der Kleinste im Team wissen.  „Jetzt hast du genug geholfen“, sagt schmunzelnd sein stolzer Vater.  „Schau, der Plattenweg ist fertig.  Aber ohne eure kräftige Mithilfe hätten Großvater und ich noch länger arbeiten müssen.“  Die milde Spätsommersonne wärmt noch wohlig, und sie küsst nicht nur jede Blume und alle Bäume im Garten. Großmutter hat auf der Terrasse den Tisch mit Köstlichkeiten gedeckt.  Selbst geerntete Äpfel mit roten Bäckchen leuchten im großen Weidenkorb.  Alle fünf feiern den fertigen Plattenweg beim Genuss des saftigen  Apfelkuchens.  „Ohne eure starke Hilfe würden die neuen Steinplatten noch jahrelang hinter dem grauen Schuppen versteckt sein“, sagt der dankbare Älteste und Freude hüpft in seiner Stimme.

Der große Wunsch

Eine außergewöhnliche Freundschaft verbindet den älteren Mann mit einer Frau, die ein schweres Schicksal zu tragen hat.  Ihr Vertrauensverhältnis ist im Laufe der Jahre immer intensiver geworden.  Fast jeden Tag telefonieren die beiden ausgiebig miteinander.  Sie reden nicht nur über das Wetter, sondern die ganz persönlichen Fragen werden verständnisvoll und warmherzig beantwortet.  Durch die Telefonleitung schicken sie Trost, Hoffnung und oftmals auch einen Anlass zum ansteckenden Lachen.  Ihre innige Beziehung wird von dem Bibelwort gespeist: „Einer trage des anderen Last“, Brief an die Galater, Kapitel 6, Vers 2.  Im Krankheitsfall reist die streichelnde Hand und das tröstende Wort auch bis in die Wohnung des Anderen.  Die körperliche Nähe beruhigt und ist  heilsam.

Eine Woche vor dem Geburtstag der Frau fragt der aufmerksame Freund am Telefon: „Was wünschst du dir denn zu deinem Ehrentag?“  Die Antwort kommt schnell.  „Gar nichts, lieber Martin.“  Eine kleine Denkpause entsteht.  Doch dann weiß die Gefragte ihren großen Wunsch zu formulieren.  „Lieber Martin, ich wünsche mir von dir weiterhin treue Freundschaft.  Diesen sehnlichsten Wunsch kann ich mir nicht selbst erfüllen, und dieses größte Geschenk ist auch nicht käuflich zu erwerben.  Du kannst doch mit dem Herzen schenken.  Und du brauchst in kein Geschäft zu gehen, um irgendetwas zu kaufen.“  Der Zuhörende am anderen Ende der Leitung schweigt zunächst.  Doch dann sagt er: „Ja, du hast Recht.“

Warum kaufen wir immer wieder sichtbare Geschenke, die der andere vielleicht gar nicht braucht.  Mit unserer Gabe können wir manchmal keinerlei Freude bereiten.  Wollen wir uns vielleicht damit freikaufen?  Wir übergeben unser Geschenk in der Hoffnung, dass es Freude auslösen kann und sitzen bei Kaffee und Kuchen fröhlich beieinander.  Heute wird schließlich ein Geburtstag gefeiert.  Da haben die vielfältigen Sorgen nichts zu suchen: die angeschlagene Gesundheit, die Ängste um den Arbeitsplatz und auch nicht die Partnerschaftsprobleme.

Auffällig ist auch, dass, wenn wir zu einer fröhlichen Feier Menschen einladen, nur wenige verhindert sind.  Aber wenn wir ein Notrufsignal aussenden, es vielen zwar leid tut, dass es uns schlecht geht, sie aber keine Zeit haben, um uns zu helfen.  Sie führen noch viele andere Ausflüchte an, wirklich nicht kommen zu können.  Im Krankheitsfall und anderen Notsituationen lernen wir unsere Mitmenschen erst richtig kennen.  Wahre Freunde sind immer zur Hilfe bereit.  Das man aufeinander zählen kann, zeichnet eine tragende Freundschaft aus.  Ein Mensch mit einem Samariter-Charakter wird dich nicht in deiner Not alleine lassen, weil er sich verantwortlich fühlt und barmherzig handelt.  Er schenkt aus der Fülle seines mitfühlenden  Herzens.

Vom Zauber der kleinen Dinge

Am liebsten bewege ich mich auf Schusters Rappen, weil ich dann den herrlich weichen federnden Waldboden unter meinen Füßen spüre.  So kann ich am besten aus unmittelbarer Nähe zu den kleinen Dingen auf meiner Wanderung Gottes wunderbare Schöpfung mit allen Sinnen erfahren.  Ich ziehe genussvoll den Duft der dunklen, manchmal auch pilzwürzigen Erde mit meinem ausgeprägten Geruchsinn in mich hinein.  Damit befördere ich eine altfrühe Kindheitserinnerung in mein Bewusstsein.  Meine Eltern sind mit uns Kindern jeden Sonntag zu einem ausgiebigen Spaziergang in den Gollenwald gezogen.  Schon damals habe ich den Wald fest in mein kleines Kinderherz geschlossen.

Heute tanzt ein Admiral auf dem violettfarbenen kleinen Heidekrautteppich, verzaubert die Blüte und mich mit seinem wundervoll zarten schwarzweißorangen Flügelkleid.  Meine Seele hüpft vor Freude.  Der Wind singt eine leise Sommermelodie, der ich lauschen kann, weil ich alleine unterwegs bin.  Zwischen zarten Gräsern leuchten langbeinige stolze pinkfarbene Fingerhüte.  Ob unser Schöpfer mit feinem Pinsel dieser giftigen und doch heilsamen Blume die entzückenden kleinen rosa Tupfen in den weißen inneren Blütenkelch gemalt hat?  Eine Hummel summt ihr Lied, während sie einen dieser attraktiven Fingerhüte umkreist. 

Weiter führt mich mein Weg an üppigen Heckenrosenbüschen vorbei, die jetzt im August  nur vereinzelt noch eine spät erblühte rosafarbene Blüte schmückt.  Genießerisch stecke ich meine Nase in die geöffnete Rose, die mir ihren lieblichen Duft ganz selbstlos schenkt.  Langsam ermatten meine Wanderfüße. 

 

Darum lockt mich ein hoch betagter Ebereschenbaum mit seinen faszinierenden korallenroten Perlen an wie ein Magnet, und lädt mich zu einer ausgiebigen Rast unter seinen Schatten spendenden gastlichen Zweigen ein.  In meiner Kindheit habe ich mit Hilfe von Nadel und Faden diese Perlen, von denen für mich ein Zauber ausging, zu einer Kette aufgereiht. Jetzt esse ich meinen mitgenommenen Apfel, der mich köstlich erfrischt.  Auf meiner Bastmatte strecke ich mich aus, seliges Nichtstun fließt wie Labsal in meinen Körper und ich schließe die Augen und träume mich in meine Kindheit zurück. 

Der Wind hat etwas aufgefrischt und raubt dem Vogelbeerbaum ein paar saftige Früchte, die leise ins Gras fallen.  In meiner Kindheit wusste ich noch nicht, dass diese Früchte Nahrung für viele Vogelarten sind.  Ich habe diese roten Perlen immer nur als Schmuck für meinen Hals betrachtet.  Ausgeruht wandere ich weiter auf sandigen weichen Wegen, die überwiegend von Brombeerbüschen  gesäumt sind.  Erste reife schwarze Früchte verschwinden schnell in meinem Mund.  Das verführerische Aroma dieser frühherbstlichen Beerenfrucht erinnert mich an den Saft, den meine fleißige Mutter zu kochen verstand.  Durch dickes grünes sommerliches Buschwerk strömt frischer Duft von sonnengeküsstem geschnittenem Gras.  Dahinter, auf der Wiese greift meine Hand nach einem trockenen Heubüschel, und ich schnuppere mit meiner Nase den unverkennbaren würzigen Naturduft.  Weiter unterwegs in Richtung heimwärts trinken Augen und Seele sich an einem reifen goldgelben Haferfeld satt.  Das blaue Himmelszelt schmücken ein paar weiße Schäfchenwolken.  Die tief stehende Sonne streichelt mich mit ihrer milden Wärme.  Aus  Rot- und Orangentönen komponiert der geheimnisvolle Himmelskörper ein außergewöhnliches  Abendlied, und ich spüre, dass Dankbarkeit und auch Fröhlichkeit in mir viele Strophen singen.  Mit einem ruhigen Herzen und Frieden in meiner Seele kehre ich reich beschenkt erst gegen Abend in meine Wohnung zurück.

Ihr Erbe

Auf mein zartes Klopfen an der Zimmertür werde ich nicht hereingebeten.  Dann drücke ich vorsichtig die Türklinke herunter und finde die hoch betagte Dame schlafend, jedenfalls mit geschlossenen Augen im gemütlichen Sessel liegend vor.  Ja, sie erkennt mich wieder, meine Stimme und auch mein äußeres Erscheinungsbild.  Die kleine zierliche ehemalige Modistin wird in einem Alten- und Pflegeheim vorbildlich betreut.  Und ich besuche sie jede Woche für etwa eine Stunde.  Damit möchte ich ihr die Einsamkeit für diese 60 Minuten wenigstens nehmen.

Schon beim ersten Besuch spürte ich, dass sie mir vertraut.  Welch kostbares Geschenk diese gestandene Frau mir damit bereitet.  Mit ihren offenen Augen, die auch jetzt noch strahlen können, erzählt sie mir ganz selbstverständlich aus ihrem langen Leben.  Ich sitze auf einem Stuhl ihr gegenüber.  Und sie zieht mich mit ihrem spannenden Erzählen vieler schöner Begebenheiten ganz in ihren Bann.  Zwischendurch sagt die 93jährige immer wieder: „Ich bin ja noch jung.“  Mit dieser schelmischen Provokation zaubert sie uns beiden ein herrliches Lachen hervor, welches so innig aus den Seelen sprudelt.  Und sie redet weiter.  „Ich bin durchaus realistisch, und dass ich alt bin, weiß ich selber, aber ich brauch das doch nicht ständig noch zu betonen“, und sie lacht schon wieder.  „Frau Schönfeld, sie haben einen erfrischenden, ansteckenden Humor.  Woher haben sie diese Gabe bekommen?“ - „Ja, wissen sie, meine Mutter war eine echte Rheinländerin, und die hat mir etwas von ihrem fröhlichen Gemüt vererbt.“ - „Das ist eine gesunde Erbschaft, die sie da gemacht haben, und mit der sie wahrscheinlich das ganze Leben leichter  meistern konnten.  So hat Ihre fröhliche Mutter Ihnen schon einen unermesslichen Reichtum, nämlich den unbezahlbaren Humor, mit in die Wiege gelegt.  Er ist gewiss wertvoller, als ein finanzielles großes Vermögen.  Auch Goethe hatte von Mütterchen die Frohnatur.“ - Ich finde keine Bitterkeit, kein Klagen und keine Resignation in ihrem Wesen.  Trotzdem ihr Lebensweg durchaus auch steinig war, strahlt sie eine Zufriedenheit aus, die aus ihrem Innersten kommt.

 

Ihre alte schöne Pendel-Wanduhr streichelt das Gehör mit einem weichen melodischen Klang.  Wie schnell eine Stunde bei solchen intensiven und einfühlsamen  Gesprächen verrinnt.  Zwei Frauen sind sich durch ihre vertrauensvolle Offenheit sehr nahe gekommen.  Bei einer innigen herzlichen Verabschiedung bedankt Frau Schönfelder sich für meinen Besuch.  „Aber ich habe Ihnen zu danken, Sie haben mich mit ihrem Humor angesteckt.“  Auf dem Heimweg spüre ich ganz genau, dass ich die Beschenkte bin.

© Monica Maria Mieck

Ihr Jahreszeitenkalender

Die gemütliche Wohnung kann die hoch betagte, geistig dennoch sehr rege Dame nicht mehr verlassen.  Ein Beinleiden bindet sie fest an ihr letztes Zuhause.  Zuerst hat sie natürlich mit ihrem unabwendbaren Schicksal gehadert, aber schon bald hat die weise Dame ja zu ihrem Leiden gesagt.  Da hat sie energisch beschlossen, jeden Tag, so viel sie mag, sich vor ihre Fenster zu setzen.  Zum Wichtigsten und Schönsten sind nun für die unfreiwillige Nesthockerin die großen durchsichtigen Augen in allen ihren Wohnräumen geworden.  So kann die Naturverbundene vor allem die Eichen- und Lindenbäume, die so dicht vor ihren gardinenlosen Fenstern leben, mit ihren noch erstaunlich scharfen Sinnesorganen täglich als eine neu gewonnene Bereicherung empfinden.  Ja, sie schaut auch mit ihrer Seele und trinkt sich an dem Stückchen Paradies vor ihren großen Fensterscheiben satt.

 

Die ersten Frühjahrsstürme schütteln kraftvoll die noch nackten Äste der alten stämmigen Eich- und Lindenbäume.  Diese Windmusik ist Balsam für das gute  Gehör der weißhaarigen Dame.  Zufrieden kuschelt die Beobachtende sich bei diesem dramatischen Naturschauspiel unter ihre warme Decke in ihrem großen Sessel ein.  Als der Sturm noch stärker wird, das nackte Geäst an die Thermopane-Scheiben peitscht, fürchtet sie, dass ein alter Baum Schaden erleiden könnte.  In der darauf folgenden Nacht kann die Besorgte erst einschlafen, als ihre Ohren feststellen, dass der wütende Sturm sich plötzlich selbst zum Schlafen hingelegt hat.  Ende Februar überrascht sie der erste hinreißende Flötengesang einer Amsel, die in der Baumspitze einer Eiche den Frühling fröhlich ausposaunt.  Zusammen mit ihrer Nachbarin feiert sie den längst herbeigesehnten Frühlingsanfang mit einer grünen Kerze auf dem Frühstückstisch.

Jeden Morgen öffnet sie sehr weit ihre großen Fenster, die eine so wichtige Funktion für sie erfüllen, weil sie das Leben von drinnen nach draußen ermöglichen.  Deshalb bestellt die kluge Dame ihren Fensterputzer auch regelmäßig alle zwei Wochen.  Eine milde, fast warme Luft strömt in ihre Räume.  Frühlingsluft ist es, ihr altes Herz fängt an zu tanzen.  Mit ihren Augen berührt sie die ersten zarten grünen Blättchen.  Am nächsten Tag klopfen Regentropfen unüberhörbar ihre eigenen Lieder an die Scheiben.  Ein paar Stunden später setzten sich Sonnenstrahlen warm und hell auf die wachsenden Blätter.  Manchmal hört sie die Bäume vor Daseinsfreude juchzen.  Im Mai verschenken die nahen Lindenbäume ihren lieblichen Blütenduft.  Diesen herrlichen kleinen Naturrausch atmet die Genießerin immer wieder durch ihre feine Nase ein.  Der Juni zieht dann auch den kräftigen Eichbäumen herrliche grüne Kleider an.  Sie öffnet das Fenster zum Sommer.  Da spielt die Sonne morgens schon im Geäst der Bäume ihre goldene liebliche Melodie, verzaubert die Tage der weisen Dame, die durch ihre hohe Erlebnisfähigkeit an scheinbar kleinen Dingen wahres Glück empfinden kann.  Im Nachsommer reifen dann die Eicheln heran.  Herbstliche Winde schütteln den Kindern von den Bäumen in der Umgebung runde Früchte zum Basteln und Spielen herunter.  Und die am Leben Interessierte hört wieder vermehrt helles jauchzendes Kinderlachen und Toben.  Gut gespeicherte eigene Kindheitserinnerungen werden dadurch wieder geweckt.  Auf Samtpfötchen klettern dagegen meisterhaft und blitzschnell die Eichhörnchen, die von den wachsamen Blicken der Fensterguckerin erhascht werden.  Die Bilder sind sehr abwechslungsreich, die Natur malt sie in den wunderschönsten Farben und Stimmungen, je nach Wetter und Jahreszeit.  Herrliche Überraschungen zeichnen die Naturgewalten, sie passen in keinen vorgegebenen Rahmen.  Die Linde hat das gelbe Herbstkleid angezogen, sie feiert des Herbstes Hochzeit.  Müde Blätter tanzen taumelnd zu Boden, vom Wind noch einmal aufgehoben.  Zwei gelbe Grüße fliegen durch das offene Fenster.  Die Hochbetagte streichelt zärtlich mit ihren Händen darüber.  Der Herbst webt jetzt den schönsten Teppich mit seinen sanften Farbtönen.  Ein tief stehender Vollmond lugt am frühnächtlichen Herbsthimmel neugierig durch die Fenster, gießt sein Gold in die Wohnung der Alleinlebenden.  Am Morgen umhüllen zarte graue Nebelschleier die alten Bäume.  Aber ein starker Wind raubt ihnen erbarmungslos die schönen bunten Kleider.  Kalte Luftmassen breiten sich aus.  November steht auf dem Kalender.  Ob die Bäume frieren?  In einer Dezembernacht fällt lautlos der erste Pulverschnee.  Sanft und fürsorglich zieht er damit allen Bäumen ein weißes Festkleid an.  Der kernige Futterring lockt immer wieder Meisen direkt vor ihre Fenster.  So kann die Freude an der Natur auch im Winter nicht vergehen.  Und auf dem nahen kleinen Hügel hört die emsige Fensterguckerin die fröhlichen Stimmen der rodelnden Kinder.  Ihr eingeschränkter und doch so erlebnisreicher Jahreszeitenkalender mit all seinen vielen Farben, Klängen, Düften und Freuden schließt seinen Kreis.  Die Zufriedene hat das Gefühl, dass sie in diesem Jahr sogar intensiver mit der Natur gelebt hat als früher, als sie noch mit ihren gesunden Beinen hinauslaufen konnte.

Das Zeitgeschenk

Seit Olaf Hansen die Leitung und somit auch die Verantwortung für die gut gehende Apotheke in die tatkräftigen Hände seines Sohnes und seiner jungen tüchtigen Schwiegertochter gelegt hat, verfügt er über viel freie Zeit, die er sinnvoll zu nutzen versteht.  Damit die Ablösung vom geliebten Beruf sich langsam und somit für ihn verträglich vollzieht, steht der alte Herr immer noch  jeden Vormittag seinen Kindern in dem Arzneimittelgeschäft unterstützend zur Seite.  Und mancher treue alte Kunde möchte so gerne von dem vertrauten Fachmann bedient werden.  Wenn der Mittsiebziger aber mittags seinen weißen Kittel an den Haken hängt, huscht doch merklich ein Gefühl der Freiheit in ihn hinein.  Trotz seines Alters fühlt er sich dann oftmals voller Tatendrang, und er hegt immer wieder  neue Pläne.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen mit der gesamten Familie seines Sohnes zieht der mehrfache Großvater sich genussreich zu einem kleinen Schläfchen in seine eigenen Räumlichkeiten zurück.  Und dieses Ruhebedürfnis akzeptieren sogar seine temperamentvollen Enkelkinder.

Wenn Olaf Hansen dann gemütlich bei einer Tasse Tee oder Kaffee sitzt, kommt es nicht selten vor, dass der kleine Niels in sein Wohnzimmer hereinspaziert mit der bekannten Frage auf seinen bittenden Lippen: „Opa, hast du heute Zeit, mit mir zu spielen, du darfst dir auch etwas aussuchen?“ - „Mein lieber Niels, ich nehme mir auch heute einfach die Zeit für uns beide, obwohl ich nachher mit Oma Astrid im Altenheim verabredet bin.  Wir rufen sie gleich an, damit sie weiß, dass ich dann eine Stunde später zu ihr komme.  Bei dir, mein kleiner Sonnenschein kann ich so wunderbar auftanken, und das brauche ich, bevor ich wieder etwas von meiner Wärme und Fröhlichkeit abgeben kann.  Du kannst schon deinen großen Baukasten holen, ich will nur noch ein Buch zum Vorlesen aus dem Bücherbord heraussuchen, damit ich Oma Astrid eine schöne Geschichte mitbringen kann.  Eine ganze Stunde haben wir beide dann Zeit zum Spielen.“  Der schlanke hoch betagte „Pillendreher“ außer Dienst liegt mit seinem jüngsten Enkelsohn auf dem Teppich, und sie bauen gemeinsam eine riesige Stadt mit vielen, vielen Häusern, einer Kirche mit spitzem Turm, dem Rathaus und einem schönen Marktplatz.  „Opa, wir haben noch was Wichtiges vergessen, die Apotheke.“  Olaf Hansen nimmt den kleinen aufgeweckten Niels in seine Arme und sagt ganz inbrünstig: „Danke, mein lieber Junge, dass du heute mit mir gespielt hast.“     

Die schönsten Geschichten der Lagerlöf, ja, dieses Buch hat Olaf Hansen heute für seine stark sehbehinderte Schwester aus seinen vielen Büchern herausgesucht.  Jetzt wird es aber höchste Zeit, dass er sich seine Straßenschuhe anzieht und sich auf den Fußweg zum Altenheim aufmacht.  „Was man verspricht, muss man auch halten“, sagt der in Eile befindliche Mann, und streichelt dem kleinen Blondschopf noch rasch übers Haar.  Und zufrieden baut Niels an seiner großen Stadt weiter.

Mit einem etwas schlechten Gewissen seiner Schwester gegenüber betritt der innerlich jung Gebliebene das Zimmer 212 im Altenheim.  Die neunzigjährige Astrid sitzt in Erwartungshaltung in ihrem geliebten Ohrensessel am Fenster.  „Liebe Schwester, bitte verzeih mir, dass ich dich warten ließ.  Aber ich denke, dass ich noch viel von der Freude ausstrahle, die ich beim Spielen mit dem kleinen Niels vorhin erleben durfte.“ - „Olaf, mein lieber Bruder, meine Augen können dich kaum noch erkennen, aber der Klang deiner Stimme sagt mir bereits, dass du in freudiger Stimmung bist.  Komm und setz dich zu mir und lies mir vor, damit wir keine kostbare Zeit verlieren.“  Olaf Hansen schlägt gleich die Buchseite auf, auf der „Das Mädchen vom Moorhof“  beginnt.  Seine Schwester hatte ihn seit einigen Wochen schon darum gebeten, nach dem Buch der Selma Lagerlöf doch einmal in seinem umfangreichen Bücherschatz zu suchen.  Die neunzigjährige, fast erblindete Astrid legt sich ganz entspannt in ihren Ohrensessel zurück, und mit einer bezaubernden Lebendigkeit und feinfühligen Ausdrucksstärke vermittelt ihr noch einmal ihr Bruder den Genuss dieser alten Liebesgeschichte, die sie als  junges Mädchen schon so begeistert hat. 

Olaf verliert selbst das Zeitgefühl, so intensiv nimmt auch ihn die Geschichte in ihren Bann.  Nachdem er über eine Stunde vorgelesen hat, streifen seine Augen dann doch seine Armbanduhr, und er stellt besorgt fest, dass das Abendbrotessen im Altenheim schon beendet  ist.  „Aber mein lieber Olaf, das ist überhaupt nicht schlimm, diese bezaubernde Liebesgeschichte ernährt mich anhaltender und köstlicher, als das versäumte Abendbrot.  Und für solche Notfälle habe ich in meinem Schränkchen immer ein paar gute Kekse auf Lager.“ - „Astrid, meine liebe große Schwester, weißt du noch, wie es in unserer Kindheit war, als ich dir zu Füßen saß und du mir aus den „Märchen der Gebrüder Grimm“ vorgelesen hast?  Und wie ich damals an deinen Lippen hing und immer mehr Märchen hören wollte?  Wie sich die Zeiten ändern können im Leben.  Heute kann ich dir dafür danke sagen.“

Heiß begehrt

In der Enge der Diskotheken dieser großen Stadt fühlten sie sich schon länger nicht mehr wohl.  Vor allem störte es die drei jungen Frauen, dass sie dort niemanden kannten.  Auch mussten sie immer beim Tanz zwischendurch auf die Uhr schauen, damit sie den letzten Bus nicht verpassten, der sie über die Dörfer heimbrachte.  So richtig Spaß hatten sie deshalb auch nicht bei diesem kleinen Samstagabendvergnügen.

Anna, Johanna und Birthe sind kräftig gewachsene fröhliche junge Frauen vom Lande, die auch beim Streichen des angebauten Festsaales im Dorfkrug gerne mithelfen.  Denn in der Vorfreude liegt viel Kraft.  Am späteren Abend gesellen sich auch zwei Jungbauern, nachdem sie die letzten Arbeiten im Stall verrichtet haben, dazu.  Erstaunt bleiben die beiden gelernten Landwirte erst mal im neuen Saal stehen.  Denn so viel Tatendrang bei diesen Malerarbeiten hatten sie in den jungen Frauen nicht vermutet.  Wie geschickt sie den Pinsel am Farbeimerrand erst abstreifen, bevor sie die Ecken und Kanten streichen, denkt der groß gewachsene Andreas vom schönsten Hof im Dorf.  Und wie sicher sie auf der langen Leiter stehen in ihren alten ausgefransten Jeans.  Andreas und sein Freund Markus sind fasziniert von diesen tatkräftigen jungen Frauen.

Am nächsten Tag nach Feierabend bringt Birthe ihren Kassettenrecorder mit flotter Tanzmusik mit.  Der Jungbauer Andreas schafft seine Stallarbeit heute gigantisch schnell.  Meta, seine beste Milchkuh, bekommt heute ausnahmsweise keine Streicheleinheiten über ihren braunweißen Rücken, weil die drei tüchtigen „Malerinnen“ ihn so begeistern.  Aber er staunt, dass sein bester Freund Markus auch schon den Pinsel schwingt.  Zehn fleißige Hände arbeiten im Rhythmus der Musik noch schneller.  Es wird gelacht und auch schon ein schnelles Probetänzchen auf den neuen frischen Fußboden gelegt.

Ein paar Wochen später ist das große freudige Einweihungsfest des selbst gestrichenen und ausgestalteten Saales.  Anna, Johanna und Birthe haben ihre alten Jeans mit bunten weiten Sommerröcken getauscht.  Und auch die Jungbauern sehen auf dem Fest in ihren schneeweißen Hemden und schwarzen kurzen Westen sehr fesch aus.  Aber auch die ältere Generation ist stark vertreten, und sie freuen sich mit den jungen Leuten über diese gelungene schöne Behausung, die heute im bunten Girlandenkleid und Sommerblumenschmuck auf den langen Tischen eine besonders frohe Stimmung ausstrahlt.  Immer wieder fordern die vielen Jungbauern der gesamten umliegenden Dörfer auffallend häufig die Saalmalerinnen zum Tanz auf.  Zu etwas vorgerückter Stunde stibitzt der forsche Andreas eine zauberhafte rosafarbene Rose aus dem angrenzenden halbdunklen Garten, um sie Birthe beim Tango zu schenken.  Und über seine vollen Lippen schiebt er sehnsüchtig  die Frage: „Liebe Birthe, kannst du dir vorstellen, vielleicht einmal einen Bauern zu heiraten?“ – „Ja, ich werde gerne mal Bäuerin, aber diese Frage hat mir heute Abend schon dein Freund Markus gestellt.“

Eine nachahmenswerte Idee

Mit dem Fahrrad oder zu Fuß durchqueren die Schüler und Schülerinnen einen nicht begünstigten Stadtteil der größten Stadt im Norden, wenn sie das Gymnasium erreichen wollen.  Die Häuserfassaden sind teilweise beschmiert und wirken ziemlich vernachlässigt.  Es ist bekannt, dass in diesem Viertel Menschen leben, die sich keine großen Sprünge leisten können.  Ja, etliche finanzieren ihren Lebensunterhalt mit Mitteln aus der Sozialhilfe.  Aber man sieht auch auf den Straßen einige Menschen, die im Rentenalter sind.  Sie wohnen wahrscheinlich hier, weil es hier kleine preiswerte Mietwohnungen gibt.

Sebastian und Katharina bringen es nicht täglich erneut fertig, vor dieser Armut ihre Augen zu verschließen.  Ihre mitfühlenden Herzen drängen sie, etwas Positives auf die Beine zu stellen.  Beide besuchen sie die Oberstufe des Gymnasiums, und sie sind auch in ihrer Kirchengemeinde in der Jungschar und im Kindergottesdienst engagiert.

Sie kommen aus Elternhäusern, in denen sie eine sorgenfreie und behütete Kindheit verlebt haben.  So gebiert die Nächstenliebe eine ganz neue Idee.  Mit einer liebenswerten Hartnäckigkeit rufen sie zu Spenden auf, machen so auf die vielfältigen Probleme im „Armenviertel“ aufmerksam.  Mit mehreren Klassenkameraden klappern sie Firmen und Geschäftsleute ab, immer mit der Spendenliste in der Hand.  Ihre jugendliche Freundlichkeit lässt so manchen Geber tiefer in die Tasche greifen.  In der Schule bringt ein gut besuchter Flohmarkt Geld auf ihr eingerichtetes Spendenkonto.  Fleiß und Freude wachsen an einem gesteckten Ziel.  Aber wie können sie nun das zusammengetragene Geld sinnvoll einsetzen?  Von wem der Vorschlag zuerst kam, an einem Sonntag ganz einfach mit einem großen Topf heißer Suppe anzufangen, kann keiner mehr genau sagen.  Aber das ist für die Jugendlichen auch nicht wichtig.  Sie arbeiten gerne im Team zusammen, sie wissen, dass einer alleine so ein Projekt nicht schaffen kann.  Spaß haben sie schon bei den Vorbereitungen, beim Einkaufen und dem Suppekochen.  An zwei Sonntagen im Monat sind immer genug fröhliche Helfer damit beschäftigt, die köstliche Suppe auszuteilen.  Mit Genehmigung des Schulleiters haben die Einfallsreichen auch einen Raum im Schulgebäude bekommen, der inzwischen zur Begegnungsstätte zwischen den Bewohnern des Stadtteils und der Jugend geworden ist.  Es hat sich schnell herumgesprochen, so wie eine freudige Botschaft, dass in dieser Schule nicht nur an zwei Sonntagen im Monat eine schmackhafte Mahlzeit kostenlos zu haben ist, sondern dass außerdem das menschliche Miteinander, die Gespräche und die freundliche  Atmosphäre in dem umfunktionierten Klassenzimmer hilfreich und somit zu einem begehrten Anziehungspunkt geworden sind.  Ein Rundfunkreporter fragte einen Mann im mittleren Alter, der gerade genussvoll einen Löffel Suppe in seinen Mund schieben will, warum er denn hierher komme.  „Ja, das will ich Ihnen gerne sagen.  Zu essen habe ich in meiner Wohnung auch genug, aber ich kann hier mit Menschen reden, ich kann auch meine Probleme ansprechen, und ich werde nicht ausgegrenzt, weil ich ein Arbeitsloser bin, der dem Staat auf der Tasche liegt.  Die jungen Leute, obwohl sie das Gymnasium besuchen, sind überhaupt nicht überheblich, und sie haben auch keine Vorurteile.  Um es kurz zu sagen, sie haben das Herz auf dem rechten Fleck.  Und darum fühle ich mich in diesem Treffpunkt auch so wohl und angenommen.  Ich bleibe immer gerne bis zum Schluss, helfe den patenten Schülern tatkräftig beim Abwasch und dem Aufräumen des Klassenzimmers.“

Nach dem Gewitter

Schon seit einigen Tagen brütet eine fast unerträgliche Hitze über der großen Hafenstadt.  Zwischen den Häusern in den Straßen zeigen die Menschen so viel unbedeckte  Haut, wie sonst  niemals im Jahr.  Von Tag zu Tag klettert das Quecksilber in den Außenthermometern bis über 30 Grad.  Die Schwüle spannt sich wie ein atemberaubendes Zelt über die Zweimillionenstadt.

 

Alle Menschen warten sehnsüchtig auf ein erfrischendes Gewitter.  Bäume und Pflanzen zeigen deutliche Spuren der langen Trockenperiode.  An einem Nachmittag braut sich endlich ein bedrohliches Unwetter zusammen.  Der Himmel verfärbt sich in ein fast schwarzes Ungeheuer.  Schnell prasseln dicke Tropfen unaufhörlich auf alles, was unter den Wolken wohnt.  Immer wieder grollen kräftige Donner, zucken heftige Blitze, ergießt sich eine Wassermenge von sintflutartigem Ausmaß.  Etwa zwei Stunden wütet das laute schwarze Tier, bellt unüberhörbar, spuckt Feuer, löst Angst aus.  Aus seinem breiten Maul ergießen sich Wassermassen riesengroßen Umfangs.  Die Kanalisation hat „Schluckbeschwerden“, sie ist diesem Druck nicht gewachsen.  Die Straßen überfluten, und Keller laufen voll.  Die Feuerwehr ist fast pausenlos im Einsatz.

Die allein lebende schlanke blonde Frau mittleren Alters, die schon vor vielen Jahren eine schwere Krebsoperation mit anschließenden Bestrahlungen verkraften musste, ist auch von dem Unwetter unmittelbar betroffen.  Auch in ihren Keller ist Wasser hineingelaufen.  Mutig beginnt sie alleine, das Regenwasser aus ihrem Kellerraum zu schöpfen.  Wertvolle Gegenstände sind leider auch in Mitleidenschaft gezogen.  Aber nach einer halben Stunde Schwerstarbeit spürt sie genau, dass sie mit ihren verminderten körperlichen Kräften den Raum alleine nicht trocken legen kann.  Kurz entschlossen ruft sie ihren geschiedenen Mann an, bittet ihn um Hilfe.  Eine viertel Stunde später fassen zwei kräftige Männerhände tüchtig mit an.  Gemeinsam schaffen die Beiden es, dass der Keller noch in der Nacht wasserfrei ist.  „Ich danke dir ganz herzlich, Friedhelm, dass du mir so schnell geholfen hast.“ - „Aber, das ist doch selbstverständlich“, antwortet der große Mann.  Fast schon im Weggehen, sagt Friedhelm dann noch: „Und wenn du wieder mal meine Hilfe brauchst, du kannst mich dann gerne anrufen.“

Diese Beiden können zwar nicht mehr miteinander leben, aber sie üben trotzdem nachbarschaftliche Hilfe.  Und ich sehe, dass in diesem kameradschaftlichen Verhalten sogar ein Stück Nächstenliebe verborgen liegt.  Es ist also möglich, dass trotz einer sehr schmerzhaften Trennung die Gleichgültigkeit und auch  der Hass dennoch keinen Nährboden finden.

Die Glocke

Sie wischt mit dem weichen Staubtuch langsam über den dunklen Schreibtisch, der den hellsten Platz vor dem Südfenster einnimmt.  Draußen vor dem Fenster hängt der Frühnebel seine grauen feuchten löcherigen Kleider in das fast kahle Geäst der alten starken Eichbäume.  Die unwirtliche Stimmung der Natur kriecht  unaufgefordert in ihre zarte Seele.  Wie kann sie ohne Freude und Schwung diesen Tag bewältigen?

Nahe ihrer kleinen Wohnung, die sie erst seit drei Wochen ihr Eigen nennt; die in einem rotbraunen gepflegten Häuserblock liegt, grenzt das große Schulgelände eines Gymnasiums.  Unüberhörbar verbreitet pünktlich auch an diesem grauen Vormittag die Schulglocke ihr unverkennbares Pausenzeichen.  Sofort lässt sie das Staubtuch liegen, eilt erlebnishungrig an das noch größere Balkonfenster, durch das sie einen übersichtlichen Blick auf den gesamten Schulhof genießen kann.  Heute muss der erste Schultag nach den Herbstferien sein, denn seit ihrem Einzug war es bisher sehr still auf dem angrenzenden Gelände.  Die Jungen und Mädchen drängen mit ihrem aufgestauten Bewegungsdrang in die Freiheit.  Der sonst farblose Hof wird in kurzer Zeit durch rote, grüne, blaue und auch gelbe Farbtupfer in eine blühende Sommerwiese verwandelt.  Doch diese jungen farbenprächtigen „Blüten“ können laufen, springen, sprechen, schreien, lachen, und manchmal auch spielerisch raufen.  Kraftvoll wird ein Fußball getreten.  So viel Leben steckt in den Kindern.  Ihre eigenen Kinder sind schon erwachsen und wohnen außerhalb.  Aber durch diese Nähe zur Jugend wird sie wunderbar an ihre eigene Kindheit, besonders an ihre schöne Schulzeit, erinnert.  Plötzlich taucht sie genussvoll in altjunge Erinnerungen ein.  Ja, sie sieht sich mit der Leberwurstschnitte in der Hand, und sie lässt eine Mitschülerin davon abbeißen.  Der Duft der Leberwurst steigt ihr in die Nase.  Mit fliegenden Zöpfen laufen die Mädchen ihrer Klasse, bilden schnell einen Kreis und spielen nach Herzenslust.  Ihr alter Lehrer steht mit einem Hut auf dem Kopf oben auf der Treppe vor dem Schulgebäude und hält zuverlässig die Aufsicht über die vielen sich Tummelnden.  Die Glocke mahnt mit ihrem Gongzeichen das Ende der ersten großen Pause an.  Da schließt sich die Rückblende der eben Verjüngten.  Die bunten Farbtupfer auf dem Schulhof bewegen sich in Richtung Klassenzimmer.  Diese Gymnasiasten beugen sich lachend oder vielleicht einige auch widerwillig dem Gesetz der Pflicht.

Ihr Staubtuch hat sie für lange 20 Minuten vergessen.  Die Verjüngungskur ist unbezahlbar.  Sie singt ein Lied aus ihrer Schulzeit, während sie die letzten Bücher aus dem Karton ins Regal einsortiert.  Die nächste Pause ist von kurzer Dauer.  Nach ein paar Tagen kann sie schon, ohne auf ihre eigene Uhr zu schauen, die Zeit an den Schulpausen ablesen.  Wenn die Schulglocke läutet, das ist für ihre Seele eine zauberhafte Melodie, die sie ins Land der bunten frohen Erinnerungen entführt.

Inzwischen tragen die alten Eichbäume keine Nebelkleider mehr, und auch ihr Seelennebel hat längst der Lebensfreude seinen Platz geräumt.  Welche innere Stimme hat ihr eigentlich dazu geraten, in die unmittelbare Nähe einer Schule zu ziehen?  Man fragt sie nämlich immer wieder, ob der Lärm der Kinder sie nicht stören würde.

Das Geschenk des Regenbogens

Das gelb leuchtende Fahrrad der jungen Postbotin kann sie an manchen Tagen schon durch das Blattgrün der Bäume sehen, wenn sie am Fenster Ausschau hält.  Erwartungsvoll lauscht die Kranke auf die metallernen Briefkastenklappen im Treppenhaus.  „Vielleicht habe ich ja heute einen Kartengruß von den Kindern“, sagt die Mutter halblaut vor sich hin, während sie vorsichtig die Treppenstufen hinab geht.  Mit dem kleinen Schlüssel öffnet sie hoffnungsvoll ihren Briefkasten.  Eine farbenfrohe Ansichtskarte fällt ihr fast entgegen.  An der Handschrift erkennt die allein Lebende gleich ihren längst erwachsenen Sohn.  Die Freude des Nichtvergessenseins lässt sie die Treppenstufen schneller überwinden. Im hellen Wohnzimmer greift die Mutter zum Reiseatlas, der im Bücherregal seinen festen Platz hat. Ihre Augen finden mit Hilfe des rechten Zeigefingers schnell den Ort, in dem sich ihr Sohn und ihre zukünftige Schwiegertochter vor vier Tagen aufhielten.  Ein Flugzeug hat die weite Entfernung verkürzen können. Lange sitzt sie mit der Schottland-Karte am Couchtisch. Die wundervolle Landschaft trägt sie fast hinaus aus ihrer Abgeschiedenheit.  Beim intensiven Anschauen zaubert sich ein gelbgrünblauer Regenbogen in ihre Seele. Den Kindern geht es gut.  Sie lassen sie an ihrem Erleben teilhaben.  So verschenken sie Sonnenstrahlen, die den Tag wärmer und heller machen.  Die lieben Worte, die das Papier trägt, streicheln die Kranke wohltuend. 

In drei Urlaubswochen fliegen sechs farbige Ansichtskarten in ihren Briefkasten.  Weil ihre Kinder sich nicht an einem Ort aufhalten, sind diese geschickten Luftpost Grüße auch ein Lebenszeichen.  Nach dem zweiten geschenkten „Regenbogen“ nimmt die Anteilnehmende aus ihrem reich bestückten Bücherregal den umfangreichen Band „Die schönsten Reiseziele an der See“, zum intensiven Studieren heraus.  So erfährt sie von der großen Vergangenheit und dem manchmal grauen zarten Nebelschleier, dem Zauber Schottlands.  Viele brillante Fotos bewirken ein Staunen und verwöhnen sie mit wunderbaren Einblicken in das Land, in dem ihre Kinder jetzt unterwegs sind.  So füllt die Mutter etliche Stunden sinnvoll mit der Geschichte des abwechslungsreichen Nordlandes.

In der Vorfreude auf den angekündigten Besuch ihrer weit gereisten Nordlandfahrer entsteht in der stillen Wohnung unter den geschickten Händen der Mutter eine eindrucksvolle Collage aus den sechs farbenfrohen Ansichtskarten der verschiedenen Reiseabschnitte, mit der sie ihre Kinder überraschen will.

Der Freudekreis

    Sie läuft die Treppenstufen eilig herunter, weil jemand bei ihr geklingelt hat und sie zu dieser Tageszeit vermutet, dass es der Briefzusteller ist.  Mit einem Maxibrief in der Hand, sagt der junge Mann lächelnd: „Der passt nicht glatt in ihren Briefkasten und auf dem Umschlag steht mit Rotstift geschrieben, bitte nicht knicken!“ – „Junger Mann, ich danke ihnen für ihren aufmerksamen Service.“  Schnell hat die Neugieriggewordene den braunen festen Umschlag mit der Schere aufgeschlitzt, und ihre Augen haben schon beim Hinaufgehen die Handschrift einer Freundin entdeckt.  Leuchtend rote, gelbe und orangefarbene Tulpen aus Tonpapier im grünen Blätterkleid kommen zum Vorschein.  Elisabeth, die fleißige und kreative Bastlerin hat einen bunten Strauß geschickt, der Freude in ihrem Herz entfacht.  Zärtlich zupft die Beschenkte die Blüten und Blätter auseinander und sie stellt die Freude in einen schlichten weißen gefälligen Übertopf, der einen Ehrenplatz auf der Fensterbank im Wohnzimmer bekommt.

In den nächsten Wochen bemerken alle Besucher, gleich wenn sie das Wohnzimmer betreten, die attraktiven Tulpen und sie freuen sich an ihren Farben und ihrer Schönheit.  Eines Tages jedoch bleibt Helga, eine andere Freundin, die in der gleichen Stadt wohnt, wie verzaubert an diesem Papiertulpenstrauß stehen.  Die Besitzerin bemerkt ihren unausgesprochenen Wunsch, und sie schenkt Helga eine orangefarbene Tulpe im grünen Blätterkleid.  Mit der einen Tulpe in der Hand bedankt sich die Freundin mit einer liebevollen Umarmung.

Auf der Heimfahrt in der Stadtbahn überlegt Helga schon, wie sie diese eine Blume vermehren kann.  In dem Alten- und Pflegeheim, in dem Helga schon viele Jahre tätig ist, arbeitet auch eine Beschäftigungstherapeutin.  Das prachtvolle Musterstück ist schnell aus der Hand verschenkt, die loslassen kann.  Und Helga bekommt ein zartes Streicheln auf ihre Wange.  Die junge Therapeutin freut sich riesig über die bezaubernde neue Bastelanregung, und sie kauft Tonpapier in größeren Mengen ein.  

In der nächsten Therapiestunde wachsen unter der Anleitung der Beschäftigungstherapeutin und den fleißigen Händen der betagten Senioren große und kleine Tulpen in rot, gelb, orange und sogar weiß.  So füllen sich schnell Vasen, Krüge und Übertöpfe für die Aufenthaltsräume und den großen Speisesaal.  Eine Bastlerin äußert den verständlichen Wunsch: „Wir sollten eine Tulpe jedem Bewohner ins Zimmer stellen, dafür schneide ich noch gerne in den nächsten Tagen stundenlang Blumen aus.“  So bekommt die Freude weite Flügel.  Bei der nächsten Dienstbesprechung berichtet eine Pflegerin, dass eine bettlägerige hoch betagte Dame richtige Glanzpunkte der Freude über die eine rote Tulpe aus Papier, von lieber Menschenhand gebastelt, in ihren Augen hatte.

Die treue Helga kommt zur Lesung ihrer Freundin und sie überreicht nach dem Applaus der Zuhörer eine langstielige Schönheit in hellem Rot und in Tulpenform geschnitten mit einer innigen Umarmung der eben noch Vorlesenden.  Blitzartig schießt es der Beschenkten durch den Kopf, dass sich ein großer Kreis der Freude zunächst mit dieser Geste geschlossen hat.  Und auf dem Heimweg wird sie von dem Gedanken bewegt, dass Hände, die loslassen können, immer wieder neu gefüllt werden.

Eine glückliche Stunde

Meine Wanderung durch den herbstlich bunt gefärbten Mischwald genieße ich stundenlang alleine.  Der weiche Waldboden federt unter meinem leichten Schritt, und mein Herz ist froh gestimmt in diesem wunderbaren Naturparadies.  Immer wieder löst sich ganz leise ein gelbes oder braunes Blatt von den Bäumen, um mit einem Hauch von Melancholie auf den dunklen pilzwürzigen Boden zu tanzen.  Ein schwacher Wind spielt verträumt mit dem jahresneuen farbenprächtigen Blättersegen.  Vom Wind inspiriert, wirbele auch ich, wie einst in meiner Kindheit, mit meinen beschuhten Füßen die raschelnden Blätter durcheinander.  So entsteht ein unverkennbares Geräusch, das eine alte lustige Musik in meine Ohren zaubert, die mich in meinen frühen Lebensjahren jauchzen ließ.

Etwas bergab führt mich mein Weg an rot leuchtenden Hagebuttensträuchern und vollreifen, fast schwarzen Holunderbeeren vorbei.  Die Vormittagssonne wird langsam kräftiger und zaubert jetzt einen verführerischen Glanz auf alle Früchte und sämtliche Blätter der verschiedenen Baumarten.  Fast von diesem Farbenspiel berauscht und so in Gedanken versunken, überrascht mich plötzlich ein besonders frisches „Guten Morgen“.  Auf einer etwas versteckten Bank im Schatten, unter einem kleinen Dach, sitzt geschützt ein hoch betagter Mann.  Ich erwidere den morgendlichen Gruß sehr freundlich, und dann fragt mich mein Gegenüber, das sich leicht über seinen Gehstock beugt: „Haben Sie auch Steinpilze gefunden?“ – „Nein, von Pilzen verstehe ich nicht so viel, da bin ich etwas unsicher.“  Mit seiner rechten Hand macht mein neuer Gesprächspartner eine einladende Geste, und sein Mund formuliert eine fragende Einladung: „Wollen Sie sich nicht ein bisschen zu mir hier auf die schöne Bank setzen?“  Und ich will.  Das körperliche Ausruhen kann ich nach der langen Wanderung gut gebrauchen, während der geistig sehr rege 83jährige mir offenherzig aus seinem bewegten Leben erzählt.  Eine herrliche Lebendigkeit spiegelt sich in seinen wachen Augen.  Er sei früher im Ruhrgebiet selbständiger Goldschmiedemeister gewesen.  Aber nebenbei habe er immer mehrere Instrumente gespielt.  Ich höre gerne zu, und ich habe keine Eile.  In diese gelassene Atmosphäre hinein, wirft der völlig aufgetaute, sonst schon vereinsamte Mann die Bitte: „Darf ich ihnen in meiner nahen Wohnung auf meiner Gitarre etwas vorspielen?“ – „Ja, sehr gerne.“  Vertrauensvoll gehen wir beide nebeneinander zum dicht gelegenen Seniorenheim.  Der kleine schlanke Mann schließt sein wohnliches Reich auf, und meine Augen fühlen sich sogleich beschenkt in diesem selbst gestalteten Zuhause.  Pastellfarbene Aquarelle, die unter seinen Händen entstanden sind, zieren die Wände.  Ein schwarzer selbst geschmiedeter Wandleuchter zeugt von Kreativität und fachlichem Können.  Ich darf in dem grünen bequemsten Sessel Platz nehmen, und dann lehne ich mich genießerisch in die weichen Polster zurück, schließe für ein paar Minuten meine Augen, um das herrliche Gitarrenspiel besser in mich aufnehmen zu können.  Hingebungsvoll zupft der ehemalige Goldschmiedemeister auf den zarten Saiten seines Instruments, und ich singe schon bald mit meiner Altstimme dazu, darauf stimmt der Musizierende auch mit ein.  Alte deutsche Volkslieder schmettern wir beide aus vollem Herzen.  Auf dem Bett verpackt liegt noch eine große Gitarre.  Und der Junggebliebene fragt mich: „Darf ich Ihnen auch noch auf meiner schönsten Gitarre ein wenig vorspielen?“  Ich lasse mich gerne mit dem zauberhaften „Solveigs Lied“ von Edvard Grieg beschenken.  Jetzt sehe ich aber sehr aufmerksam den Glanz, den die Freude in menschliche Augen zaubern kann, bei meinem Gitarristen strahlen.  Nachdem der letzte Ton verklungen ist, holt der Hochbetagte mit erstaunlich flinken Bewegungen ein Fotoalbum aus dem hohen Bücherbord.  Interessiert schaue ich mir die kostbaren Erinnerungsstücke aus dem langen Leben dieses außergewöhnlichen Mannes an.  „Ich will sie ja nicht hinauswerfen, aber ich muss gleich zum Mittagessen gehen, denn hier im Heim müssen wir immer pünktlich am Esstisch sitzen.“  Wir stehen uns dicht gegenüber.  Die Freude ist es, die mich diesen Mann so innig und herzlich in meine Arme schließen lässt.  Und auch ich werde kräftig an sein Herz gedrückt.  „Sie glauben gar nicht, wie kostbar diese Stunde für mich ist.  Sie haben mich heute richtig glücklich gemacht.“ – „Ich habe ihnen zu danken, für diese seltene innige Begegnung.“  Reich beschenkt trete ich den Rückweg meiner Wanderung mit gefülltem Herzen an.

Helfende Hände

Kürzlich hatte ich zu einer etwas größeren Feier etliche Bekannte, Verwandte und Freundinnen zu uns eingeladen.  Der Anlass war mein Geburtstag, unser Hochzeitstag und vor allem das Erscheinen meines zweiten Buches.  Die herzlichen Einladungen zu diesem gemütlichen Beisammensein waren schnell mit der Post verschickt.  Es trudelten viele Zusagen und auch einige Absagen auf dem postalischen leisen Weg oder dem schrillen fernmündlichen, bei mir ein.  An einem Abend sagte auch eine langjährige Freundin bei mir per Telefon zu.  Wir unterhielten uns über vieles.  Aber meine Freundin wollte auch unbedingt einen Wunsch für ein Mitbringsel aus mir „herauskitzeln“.  Da sagte ich ganz gerade und ehrlich heraus, was ich mir wirklich von ihr wünsche: „Liebe Ingrid, ich wünsche mir von dir, dass du vielleicht schon zwei Stunden eher als die anderen Gäste kommst, um mir bei den Vorbereitungen tatkräftig zu helfen.“  Spontan kam die Antwort: „Das mache ich sehr gerne, aber sag doch mal, was ich dir schenken kann?“  Und sie schob noch einen Stoßseufzer hinterher.  „Ich kann doch nicht mit leeren Händen kommen!“  Für einen kleinen Moment des Nachdenkens war Stille in der Telefonleitung.  Doch dann sagte ich mit fester Stimme: „Ingrid, du kommst nicht mit leeren Händen, deine Hände sind voll gefüllt mit Fleiß und Tatkraft.“

 Dieses Versprechen wurde dann auch in die Tat umgesetzt.  Gemeinsam standen wir in der Küche, putzten emsig Paprikaschoten, schälten Kiwi-Früchte und dekorierten die kalten Platten.  Als meine Freundin so mit der vorgebundenen Schürze neben mir fleißig mit dem kleinen Küchenmesser hantierte, fielen meine Augen immer wieder auf ihre zupackenden Hände.  Bevor die ersten Gäste zur Tür hereinkamen, hatten wir noch eine gute halbe Stunde Zeit zum Ausruhen.  Eine weitere Freundin brachte als Geschenk zwei selbstgebackene köstliche Obstkuchen mit.  Diesen Wunsch hatte ich auch ehrlich geäußert.  Dadurch war ich vom Backen befreit.  Ein anderer Gast schenkte mir, uns allen, seine musikalische Begabung.  Er begleitete uns beim Singen alter deutscher Volkslieder auf seiner Ziehharmonika.  Als das gelungene Fest an diesem warmen Sommerabend ausklang, verschenkten die alten englischen zartrosafarbenen Buschrosen im verwunschenen Garten noch ihren zauberhaften Duft an die hereinbrechende Dunkelheit.  War es ein Sommernachtstraum?  Meine Augen staunten jedenfalls, als Gläser, Teller und Tassen nach der Feier von vielen Händen abgeräumt und in die große Küche getragen wurden.  Während ich noch von den übrig gebliebenen leckeren Köstlichkeiten so manchem Gast ein Päckchen frisch eingepackt mitgab, sah ich dann nur noch den als Geschenk mitgebrachten wildnatürlichen Feldblumenstrauß auf dem riesigen Esstisch stehen.  Noch mehr glaubte ich zu träumen, als ich in die Küche kam.  Meine treue zuverlässige Freundin war schon mitten beim großen Abwasch.  Ich schwang das Geschirrtuch, und wieder sah ich auf ihre fleißigen Hände, die geschickt und schnell die vielen  Teller und Tassen spülten.  Und da kam mir ihr Ausspruch vom Telefonat in meinen Sinn: „Ich kann doch nicht mit leeren Händen kommen.“  Diese gefüllten Hände, voller Hilfsbereitschaft, Tatkraft und Umsicht!  Welch liebevolles Geschenk hat sie mir doch mitgebracht!

Heiße Würstchen und Bier

Pünktlich fährt der Zug in den großen Hauptbahnhof ein.  Die alte Frau ist froh, dass die Rolltreppe an diesem Abend funktioniert, die sie Kraft sparend auf die gewünschte Etage befördert.  Denn das linke Knie bereitet der agilen Alleinlebenden schon länger Beschwerden.  Bevor die Heimkommende jedoch die bequeme Treppe verlässt, erblicken ihre wachen Augen ein Schild mit der Aufschrift: „Heiße Würstchen und Bier“.  Da bekommt sie plötzlich einen richtigen Heißhunger auf das verlockende Angebot.  Der Kauf in dem Imbissladen ist schnell getätigt.  In dem Moment, in dem die Frau, Bier und Würstchen auf den Stehtisch stellt, kommt ein unbekannter Mann, von etwa 40 Jahren an den gedeckten Tisch.  Mit seinem traurigen Blick trifft er gleich ins Herz der mütterlichen Frau.  Spontan bietet sie ihm das noch unberührte Gekaufte an.  Doch zunächst schaut der fremdländisch Aussehende die Warmherzige ungläubig an.  Nachdem sie ihn noch einmal zum Verzehr von Würstchen und Bier ermuntert, beißt er in das heiße Würstchen.  Die Kontakfreudige holt sich gleich eine neue Portion, und so können sie sich beide stärken, während sich zwischen einem Schluck kühlem Bier und einem Bissen heißer Würstchen ein Gespräch entwickelt.  Dieser Dialog ist nur möglich, weil Hände und Füße und vor allem die Sprache der Augen, ausdrücken, was sie beide einander sagen möchten.  Der Mann, der noch in der Blüte seines Lebens steht, ist ein Flüchtling aus Albanien und hat wenig Geld.  Beim Verabschieden legt er seinen aufrichtigen Dank, für die alte Frau unübersehbar, in seine strahlenden dunklen Augen.  Am folgenden Tag erzählt die Frau diese kleine Geschichte ihrer Freundin.  Und der Schlusssatz lautete wörtlich: „Ein wenig Angst hatte ich schon bei dieser Begegnung mit dem Fremden, aber der Mann sah überhaupt nicht böse aus.“

Wandsbeker Chaussee 347

Unter einem roten Ziegeldach leben acht Familien fünfzehn Jahre miteinander in Eintracht.  Herta Stettner ist die Älteste unter den Hausbewohnern.  Die über Achtzigjährige wohnt, seit dem Tode ihres Mannes, ganz alleine in der schönen geräumigen Wohnung mit Balkon im vierten Stockwerk.  Wenn sie mit ihrem Einkauf in der Tasche die Treppenstufen langsam hinaufsteigt, macht sie gerne bei Elsbeth Wigand in der zweiten Etage eine kleine Verschnaufpause.  Dies geschieht aber in erster Linie aus dem Urbedürfnis aller Menschen heraus, sich dem anderen mitzuteilen und somit auch das Sprechen nicht ganz zu verlernen.  Denn im Supermarkt hat die beschäftigte Verkäuferin nicht einmal ihr freundliches „Guten Morgen“ erwidert.  Doch Frau Wigand ist eine verständnisvolle Nachbarin, die auch aus eigenem Entschluss zusätzlich fast jeden Tag zu der Alleinlebenden hinaufgeht, um sich nach ihrem Ergehen zu erkundigen.  Diese einfühlsame Frau kann es sich lebhaft vorstellen, wie es sein muss, wenn man sich immer wieder einsam fühlt.  Und sie und ihr Mann nehmen Herta Stettner auch manchmal in ihrem Auto zu einer Fahrt ins Grüne mit.  Zwei Tage nach so einem schönen Ausflug jedoch findet Elsbeth Wigand ihre hoch betagte Nachbarin in einem angeschlagenen Gesundheitszustand.  Die alte Frau liegt mit einer schweren Darmgrippe im Bett.  Die Frau mit dem warmen Herzen  tröstet die Alleinlebende mit Worten, macht ihr Mut, wünscht „Gute Besserung“ und verschwindet schneller als sonst aus der Wohnung der Kranken.  Jedoch nimmt sie die Wohnungsschlüssel mit.  Mit einem kleinen Topf voll Haferschleimsuppe und einem frisch geriebenen Apfel erscheint die Barmherzige nach kurzer Zeit wieder bei der Bettlägerigen.  Ganz selbstverständlich pflegt sie die Erkrankte bis zu ihrer Genesung. Das ist für Elsbeth Wigand das Selbstverständlichste auf der Welt.  Und die allein lebende Nachbarin fühlt sich in diesen Krankheitstagen besonders geliebt und geborgen.

Etwa ein Jahr später wird Elsbeth Wigand ohne Vorankündigung von ihrem langjährigen Ehemann von heute auf morgen verlassen.  Dadurch ist sie, genau wie die Witwe Stettner, eine weitere Alleinlebende in diesem Hause.  Und so eine Hiobsbotschaft spricht sich natürlich schnell in dieser Anteil nehmenden Hausgemeinschaft herum.  Die verlassene Ehefrau lernt jetzt alle anderen Mieter dieses Wohnhauses noch intensiver kennen, als je zuvor.  Der freundliche Rentner aus der Wohnung gegenüber pflanzt leuchtend rote Begonien in die Blumenkästen und trägt sie fürsorglich auf den Balkon der trauernden Frau.  Natürlich trauert Elsbeth Wigand um den Verlust ihres Mannes, aber dennoch ganz anders als die Witwe Stettner.  Bei der einen Frau ist der Tod der Auslöser für ihre Trauer gewesen, während Elsbeth Wigand ihrem Mann Egoismus und Untreue vorwerfen könnte.  So jedenfalls hatte sie sich ihren Lebensabend nicht mal in ihren schwärzesten Träumen vorstellen können.  Ihr Mann hat sie wegen einer jüngeren Frau verlassen.  Schwer ist es für sie, mit dieser ganz neuen Lebenssituation fertig zu werden.  Aber überraschenderweise erlebt Elsbeth Wigand in diesem plötzlichen Verlassensein so viel herzliche Anteilnahme und liebesvolles Entgegenkommen von allen Mitbewohnern des Hauses, so dass die Freude in ihr nicht stirbt und sie Gott sei Dank auch nicht bitter wird. 

Eines schönen Tages klingelt Herr Pütter wieder an der Korridortüre der stets freundlichen Siebzigjährigen, und bietet ihr seine handwerklichen Dienste an.  In der Küche tropft ihr Wasserhahn schon ein paar Tage, und den Heizungskörper im Wohnzimmer streicht der fleißige zuvorkommende Rentner schon am Nachmittag, nachdem er mit Elsbeth Wigand nicht nur weißen Lack, sondern auch im Supermarkt die schweren Lebensmittel einkauft und mit seinem Auto nach Hause fährt. Während Herr Pütter sich von Elsbeth an diesem Tage verabschiedet, sagt er noch ganz nebenbei: „Sie können jederzeit bei mir klingeln, wenn Sie Hilfe brauchen.“  Ein paar Wochen später ergibt es sich, dass Frau Wigand auf ihrer Nähmaschine für Herrn Pütter zwei Hosen und für seine stark sehbehinderte Frau einen Rock ändert.  Diese gegenseitige selbstverständliche Hilfe empfinden alle Beteiligten als etwas Wunderbares.

Als Elsbeth wieder mal von einem Arztbesuch zurückkommt, verspürt sie keinerlei Lust, sich noch ein richtiges Mittagessen zu kochen.  „Für mich alleine lohnt der ganze Aufwand doch gar nicht“, sagt die Heimgekommene in die Stille ihrer niedlichen Küche hinein.  Unkompliziert streicht sie sich eine Scheibe Brot und kocht sich eine Tasse Kaffee dazu.  Während sie so verloren am Küchentisch sitzt und ihren Hunger stillt, erkundigt sich Herta Stettner nach ihrem Befinden.  Die aufmerksame Nachbarin erfasst gleich die Situation, in der sie sich selber nur viel zu oft befindet und darin auch nicht wohl fühlt.  Schnell stellt Frau Wigand das Radio ab, ist so froh, dass sie von dieser Nachbarin so besonders gut verstanden wird.  Elsbeth fühlt sich in der Nähe der Achtzigjährigen mütterlichen Frau geborgen.  Darum geschieht es wohl auch, dass sie endlich ihre Trauer auch nach außen herauslassen kann.  Tränen brechen sich eine Bahn, und ihr Gegenüber ermutigt sie: „Weinen sie sich bei mir ruhig mal richtig aus.  Ich weiß, wie erlösend das ist.“  Elsbeth fühlt sich liebevoll aufgefangen, und sie spürt die warme Hand der tröstenden Frau auf ihrem Rücken.  Die verlassene Ehefrau kann ihren ganzen Kummer in der Stunde der intensiven und wertvollen Begegnung ungeschminkt zeigen.  Herta Stettner hat beim Abschied aber noch eine Idee, die sie sich gut überlegt hat.  „Was halten Sie davon, wenn wir beide uns mit dem Mittagessenkochen abwechseln würden?  Ich mag nämlich auch nicht so gerne alleine vor meinem Teller sitzen.  Und ich denke, dass ich dann auch wieder mehr Spaß am Kochen hätte.“ – „Auf diesen wunderbaren Vorschlag möchte ich mit einem Gläschen Sekt mit Ihnen anstoßen.“  Beide Frauen erheben sich feierlich von ihren Stühlen, stoßen ihre Gläser zart gegeneinander und nennen sich ganz natürlich mit ihrem Vornamen.  „Liebe Herta, dann verrate mir doch noch schnell dein Lieblingsgericht, ich möchte es nämlich gleich morgen für uns beide kochen.“

Die beiden lebenserfahrenen Frauen lassen einander trotz aller Verbundenheit in den nächsten Monaten ihre Freiheit.  Die gemeinsamen Mittagsmahlzeiten genießen sie in vollen Zügen.  Aber es wird kein Muss daraus.  Sie sprechen sich immer wieder erneut ab.  Dieses partnerschaftliche Verhalten bekommt den vertrauten Nachbarinnen äußerst gut.  Herta fährt auch gerne mal ein paar Tage zu ihrem Sohn.  Und wenn sie von der Reise zurück ist, kann sie sich bei Elsbeth an den gedeckten Tisch setzen.  Eines Abends sitzen dann sogar drei Frauen aus diesem Haus bei Elsbeth in der gemütlichen Wohnung.  Die ganz  junge Frau flieht aus der Einsamkeit ihrer eigenen Wohnung, während ihr Mann bei der Bundeswehr seinen Dienst absolviert.  Und sie findet bei den beiden Reiferen bereitwillig Aufnahme und Geborgenheit.  Sie reden über Gott und die Welt, schauen nicht auf die Uhr, und in dieser wärmenden Nähe wird besonders Elsbeth Wigand zum ersten Mahl bewusst, dass das Alleinleben durchaus auch positive Seiten hat.  Jetzt braucht sie nicht mehr auf ihren Mann so viel Rücksicht nehmen, kann, wenn sie es möchte, wie heute, die halbe Nacht nach Lust und Laune feiern.  Zwei Tage später steht vor Elsbeth Wigands Wohnungstüre ein blaues entzückendes Usambara-Veilchen.  Etwas versteckt findet die Beschenkte beim näheren Hinschauen ein Papierherz, auf dem das eine kleine Wort „Danke“ steht.  Sie spürt auch, dass es für sie durchaus bekömmlich ist, mit möglichst vielen Menschen Kontakte zu pflegen.  Die von der Ehe Enttäuschte will in Zukunft nicht mehr all ihre Liebe und Zuwendung nur einem Menschen schenken.  Elsbeth Wigand arbeitet auch wieder mehr als zuvor in ihrer Kirchengemeinde mit Freuden und Engagement mit.  Im Sommer unternimmt sie viele wunderschöne Ausflüge mit dem Frauenkreis, den sie leitet.  So viel Zeit hatte sie früher, als sie noch ihren Mann versorgt hat, nicht in diese sie ausfüllende Arbeit investiert.  Und sie macht auch wieder vermehrt Krankenbesuche.  Es profitieren tatsächlich viele Menschen von ihrem Verlassenwordensein.

Erstaunlich und heilsam zugleich ist es, dass Elsbeth keinen Hass, keine Wut, keinerlei Rachsucht ihrem Mann gegenüber empfindet.  Ich denke, dass ihr das nur möglich ist, weil sie jeden Tag aus ihrem festen und lebendigen Glauben lebt.  Sie sagte kürzlich zu mir: „Und wenn ich mal zwischendurch nicht mehr weiterweiß, dann hilft mir ein spontanes Gebet, damit ich wieder lieben kann.  Und zu meinem großen Glück wohne ich ja im Hause Wandsbeker Chaussee 347, da hilft einer dem anderen ganz selbstverständlich.“

Eine beglückende Überraschung

Amseln flöten bezaubernd in den alten Linden, die mit Stolz ihr hellgrünes Frühlingskleid tragen.  Ich möchte mich von dieser Erneuerung in der Natur anstecken lassen.  Aber ein nötiger Krankenhausaufenthalt hat mich viel Kraft gekostet.  Mit eiserner Disziplin will ich Briefe beantworten, weil ich weiß, dass jegliches Schreiben mir Freude bereitet.

Den ersten Gedanken tippe ich bedächtig in meinen Computer.  Da klingelt im Wohnzimmer das Telefon.  Meine jüngste Tochter meldet sich am anderen Ende der Verbindung.  Ihre melodische Stimme ist mir schon 33 Jahre vertraut.  Wie schnell ist aus dem kleinen fröhlichen Mädchen eine ausgewachsene tüchtige Frau geworden.  Sie knüpft an meine Gedanken zu ihrem erst kürzlich gefeierten Geburtstag an.  „Mutti, du hast mir den Rat einer reifen Frau gegeben, nämlich deinen Rat, zu bedenken, dass ich, wenn ich einen Kinderwunsch verspüre, ihn nicht verdrängen soll, weil es in ein paar Jahren wohl zu spät für mich sein könnte, dass dieser Wunsch sich noch erfüllt.  Also, ich bin schwanger, und wir erwarten im Oktober unser erstes Wunschkind.“ – „Liebe Gundula, dass ist ja eine himmelhoch jauchzende Mitteilung, so richtig zum Mitfreuen geschaffen.“ – „Darum rufe ich dich auch jetzt schon an, liebe Mutti, weil ich weiß, dass es dir nicht so gut geht.“ - „Herzlichen Dank, dann habe ich ja das große Glück, noch einmal mit 67 Jahren Großmutter zu werden.“

Nach dem Telefongespräch fliegt die Vorfreude wie ein gelber kleiner Schmetterling in meine Seele, der mir seine Flügel schenkt.  Ich suche aus dem Bücherbord zwei Bücher: „Die ersten neun Monate“ und ein weiteres Buch mit 3.865 Vornamen für meine glückliche Tochter heraus.  Weil wir keinen Speicher mit einer Wäschetruhe besitzen, konnte ich leider keine Babykleidung von meiner Jüngsten aufbewahren.  Jetzt hätte ich weiße Hemdchen und Jäckchen, und eine gelbe Ausfahrgarnitur gerne von der Mutter auf das zu erwartende Baby weitervererbt.  Wenn Gundula jetzt aber einen Rat von mir haben möchte, will ich ihr gerne zur Seite stehen.  Immerhin habe ich mit vier Kindern viele verschiedene Erfahrungen gesammelt und auch bis heute sehr lebendig im Gedächtnis abgespeichert.  Aber ich werde mich nicht bei meiner jüngsten Tochter in die Pflege und Erziehung des neuen Enkelkindes einmischen.  Vor sieben Jahren habe ich es bei meiner älteren Tochter genau so gehalten.  Denn die Ansichten haben sich im Laufe der vergangenen vielen Jahre sehr verändert.

In meiner großen Vorfreude sehe ich manchmal schon das gewünschte Enkelkind, wie die glückliche Mutter es auf dem Schoß zärtlich wiegt und es mir, der Großmutter, auch in den Arm legt.  Welch ein Gefühl ist das, wenn ich es erleben darf, wie unsere Tochter und der Schwiegersohn sich fortpflanzen.  Auch die Großeltern bekommen dadurch mehr Nachkommen.  Zwei Großväter und zwei Großmütter sind daran beteiligt.  Da wird doch schließlich eine neue Generation geboren!  Das heißt doch auch, dass unsere Familien nicht aussterben.  Und dieser kleine Erdenbürger ist heiß ersehnt! - Jetzt sehe ich einen üppigen Stammbaum mit farbigen Blättern.  Die Großeltern im Spätherbst ihres Lebens haben schon braune, aber auch ein paar goldene Blätter an den etwas dürren Zweigen.  Im Frühsommer stehen die Eltern und biegen sich geschmeidig im Lebenswind, sie tragen rote, gelbe und grüne Blätter.  Auf ihren kräftigen Zweigen wiegen sie ihr Neugeborenes fürsorglich und beschützend vor Kälte, Wind und Regen.  Und unter der Erde wachsen frische zarte Wurzeln vom jüngsten Nachkommen am großen Familienbaum.  Schau, der Baum trägt wundervolle weiße Blüten!

Trost: „Du bist bei mir...“

Eine Umfrage in der Frauenzeitschrift „Laura“ brachte es ans Tageslicht: Fast jeder zweite Deutsche fühlt sich in der Situation, in der sein Trost gewünscht ist, überfordert.  Es wurden über eintausend Männer und Frauen im Alter zwischen 25 und 60 Jahren befragt.  Viele Menschen würden ja gerne helfen, aber sie wissen nicht, wie man denn glaubwürdig und hilfreich tröstet.  So ziehen sie sich oftmals  zurück, und sie sind erleichtert, wenn ein anderer Mensch ihnen diese schwere Seelenarbeit abnimmt.

Ich denke zurück an die vielen Jahre, in denen ich in erster Linie Familienmutter war.  Aus dieser Erfahrung behaupte ich, dass fast alle Mütter aus der bergenden Mutterliebe heraus ihre weinenden und auch kranken Kinder trösten können. Sie nehmen das schreiende Kind aus dem Bettchen, drücken es liebevoll an ihre Brust, küssen es im Gesicht und am ganzen Körper, sprechen mit einer weichen Stimme Koseworte, später schaukeln sie das Kind auf ihrem warmen schützenden Schoß, singen ein heiteres Kinderlied, und alle Tränen werden schnell getrocknet.  Mütter verstehen die Bedürfnisse ihrer Kinder, auch wenn diese noch nicht sprechen können.  So einfach und natürlich ist es, kleine Kinder zu trösten.

Warum ist es später nicht mehr so leicht, erwachsene Menschen zu trösten?  Vielleicht, weil so mancher uns zunächst Scheinstärke vorspielt.  Aber wenn ein trostloser Mensch sich direkt an mich wendet, muss ich ihn ernst nehmen.  Ich darf ihn nicht mit gängigen Sprüchen abspeisen, vielleicht diesem: „Die Zeit heilt auch deine Wunden.“  Wenn ich mich einfühlsam auf ihn einlasse, kann ich seine Tränen, seine Not aushalten, einfach zuhören und ihm anbieten, dass er sich jederzeit an mich wenden kann, wenn er mich braucht.  Wenn ich bereit bin, das Leid mit dem Anderen zu teilen, erforderlichenfalls auch zu schweigen, seine Trauer auszuhalten, dann kann allmählich Trost wachsen.  Wer Nächstenliebe übt, der kann gewiss auch trösten.  Manchmal genügen schon kleine Gesten des Nichtvergessens: ein lieber Anruf, ein Besuch oder ein Topf warme Suppe.  Diese Zuwendungen können sehr wohl trösten.  Wo der andere merkt, dass er mir wichtig ist und ich  mich um ihn kümmere, da kann die Saat des Trostes aufgehen.  Der Volksmund sagt das so: „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“

Und was geschieht mit mir, wenn es mir schlecht geht?  Kann ich mich selber trösten?  Auch ich brauche in schweren Situationen, in einer trauernden Lebensphase den einfühlsamen liebevollen Mitmenschen, der bereit ist, meine Tränen, meine Klagen auszuhalten, der mich ernst nimmt und mit mir ein Stück meines Weges gemeinsam geht, der die wunderbare Gabe der Geduld an mir übt und der verlässlich an meiner Seite bleibt, auch wenn ich ihn sehr belaste.

Der 23. Psalm ist vielleicht deshalb der bekannteste, weil so viel Tröstendes über Gott darin ausgesagt wird: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir...“  Wenn diese Worte trösten können, dann ist es das kostbarste Gnadengeschenk unseres Schöpfers.

Zwischen Muscheln und Seetang

Diese wahre Geschichte hat mir meine liebe Nachbarin erst heute anvertraut.  Den Fingerring mit dem bläulichweiß schimmernden Mondstein habe ich schon länger an ihrer rechten Hand bewundert.  Nun will ich Ihnen aber erzählen, wie diese ältere Dame zu dem einmaligen Schmuckstück, das zunächst ohne kostbare Perle war, kam.  

Vater, Mutter und drei hübsche Töchter leben in Lübeck an der Trave.  Die ganze Familie zieht es immer wieder an die erfrischende Ostsee.  Jeden Monat zahlt der Alleinverdiener heimlich einen nicht unerheblichen Teil seiner Beamtenvergütung auf ein Sparbuch ein.  Er möchte seiner Familie damit irgendwann einmal einen Wunschtraum erfüllen können.  Eines Tages wird ihm von einem Berufskollegen ein preiswertes älteres  Sommerhaus, dicht am Ufer des blaugrünen Meeres, angeboten.  Diese einmalige Chance packt er beim Schopfe.  Das Häuschen ist nicht sehr groß.  Doch die frische Brise, der feine helle Sandstrand, der große Teich voller Wasser zum Spielen für die Töchter und die Weite des Himmels werden allen gewiss Freude und Erholung bringen.  Die Mutter macht sich gleich voller Tatendrang ans Häkeln weißer Scheibengardinen für die kleinen Fenster.  Während der stolze Hausbesitzer in den ersten Urlaubstagen auf der Leiter mit Farbeimer und Pinsel steht, gleitet sein Blick immer wieder über die vom Ostwind getriebenen Wellen mit ihrer berauschenden Wassermusik.  „Wunderbar sind diese Naturgeschenke, Kinder“, ruft der emsige Maler seinen spielenden Töchtern zu.  Im ockerfarbenen Sommerhaus gelingt es den Eltern, eine fröhliche und behagliche Atmosphäre zu schaffen.  

An den Sonntagen und in den Schulferien, wenn der Vater seinen Jahresurlaub bekommen hat, sind die sieben Sachen schnell eingepackt.  „Kinder, macht schnell, wir wollen doch so gerne die große Ostsee richtig kennen lernen“, so schließt der Vater die ganze Familie in seine Begeisterung mit ein.  Der feinkörnige Strandsand, die verschiedenen Steinformen, Seesterne und vor allem die unzähligen  Muscheln in ihren verschiedenen Formen und Farben haben es den Mädchen angetan.  Hingebungsvoll ins Gestalten mit Wasser, Sand und Muscheln versunken, vergehen die Stunden viel zu schnell.  So reiht sich ein schöner Tag an den anderen, wie Perlen auf eine kostbare Kette.  Vater ist der eifrigste Fisch im Wasser.  In der Luft kreischen zahlreiche Möwen ihren unverkennbaren schrillen Choral.

Am Ende der Sommerferien ist auch Vaters letzter Urlaubstag.  „Heute wollen wir uns  noch einmal in den Meeresfluten nach Herzenslust austoben, bevor es wieder an die Arbeit geht.“  Kaum hat der Temperamentvolle diesen Satz ausgesprochen, da sieht man ihn schon in seiner Badehose den kurzen Weg, auf dem er den Seetanggeruch in seiner Nase so gerne schnuppert, zum Strand laufen.  Er spielt mal wieder den „toten Mann“ auf den Wellen, die ihn tragen.  Die ständigen Hand- und Fingerbewegungen lassen den Schwimmer gar nicht bemerken, dass ihm eine besonders hohe starke Welle seinen schönen Ehering geraubt hat.  Abends beim gemeinsamen Abendbrot bemerkt seine Frau das Fehlen des Trauringes.  „Welche verführerische Wassernixe hat dir deinen Ring abgeluchst?“  Die Gesichtsfarbe ihres Eheliebsten wird auffallend blass.  „Ich weiß noch die markante Stelle am kantigen langen Stein, da habe ich lange geschwommen.  Vielleicht finden wir ihn noch.“  Doch die große stundenlange Suchaktion bleibt ohne Erfolg.  Enttäuscht kauft sich der brave Ehemann einen Ersatzring beim Juwelier.

Sechs Jahre später, in denen die Töchter tüchtig herangewachsen sind und so manche Stunde ohne elterliche Beaufsichtigung am Strand nach besonders schönen Muschelexemplaren suchen, gräbt die elfjährige Beate mit ihren zarten Händen immer wieder an der Stelle, an dem großen markanten Stein herum, ganz in Gedanken versunken.  An diesem Tag hat ein starker Westwind das Seewasser weit hinausgedrückt, so dass man besonders schöne Muscheln finden kann.  Plötzlich glitzert etwas golden, es steckt halb im nassen Sand vergraben.  Das Mädchen traut seinen Augen nicht, aber es ist ein Goldring, den sie mit ihren Händen umschließt.  Ein Freudenschrei purzelt aus ihrer Kehle: „Das ist doch Vaters verlorener Ehering!“  Eilig läuft sie mit dem Fund in der Hand zum Sommerhaus.  In der Veranda  sitzt der Vater, mit einer Buchlektüre beschäftigt.  Fast außer Atem ruft Beate: „Guck mal Vater, was ich gefunden habe, dies ist doch dein Trauring, den du verloren hattest.“ 

Ungläubig nimmt der über das Buch Gebeugte den Goldring unter seine prüfenden Augen.  „Das glaube ich nicht, Beate.“ - „Aber Vater, schau dir doch innen die Gravur an.  Steht da nicht der Name unserer lieben Mutti, „Käthe“ mit eurem Hochzeitsdatum eingraviert?“  Der Mann zittert plötzlich vor Freude, umarmt seine Tochter, die so gerne eine Suchende am Strand ist.  „Liebe Beate, weil du diesen wertvollen Ring gefunden hast, sollst du ihn auch behalten.  Er ist ein Unikat und ein Erinnerungsschmuckstück deiner Eltern.

Dieser besondere Ring wird dich zeitlebens an uns erinnern, auch an die erlebnisreichen gemeinsamen Sommerferien in unserem ockerfarbenen Häuschen an der blanken Ostsee, die uns wundervoll und reichlich beschenkt hat.

So wirst du auch niemals die besonders beglückenden rotorangen Sonnenuntergänge am Ostseestrand vergessen, die du schon so oft auf deinem Zeichenblock mit den Tuschfarben gemalt hast.  In solchen Augenblicken sagst du doch so gerne: „Jetzt gibt die Abendsonne dem Meer einen Gutenachtkuss und fällt dann zum Schlafen müde ins Wasser.“

Ebbe und Flut

Barfüßig, die Jeans hochgekrempelt, wandert sie in Gedanken versunken durch das erfrischende salzhaltige Nordseewasser, immer in der Brandungszone weiter.  Sandaletten, Sonnenschutzmilch und eine leichte Bastmatte haben Platz in ihrem Rucksack gefunden.  So kann sie mit ihren freien Händen bisweilen im kühlen Nass spielen.  Es ist auflaufendes Wasser und die heranrollenden Wellen klettern immer höher an ihren Beinen empor.  Die hoch stehende Sonne spendet kraftvolle Wärme, die nicht nur ihrem schlanken Körper Wohlbefinden schenkt.  Ein malerischer, fast azurblauer Himmel lässt ihren Gedanken viel Freiraum.  Die endlose Weite der Nordseelandschaft zerbricht mit dieser sanften Wassermelodie ihr altes inneres Korsett.  Freiheitsliebende Möwen segeln gekonnt durch ihren Blick.  Trotzdem schließt sie in Abständen immer wieder mal ihre Augen.  So kann sie noch tiefer in ihr Inneres sehen, sich mit vergangenem gelebtem Leben auseinandersetzen.

Warum nur hat sie zwanzig Jahre lang, ohne ihre eigenen Wünsche laut anzumelden, mit ihrem Ehemann jedes Jahr Kletterurlaub in den Bergen gemacht?  Immer hat sie sich für seine Zufriedenheit entschieden.  Die heimliche Sehnsucht nach dem brausenden Meer, das bei Sturmflut laut brüllt, zischt und alle Stärke zeigt, bei Ebbe sich ganz langsam mit einer zarten Musik zurückzieht, und so das feuchte weite Watt freilegt, durch das sie so gerne stapft, findet jetzt endlich Erfüllung. 

 

Denn einmal in ihrer Jugend ist sie zu einer Erholungskur schon an diesem Ort gewesen, an dem der größte prachtvolle Himmel mit seinen bezaubernden Farben und wilden Wolkengebilden sich in ihre Erinnerung bunt und froh eingenistet hat.

Im Vorland zwischen Salzwiesen und Dünen findet sie eine überwindige Mulde.  Auf ihrer Bastmatte streckt sie sich in der Nachmittagssonne wohlig aus.  Unter ihrem ausgebreiteten Baumwolltuch, das ihr Gesicht vor zu vielen UV- Strahlen schützt, genießt sie mit geschlossenen Augen den unermüdlichen herrlichen Gesang der Lerchen, die flügelschlagend hoch am Himmel musizieren.  Behende verlässt sie ihren Platz der schützenden Geborgenheit, und sie bewegt sich leichtfüßig auf feinem, weißem Sand, zwischen violettfarbenem Strandflieder und kleinen Nelken mit ausgebreiteten Armen zu dieser sommerlichen Vogelmusik.  Ihr Herz schlägt immer schneller, sie kreiert einen wahrlich ganz persönlichen himmlischen Dankbarkeitstanz.  Freigeworden taumelt sie zwischen Strandhafer, den der leichte Sommerwind küsst, auf ihre wohnliche Matte zurück.  Ihr Mann ist Nichttänzer.  Warum bloß hat sie all die Jahre auf diese lustvollen Bewegungen die gleichzeitig eine natürliche Therapie sind, verzichtet?

Nachdem sie am Abend noch einmal direkt an das offene Meer wandert, um den bezaubernden Sonnenuntergang in seinen rotorangen betörenden Farbnuancen mit Augen und Seele zu trinken, trägt sie auf ihrem geraden Rücken ihre leichten Utensilien im Rucksack und auf ihrem Gesicht ein neues zufriedenes Lächeln in die kleine Ferienwohnung.  Das Meer ist unaufhörlich dem Rhythmus der Gezeiten unterworfen, und auch sie kennt Zeiten in ihrem Leben, die sich wie Ebbe und Flut anfühlen.  In diesen Sommerwochen befindet sie sich eindeutig in einem gesunden Flutgeschehen, das anhaltende Kraft für die gewiss immer wieder kommenden Ebbezeiten schenkt.

Ein roter Luftballon im Kornfeld

Im Sommer 1970 hat der Gemeindepastor im ostwestfälischen Löhne eine wunderbare Idee.  Zwischen allen fröhlichen Spielen beim Kindergottesdienstfest ist der Luftballonwettbewerb die neue prickelnde Glanznummer.  Jeder farbenfrohe runde „Flieger“ trägt auf einer Postkarte die Adresse des teilnehmenden Kindes.

Dicht beieinander stehen die begeisterten Jungen und Mädchen.  Sie lassen die gelben, grünen, blauen und roten schwebenden, mit Gas gefüllten, „Kugeln“ in die Lüfte steigen.  Ein zauberhaftes schillerndes Farbenspiel  beschenkt alle himmelwärts gerichteten  Augen. „Felix, guck mal, mein blauer Ballon ist nur noch so klein zu sehen“, sagt die begeisterte Annette zu ihrem großen Bruder.

Kräftige westliche Winde treiben die bunte „Luftpost“ schnell in Richtung Osten.  Ohne jegliche Kontrolle überfliegt sie die Grenze, die schreckliche Mauer und den drohenden Stacheldraht des getrennten Deutschlands.

Ein Großvater geht mit seiner Enkelin in der DDR spazieren.  Hand in Hand kommen sie an einem wogenden fast reifen Kornfeld vorbei.  Plötzlich bleibt die aufmerksame Viola stehen. 

„Opa, schau doch mal, da hat jemand etwas Rotes im Feld verloren.  Darf ich das holen?“  Zwischen den goldgelben Weizenähren hat sich der leuchtend rote etwas schlaffe Luftballon verfangen. Und er trägt  auf der angeknoteten Postkarte eine Adresse aus dem deutschen Westen.  „Opa, wir schreiben aber zurück.“ - „Ja, das verspreche ich dir.  Du bist schließlich die Entdeckerin“, und der kinderliebe alte Mann drückt seine Enkeltochter an sich. 

Schon bald strahlen beide über die herzliche Antwort aus dem Westen.  Es entwickelt sich ein mitfühlender und interessanter Briefkontakt.  Zu Weihnachten schicken die Eltern aus dem Westfalenland ein Paket aus dem die Fürsorge nur so herausspringt.  Viola freut sich besonders über die neue Jeanshose und sie genießt die leckere Schokolade.

Etwa im Jahre 1979 flattert aus der DDR eine liebevolle Einladung mit einer Aufenthaltsgenehmigung auf den westfälischen Familientisch.  Die persönliche Begegnung bereichert beide Familien.  Sie unternehmen gemeinsam viele erlebnisreiche Ausflüge im schönen Ostharz.  Der Großvater schenkt den neuen Freunden aus dem Westen etwas Lebendiges zum Einpflanzen. Gut verpackt  nehmen die Gartenfreunde aus Westfalen gerne zwei kleine Bäumchen, die vom großen alten Walnussbaum stammen, mit auf die Heimreise.  Ein Ableger verwurzelt, wächst und gedeiht beim Bruder des Beschenkten, zur Freude aller, die ihn bestaunen.  Jedoch auf die wohlschmeckenden Früchte muss man bei einem Walnussbaum viele Jahre warten.  Geduld zu üben, können wir Menschen besonders an dieser Baumart lernen.  Im Alter von 50 bis 100 Jahren verschenkt ein Walnussbaum seine reichsten Ernten.  Dieser Baum kann eine erstaunliche Lebenserwartung von bis zu 400 Jahren erreichen.

Im Herbst 1996 entdeckt der große schlanke Westfale beim Umgraben seines Gartens fast täglich eine frische Walnuss.  Erfreut schenkt er die leckere Frucht seiner Frau.  Aber wer hat die Nüsse in der Erde versteckt? Erst zwei Jahre später, nach dem ersten Tragen, klettert meisterhaft ein Eichhörnchen vor der Haustüre im Birnbaum von Ast zu Ast.  Also hat das zierliche braune Tierchen sich geschickt in der Gartenerde einen Futtervorrat für den Winter angelegt.

Eine erneute Überraschung erfreut die Gartenbesitzer. Kleine Pflanzen werden auf  Gemüsebeeten als Nussbaumabkömmlinge identifiziert. In der großen Verwandtschaft finden die Reichbeschenkten dankbare Abnehmer dieser kleinen, Früchte versprechenden Bäumchen.  Der Bruder, bei dem der erste kleine Baum aus dem Ostharz eingegangen war, bekommt selbstverständlich das kräftigste Prachtexemplar.  Im Rosenbeet hat sich ein weiterer kleiner Nussbaum breitgemacht, direkt neben einem großen Kirschbaum.  Da hat er natürlich keine Wachstumszukunft.

An einem sonnigen Märztag im Jahr 2002 besucht ein befreundetes Pastorenehepaar die gastliche Familie. Bei Kaffee und Kuchen werden Gedanken über die Kirchengemeindearbeit ausgetauscht.  Aber bei einem erfrischenden Rundgang durch den idyllischen Garten fällt Charlotte der kleine Nussbaum ins Auge.  „Ich suche noch einen Abnehmer für dieses prächtige Bäumchen.“  So preist die Gartenliebhaberin ihr lebendiges Geschenk an.  Voller spontaner Begeisterung gibt Frau Seiler gleich ihre Zusage.  „Den pflanzen wir in den Kindergarten. Und wenn der Nussbaum alt genug ist, wird er Früchte tragen, die den Kindern schmecken werden. In den nächsten Tagen komme ich, um das kostbare Geschenk auszugraben. Denn jetzt ist die richtige Jahreszeit, um einen Baum umzupflanzen.“

Schon zwei Tage später wird die Zusage in die Tat umgesetzt. Schwungvoll mit dem Spaten in der Hand unternimmt die neue Baumbesitzerin den Versuch, den jungen Walnussbaum auszugraben.  Der aber hält sich kräftig mit einer dicken Pfahlwurzel im Erdreich fest.  Mit viel Vorsicht und Kraft zugleich bleibt Frau Seiler nichts anderes übrig, als die widerspenstige Wurzel zu kappen.  „Komm doch heraus, kleiner Freund, du wirst es auch bei uns gut haben.  In unserem großen Gemeindegarten singen und tanzen die Kinder und du wirst dabei gewiss wunderbar gedeihen.“  Beide Frauen umarmen sich beim Verabschieden.  Liebevoll und mit Sachverstand pflanzt die Glückliche den kleinen Walnussbaum in das Kindergartengelände.  Beim Gießen spricht die Naturliebhaberin laut: „Warte nur, kleiner Baum, du bekommst gleich noch einen guten Schutz um dich herum, damit die manchmal wilden Kinder dir keinen Schaden zufügen können.  Aber eines Tages werden diese Kinder Eltern sein, und deren Söhne und Töchter werden deine rissige graue Rinde streicheln, weil du ihnen leckere Früchte schenken wirst.“

Ich staune, was dieser eine rote Luftballon, der über die DDR-Grenze flog, für wertvolle menschliche Begegnungen in Kettenreaktionen bis hin zu Walnussbaumverpflanzungen ausgelöst hat. - Die Nächstenliebe kann alle Mauern durchbrechen!

Zum Abschied Lieblingslieder

Die ockerfarbenen Fenstervorhänge sind schon zugezogen.  Sie kleiden den Raum mit ihrer warmen Farbe und anheimelnden Gemütlichkeit.  Die kleine schlanke Nachttischlampe mit dem sonnengelben Schirm spendet ein gedämpftes Licht.  Das schlichte Holzbett steht geschützt in einer Ecke des Schlafzimmers.  An der hellen Wand beeindruckt das schlichte dunkle Holzkreuz.  Es ist der spürbare Blick- und Mittelpunkt der Besitzerin.     

Lebenssatt, zufrieden und erschöpft legt sich die hoch betagte Mutter in ihre gemütliche Schlafstätte.  Ihre körperlichen Kräfte lassen plötzlich rapide nach.  Die gute alte Frau muss es spüren, dass ihr Leben bald zu Ende geht.  Mit einer fröhlichen Gelassenheit bittet sie ihre vier erwachsenen Kinder zu sich.  Es klingt wie eine Einladung zu einer gemeinsamen Feier.  Sie will sich nicht alleine auf ihre letzte große Reise begeben.  Diese gläubige Mutter hat noch wertvolle Geschenke an ihre Kinder zu geben.  Drei Töchter sind aus der Ferne angereist.  Doch alle warten noch auf den Sohn und Bruder, bis er schließlich von der Arbeit direkt ins Elternhaus kommt.  Erst dann ist die treu sorgende  Mutter zum bewussten Abschiednehmen bereit.

Dicht um das Bett der Hochbetagten sitzen die Kinder im Schein der zahlreichen Kerzenlichter.  Auf dem Nachttischchen leuchtet ein roter Tulpenstrauß.  „Meine lieben Kinder, zum Schluss habe ich noch eine Bitte an euch: Vertragt euch immer untereinander und helft euch gegenseitig.  Und Gottes Segen möge auf eurem Leben liegen.  Und nun lasst uns nicht traurig sein, sondern ich möchte euch bitten, mit mir meine Lieblingslieder zu singen.“  Altvertraute Lieder aus dem Gesangbuch schlägt die Sangesfreudige vor.  Und die Kinder stimmen in die Lobgesänge gerne mit ein.  So singt die Familie Strophe für Strophe, und immer wieder verbindet sie ein neuer vertonter Text.  In dieser einmaligen Atmosphäre liegt so viel Verbindendes, Kraftvolles und Wärmendes, aber auch sehr Trostreiches.  Abwechselnd hält immer eines der Kinder Mutters kühle Hand.  Beim letzten Lied: „Ich bete an die Macht der Liebe“, kann die Scheidende nur noch den ersten Vers mitsingen.  Danach vernehmen die Kinder noch ein leises Summen von den Lippen der bewusst Heimgehenden: „Noch ein kleines Stückchen durchs dunkle Tal.“  Aus diesen letzten Worten schließen die Angehörigen, dass die Sterbende schon auf dem Weg zu einer wunderbaren Lichtquelle ist.  Friede, Sanftmut und Zuversicht liegen beeindruckend auf dem Gesicht der eben Verstorbenen.  Die ein wenig traurigen Begleiter beten noch gemeinsam den 23. Psalm.  Und die älteste Tochter sagt: „Wenn mir doch auch einst mein Sterben so gelingen würde, wie unsere Mutter es uns eben vorbildlich als großes Geschenk bereitet hat.  Dann kann ich getrost und frohen Herzens in die Zukunft schauen.“  Still bewegt und sehr nachdenklich pusten die Geschwister die vielen weißen Lichtquellen im Sterbezimmer aus.

Damit ich's nicht vergesse

In meiner Küche, an meiner roten Magnetleiste, befestige ich immer meine handgeschriebenen Einkaufszettel, damit ich meine Besorgungen möglichst zeitsparend erledige und dabei nichts vergesse. 

So erleichtere ich mir das Einkaufen erheblich.  Manchmal kommt es aber trotzdem vor, dass ich die Lebensmittel ohne meine Gedächtnisstütze holen muss, weil ich vergessen habe, mir den Zettel einzustecken.  Freudig erstaunt stelle ich dann fest, dass ich trotzdem alle fehlenden Waren einkaufen kann, weil sich durch das Aufschreiben mein Gedächtnis sehr gut an jeden einzelnen Posten erinnert.

Als meine Kinder noch zu Hause waren, bekam ich vor ihren Geburtstagen und vor allem vor dem Weihnachtsfest Zettel in meine Hand gedrückt, die in wichtiger Reihenfolge ihre Wünsche festhielten.  Der Herzenswunsch stand immer an erster Stelle.  Das wusste ich.

Und mein eigener Wunschzettel, den ich ständig im Stillen in meinem Kopf und Herzen mit mir herumtrage, erleichtert er mir mein Leben? Oftmals erfüllen sich geheime spezielle Wünsche nicht, und ich bin dann bitter enttäuscht. 

Oder habe ich zu viele, zu große Wünsche, zu hohe Erwartungen?  Eine liebe Freundin schenkte mir vor ein paar Monaten eine Spruchkarte, mit einem weisen und heilsamen Text von Dietrich Bonheoffer: „Wir beschweren uns nicht über das, was Gott uns nicht gibt, sondern wir danken Gott für das, was er uns täglich schenkt.“  Diese Karte hat einen festen Platz an meiner Pinnwand, in meinem Zimmer, in dem ich mich sehr häufig aufhalte.  Sie ist mir zu einer unbezahlbaren  Eintrittskarte in meine innere Zufriedenheit geworden.  Und diesen neuen Blickwinkel  brauche ich dringend zu meiner positiven Lebensbewältigung.  Ich komme immer wieder zu neuen Gedanken, wenn ich mich auf diesen Text einlasse.  Ja, ich schäme mich auch an manchem Tag, wenn ich mich selbst als undankbar erlebe.

So habe ich es mir jetzt angewöhnt, meine kleinen Hausaufgaben als Wichtigkeit zu erkennen, und sie auch zu erledigen.  Fast täglich, besonders aber wenn es mir nicht gut geht, nehme ich einen weißen Zettel zur Hand und mache mir bewusst, womit Gott mich an diesem Tag wieder beschenkt hat.  Vielleicht mit einem verständnisvollen Brief einer Freundin, oder mit einem sonnigen Nachmittag, an dem ich durch den Wald wandern, mich an seiner Schöpfung erfreuen konnte.  Dann lass ich meine Dankbarkeit manchmal schnell, dann wieder langsam auf das Papier fließen.  Wenn ich etwas schriftlich festhalte, kann ich es nicht so leicht vergessen und verlieren, sondern zu jeder Zeit nachlesen.  Und beim Schreiben staune ich über meinen großen neuen Dankbarkeitszettel.  Durch diese wunderbare neu gewonnene Hilfe nimmt das stille und laute Klagen merklich ab.  Den Zettel aber zwacke ich zunächst an meine Pinnwand, in mein Blickfeld.  Diese gesammelten Kostbarkeiten lege ich in einen Kasten, den ich an einem Platz aufhebe, so wie man Juwelen versteckt.  Und ich möchte allen Menschen Mut zu dieser bewährten Lebenshilfe machen.  Wer einmal  angefangen hat, über seine Gottesgeschenke nachzudenken und sie schriftlich fixiert, wird gewiss entdecken, wie lebenswert, wie dankenswert das eigene Leben ist.  Und wer danken kann, lebt intensiver, sieht die wahren Freudengründe.  So kann jeder Tag zu einem kleinen Erntedankfest werden.

Blumen-Gedanken

Kannst du dir unsere Erde ganz ohne Blumen vorstellen?  Ich habe erhebliche Mühe, diese Vorstellung auch nur für kurze Zeit einmal zuzulassen.  Was muss ich mir da alles an Farbenfrohem und Schönem wegdenken.  Auf unserem Geburtstagstisch ständen dann keine bunten duftenden Sträuße, unsere Gärten wären vom erwachenden Frühling bis zum Ende des Spätherbstes ohne die lieblichen Farbtupfer und die Wälder gewiss viel eintöniger.  Die blühenden Sommerwiesen würden meiner Seele im Urlaub ganz besonders fehlen.  Unsere Fensterbänke und Balkone wären ohne Blumen kahl und trist.  Und ich denke dabei noch an den fast sterilen Nachttisch in langen Tagen der Krankheit im Krankenhaus.  Ja, um wie viel wären wir dann ärmer?  Vielleicht siehst du nach dieser kurzen Vision die Blumen jetzt mit ganz anderen, eben neuen Augen, betrachtest sie aus einem völlig anderen Blickwinkel, nämlich als liebevolle Geschenke unseres weisen Schöpfers, der genau weiß, dass wir Menschenkinder diese Freudenspender auf unserem manchmal beschwerlichen Lebensweg dringend brauchen.  Und weil ich keinen eigenen Garten habe, lege ich zur Frühlingszeit immer wieder Blumensamen-Tütchen in meine Briefe mit hinein.  Ein ganz kleiner Beitrag, damit die Erde niemals aufhört zu blühen.

 

Es gibt so viele Anlässe in unserem Leben, an denen ein Blumenstrauß immer willkommen ist und Freude bringt.  Zur Geburt eines Kindes fällt mir in der Erinnerung sofort der lange Krankenhausflur ein, auf dem abends die schönsten und größten Sträuße standen, die die stolzen Väter gebracht hatten.  Danach die Taufe, die jährlichen Geburtstage, die Konfirmation, die Verlobung, der Hochzeitstag mit seiner jährlichen Wiederkehr, ein herzliches Willkommenheißen auf dem Bahnhof, oder eine Trennung für längere Zeit und die sichtbaren Liebesbekundungen beim endgültigen Abschiednehmen von einem vertrauten Menschen am Grabe.

Aber die ganz unerwarteten Blumen, die mir im Leben geschenkt wurden, haben wohl die meiste Freude bereitet.  Ich denke da an einen kleinen Wiesenblumenstrauß aus Gänseblümchen, Glockenblumen und ein paar zarten Gräsern und Blättern, den meine damals vierjährige Tochter eigens für mich gepflückt hatte, um mich zu erfreuen.  Diese Blumen wachsen ohne unser Zutun, darum sind sie für mich auch Himmelsblumen.  An dieses liebliche Bild, wie die kleine Blondine so dastand, mit dem Himmelsgeschenk in der festen Faust und den strahlenden Augen, erinnere ich mich heute immer noch so gerne.

Ein alter Herr erinnert sich

Diese wahre Geschichte spielt im Jahre 1937 in der schönen Haupt- und Hafenstadt Riga im Baltikum.  In der deutschsprachigen Grundschule für Jungen unterrichtet eine hübsche junge Lehrerin die Kinder schon seit Schulbeginn.  Inzwischen sind die Knaben in der dritten Klasse.  Fräulein Burmeister ist bei den Schülern sehr beliebt.  Sie hat pädagogisches Talent und die Lernenden spüren, dass sie mit Freude ihren Beruf ausübt.

An einem gewöhnlichen Schultag bittet die Klassenlehrerin den groß gewachsenen Johannes um einen besonderen Dienst.  In der Pause nimmt sie den stillen Jungen etwas bei Seite und fragt ihn: „Johannes, möchtest du nach meiner kirchlichen Trauung in der St. Petri-Kirche Blumen streuen?“  Der Gefragte reagiert nur mit der knappen Antwort: „Ja gerne, Fräulein Burmeister.“ Angelika, die zarte fünfjährige Nichte der jungen Braut ist auch für das beliebte Blumenstreuen ausgewählt worden. 

Johannes' Mutter hat einen wunderschönen Gemüse-  und Blumengarten. Jetzt im Spätfrühling leuchten die hellblauen zarten Vergissmeinnicht wie kleine Erdensterne.  Der breite mittlere Gartenweg wird von gelben, weißen  und  dunkelblauen Stiefmütterchen farbenfroh eingerahmt.  „Am Hochzeitstag können wir gemeinsam von unseren wunderschönen frischen Blumen reichlich abschneiden.  Damit füllen wir dann deinen Korb, mein lieber Johannes.“  Die fleißige Gärtnerin geht schnellen Schrittes wieder ins Haus.  Das Jüngste ihrer fünf  Kinder schreit nach mütterlicher Fürsorge.

Vom Turm der St. Petri-Kirche läuten die Glocken und ihr unverkennbarer Klang lockt viele Menschen zur Trauung der sehr beliebten und bekannten Lehrerin in das schöne Gotteshaus.  Nach dem feierlichen Akt öffnet der Küster die schweren Kirchentüren.  Angelika hat ein rosafarbenes Kleidchen an, und ihren dunklen Lockenkopf ziert ein Blumenkränzchen.  Johannes kleidet der fesche dunkelblaue Matrosenanzug.  Beide Blumenkinder werden jeweils von einem Erwachsenen begleitet, damit sie die bunten Blüten schrittweise auf dem roten Kokosläufer verteilen.  Die schlanke, eben getraute Braut in ihrem fließenden weißen Kleid mit der langen Schleppe betritt langsam, bei ihrem stattlichen Vater eingeharkt, den farbenfrohen Läufer.  Hinter ihnen schreitet der Bräutigam mit der Brautmutter.  Vor ihren Füßen streuen die beiden aufgeregten Kinder Veilchen, Vergissmeinnicht, Stiefmütterchen und Schlüsselblumen.  In diesem Moment verzaubern die zahlreichen frischen bunten Blüten den schmalen roten Teppich in eine märchenhafte Blumenwiese.  Nachdem die beiden Körbe geleert sind, füllt der Bräutigam, der für alle sichtbar das Glück auf seinem Gesicht trägt, den beiden Blumenstreuern mit vollen Händen Süßigkeiten in die geflochtenen Behälter.  Angelika gibt den umstehenden Kindern von ihrem süßen Reichtum ab.  Johannes jedoch kann sich nicht über die geschenkten Leckereien freuen.  Mit einer schnellen Entschlossenheit steht der achtjährige Junge plötzlich vor seiner Lehrerin, die er schon lange verehrt.  Tränen brechen sich Bahn, und schluchzend sagt der Blumenjunge im schicken Matrosenanzug: „Ich wollte Sie doch heiraten!“  Da fühlt er eine zarte Frauenhand, die liebevoll über seinen blonden Kopf streichelt.  Diese verständnisvolle  Geste seiner kinderlieben Lehrerin hat er bis heute nicht vergessen.

 

Johannes hat inzwischen seinen 73. Geburtstag gefeiert und mir dieses Erlebnis aus seiner Schulzeit bei einer Tasse gutem schwarzem Tee erzählt.

In der Raststätte

Ein paar Stunden fuhren wir schon auf der Autobahn, und Hunger und Durst meldeten sich immer stärker an.  Unser Ziel würden wir ohne eine Stärkung wohl kaum erreichen.  Auf dem Rastplatz war schnell geparkt, und in der Gaststätte fanden wir sogar eine Nichtraucherecke.  Mein Mann und ich nahmen an einem freien rustikalen Tisch Platz.  Der junge flotte Kellner brachte gleich die Speisekarte.  Ein paar Minuten später formulierten wir unsere Wünsche in Bezug auf die angebotenen Gerichte.  Bis unser bestelltes Mittagessen serviert wurde, überbrückten wir unseren Hunger mit einem Glas Fruchtsaft.  Wir unterhielten uns über ein paar besonders schöne Erlebnisse aus unserem gerade hinter uns liegenden Urlaub.  Plötzlich stand ein kräftig gebauter Mann, dem ich ansah, dass er den 60. Geburtstag schon gefeiert haben musste, an unserem Tisch.  „Ist hier noch Platz?“  Mehr sagte er nicht.  Ich nickte einladend und sagte: „Ja, natürlich.“  Und es waren unübersehbar noch viele Plätze an diesem großen Tisch frei.  Warum fragen wir eigentlich so vorsichtig?  Ist in dieser Frage nicht noch eine weitere Frage verborgen, die wir nicht so direkt formulieren mögen?  Vielleicht so ausgedrückt: Haben sie nichts dagegen, dass ich mich zu Ihnen an den Tisch setze?

Unser Gegenüber bestellte sich ein Glas trockenen Frankenwein und Mineralwasser dazu.  Er trank langsam, bis der Kellner auch ihm ein Mittagessen brachte.  Mir fiel gleich auf, dass dieser Mann irgendwie bedrückt war.  Ich schaute in sein Gesicht, und dennoch wagte ich zunächst kein eröffnendes Gespräch.  „Guten Appetit“, diesen Wunsch beförderten meine Lippen über den breiten großen Tisch.  Dann war es wieder still.  Wir drei waren offenbar mit dem Essen unserer Speisen beschäftigt.  Als der flinke Kellner die fast leeren Teller und Schüsseln abgetragen hatte, entwickelte sich plötzlich doch ein Gespräch.  Mein Mann hatte unseren Tischnachbarn nach seinem Reiseziel gefragt.  Der Mann mit dem traurigen Gesichtsausdruck öffnete ganz natürlich nach und nach seine Seelenpforten.  Vertrauensvoll erzählte er, dass er gerade auf der Rückfahrt von der Beerdigung seines besten Freundes war, der auch im vergangenen Jahr zur Beisetzung seiner Frau nach Hamburg gekommen sei.  An seinen kräftigen Händen hatte ich auch keinen Ring gesehen.  Mit meiner geheimen Vermutung, dass uns ein trauernder Witwer gegenübersaß, hatte ich also Recht.  Es brach aus ihm heraus, dass seine Frau an Krebs gelitten und verstorben sei.  Ich spürte spätestens zu diesem Zeitpunkt, dass in mir schnell sehr viel Mitleid gewachsen war.  Es war gewiss gut, dass dieser einsame Mann noch mal ein Ventil für seine Trauer öffnen konnte.  Mir wurde so warm ums Herz.  Doch der breite Tisch stand zwischen uns.  Ich wollte den Trauernden in meine Arme nehmen, ihm etwas menschliche Wärme geben.  Warum bin ich nicht aufgestanden und habe die Entfernung überwunden?  Solch spontanes herzliches Verhalten einem Fremden gegenüber ist in unserer Gesellschaft nicht üblich.

Nachdem ich von der Toilette zurückkam, war sein Platz am Tisch leider schon leer.  Ich war enttäuscht und etwas ärgerlich über mein eigenes zögerliches Verhalten.  Denn ich hatte es mir inzwischen vorgenommen, dass ich meine Wärme und mein Verständnis beim Verabschieden noch spürbar zum Ausdruck bringen wollte.  Leider kam ich zu spät!  Bedrückt stieg ich zur Weiterfahrt in unser Auto.  Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit werde ich mutig mein warmes Herz auf die Traurigkeit meines Nächsten legen.

Das ist mein erster Urlaub

An einem Samstagvormittag begegnen wir uns auf dem Bürger­steig.  Die Sonne lacht durch die üppig belaubten alten Ei­chenbäume.  Die ältere Frau, die mir entgegenkommt, trägt in jeder Hand einen gefüllten Einkaufsbeutel.  Mit den Wor­ten: „Immer wieder dieses viele Schleppen“, spreche ich die Frau an.  „Man muss ja immer etwas zum Essen im Haus haben“, sagt sie, während ein Lächeln über ihr Gesicht huscht.  Dann steht sie mir gegenüber, und ich schaue in ihre Augen, die immer noch viel Lebendigkeit ausstrahlen.  Und jetzt plätschert es nur so aus dieser Mitteilsamen he­raus, so wie ein kleiner munte­rer Gebirgsbach sich ins Tal er­gießt.  Das aufgestaute Bedürf­nis nach Sprechen, nach Sich­mitteilenkönnen bricht sich nun Bahn.

Ich schlüpfe gerne in die Rolle der Zuhörenden, obwohl ich diese fremde Frau gewiss angesprochen habe, weil ich heute auch noch nicht mit einem Menschen ein paar Worte gewechselt habe.  Eine warme Welle der Sympathie spüre ich in meinen Herzen.  Und weiter fließen die Gedanken aus der innerlich so Junggebliebenen: „Wissen Sie, ich hüte für vier Wochen ein Haus mit einem großen Garten und einem klei­nen Kätzchen ein.  Die Eigentü­mer sind beide berufstätig und machen jetzt Urlaub in garan­tiert sonnigen Gefilden.  Ich mache das sehr gerne, denn für mich einfache Frau mit einer kleinen Rente ist es der absolute Luxus, für vier lange Wo­chen die Hüterin eines so schö­nen Hauses zu sein.  Außerdem bin ich nicht alleine.  Das kleine Kätzchen schmust so gerne mit mir.  Sobald ich meinen Ein­kauf auf den Küchentisch ge­stellt habe, schnurrt das weiche Wesen um meine Beine herum.  Dann sitze ich schnell auf ei­nem Stuhl, das Kätzchen springt auf meinen Schoß, und wir genießen dann beide diese behagliche Nähe.“

Wenn die „Hüterin“ von dem Schmusekätzchen erzählt, liegt so viel Weiches auf ihren Ge­sichtszügen, streichelt ihre schönen Falten.  Und sie be­klagt sich nicht, dass sie in ihrem langen Leben sich nie­mals einen Urlaub erlauben konnte.  Temperamentvoll ver­traut sie mir an: „Stellen Sie sich vor, ich habe sogar eine großzügige Bezah­lung von dem verreisten Ehe­paar bekommen.  Jetzt brauche ich mir nicht jeden Tag etwas zu kochen, sondern ich ge­nieße das Einkehren in einem schönen Restaurant mit Blick auf die Elbe. Ich komme mir im Moment vor wie eine feine be­güterte Dame.  Wenn der Kell­ner mich nach meinen Wün­schen fragt: ‚Möchte die Dame zu Mittag speisen?’, dann fühl ich mich fast wie im Paradies.  Wissen Sie, ich habe in mei­nem Leben viel und schwer ar­beiten müssen, aber jetzt kann ich auch mal mit Genuss zu­schauen, wie andere mich be­dienen.“

Plötzlich fällt mein Blick, für die außergewöhnliche „Urlau­berin“ unmerklich auf meine Armbanduhr.  „Leider muss ich Sie unterbrechen, weil gleich die Geschäfte schließen und ich noch ein paar Lebensmittel einkaufen möchte, denn bei mir hat sich kurzfristig Besuch angesagt.  Gerne habe ich Ihnen zugehört.  Genießen Sie diese beiden Wochen noch mit Ihrem Schmusekätzchen.“

Mit schnellen Schritten bewege ich mich in Richtung Geschäftsstraße, aber meine Gedanken beschäftigen sich noch mit dieser kleinen alten Frau, die so anspruchslos ist, die wenig zu ihrer eigenen Zufriedenheit braucht.  Ehrlich gesagt, ich schäme mich auch, etwas, weil ich an mein Leben höhere Ansprüche stelle.  Die lebensbejahende Frau hat mir auf der Straße so ganz nebenbei eine sehr wertvolle Lektion erteilt, die gewiss heißt: „Sei mit dem zufrieden, was du auch hast.“

Die fremde Frau

In meinem Herbsturlaub wandere ich von einem kleinen Dorf zum anderen.  Auf Schusters Rappen spüre ich die Steine unter meinen Sohlen, und meine Augen schweifen immer wieder zu den bezaubernden blauen Glockenblumen, die mich auf meinem Weg zuverlässig begleiten.  Die Sonne tanzt heute noch einmal auf den bunt gefärbten Laubbäumen.  Ganz bewusst und intensiv nehme ich all diese Schönheiten der Natur in mich auf, möchte sie in meinem Herzen für den bevorstehenden Winter speichern.  Ich befinde mich in einer dankbaren und frohen Stimmung und genieße das Heute in vollen Zügen.

Das Ortsschild verrät mir, dass ich ein neues, noch unbekanntes, Dorf erreicht habe.  Mein flotter Wanderschritt verlangsamt sich wie von selbst, und ich schlendere durch die kleinen Straßen und Gässchen, damit meinen Augen möglichst nichts Reizvolles entgeht.  Mit welcher Liebe zum Detail diese Häuschen gebaut und verziert wurden.  Wie prachtvolle Perlen auf einer alten kostbaren Halskette reihen sich diese Häuser in lockerer Folge zu einer bezaubernden Dorfstraße aneinander.  Doch dann steuere ich den alles überragenden Kirchturm an, der mir auch heute wieder eine verlässliche Orientierungshilfe ist.  Denn meistes steht dicht neben der Kirche das Pastoratsgebäude.  Ich möchte nämlich den Pastor der Gemeinde aufsuchen, um ihm mein Trostbüchlein zeigen zu können.

 

Ein leiser Wind ist inzwischen aufgekommen und treibt sein beraubendes Spiel in der kleinen Birke, die den Vorgarten zärtlich schmückt.  Die zur Erde tanzenden gelben Blätter zeugen unausweichlich davon, dass der Herbst sein mächtiges Regiment führt.  Meine Füße bewegen sich zielstrebig auf die Haustüre zu, und auf dem Schildchen neben der Klingel finden meine Augen den Namen „Schultze, Pastor“.  Ich freue mich, dass ich an der richtigen Adresse bin.  Ganz schnell bündele ich meinen ganzen Mut zusammen, drücke den weißen Klingelknopf, gehe wieder tief Atem holend einen Schritt rückwärts auf der braunen Fußmatte und warte in leichter Anspannung auf eine Reaktion auf meine Störung hin.  Dann vernehme ich unbestimmbare Geräusche im Hausinnern.  Jetzt bewegen sich schattenhafte Umrisse eines Menschen auf die überwiegend verglaste Haustüre zu.  Die Pforte des Hauses wird von innen geöffnet.  Zwei völlig fremde Frauen stehen sich für einen kurzen Moment gegenüber.  Und die noch draußen Stehende friert ein wenig im kalten Herbstwind.  Freundlich trage ich mein Anliegen meinem Gegenüber vor.  „Mein Mann ist nicht da, aber kommen Sie doch herein, an der Tür redet es sich nicht so gut.“  Mir wird von dieser Frau bereitwillig Einlass in die ganz private Atmosphäre geschenkt.  Die Räume des großen Pastorats mit viel Gemütlichkeit wirken auf mich.  Eine Vielzahl von Fenstern lassen das helle Herbstlicht ungehindert in die Zimmer fluten.  Ich folge der Frau des Pastors in einen Wohnraum, in dem ich sofort einen stark behinderten Jungen im Rollstuhl wahrnehme.  Die Mutter stellt mir gleich ihren Sohn mit den Worten vor: „Das ist unser Matthias, er ist schon 24 Jahre alt und kann weder sehen noch sprechen, noch laufen.“ – „Guten Tag, Matthias“, formen meine Lippen, und meine Hände berühren die verformten Hände des Jungen.  Dieser Sohn hat kaum die Körpergröße eines vierjährigen Kindes erreicht.  „Ich hatte auch mal einen behinderten Sohn“, sage ich wohl als Erklärung für meine innere Reaktion.  In meinen Augen stehen Tränen eines alten Schmerzes.

Wir beiden Frauen sitzen wohl eine ganze Stunde am Familientisch, und diese leidgeprüfte Mutter vertraut mir ihr außergewöhnliches Schicksal an.  Aber Klagen sind es nicht.  Sie liebt ihren Sohn, und sie erzählt mir, dass ihr Mann und auch die beiden erwachsenen Geschwister sich um Matthias kümmern, wenn ihre  Verpflichtungen es zulassen.

Beim Abschiednehmen streichle ich intensiv Matthias’ Wangen und drücke seine Hände.  Seine Mutter sagt: „Diesen zärtlichen warmen Körperkontakt hat mein Sohn bestimmt gespürt.“  In der Diele stehe ich wieder der Frau gegenüber, und ich kenne sie nach dieser Begegnung recht gut.  Ich schließe sie in meine ausgebreiteten Arme, streichle über ihren Rücken, drücke sie fest an mich, möchte ihr noch etwas schenken.  Meine Lippen formen den Satz: „Ich wünsche ihnen Gottes Hilfe und Kraft für jeden neuen Tag.“  Da sagt die Leidgeprüfte: „Wir waren uns vor einer Stunde noch so fremd und jetzt schon so nah.  Kommen sie doch wieder zu mir, wenn sie hier noch mal in der Gegend sind.“

Spätabends schließe ich diese neue Bekannte in mein Fürbittengebet mit ein.  Auch in den folgenden Wochen denke ich noch oftmals an diese außergewöhnliche Begegnung in meinem Urlaub.  Natürlicherweise verliert auch dieses Ereignis im Laufe der Zeit an Farbe, weil neue prägende Eindrücke und Belastungen sich unausweichlich über die alte Erfahrungsschicht legen.

Am Ostermorgen

Mit leisen Schritten nähert sich die Mutter dem Bett ihres jüngsten Sohnes.  Der kleine rote Wecker auf dem Tisch zeigt erst fünf Uhr an.  Aber Philipp schaut schon mit seinen braunen Augen fröhlich und erstaunlich wach seine kleine zarte Mutti an.

Der erwartungsvolle Junge, der sich heute aus eigenem Entschluss taufen lassen will, hüpft aus seinem kuscheligen warmen Bett.  Die ausführliche Vorbereitung bei seinem Gemeindepastor, von dem der Zwölfjährige sagt, „der ist ein echter Christ und nur von dem möchte ich getauft werden“, erstreckte sich über eine längere Zeit.  Manchmal kamen auch die Eltern zu einer „Nachhilfestunde“ mit.

Am Sonntag, nach dem ersten Frühlingsvollmond, empfängt frische kalte Morgenluft die Großfamilie, bestehend aus den betagten Großeltern, Eltern und drei älteren Geschwistern, sowie angereisten Tanten und Onkeln mit Vettern und Cousinen.

 

Auf dem Fußweg zur Kirche „Maria zur Wiese“ in der schönen altertümlichen Stadt Soest in Westfalen schließt sich zur Großfamilie noch eine bekannte Tauffamilie an.

Der unverwechselbare reine Klang der Glocken der besonders schönen gotischen Hallenkirche lädt zahlreiche Menschen an diesem frühen Morgen zum Oster- und Taufgottesdienst ein.  In dem zunächst nicht erleuchteten Gotteshaus füllen sich alle Bänke erstaunlich schnell.  Aber vorne auf dem blumengeschmückten Altar verbreitet eine große weiße Osterkerze die helle Freude über die Auferstehung unseres Heilandes Jesus Christus.  Begleitet von der Orgelmusik ziehen neun Täuflinge bedächtigen Schrittes, begleitet von ihrem Gemeindepastor, in das prächtige Gotteshaus ein.

 

Erwachsene und Kinder stehen kreisförmig mit ihren Taufpaten und Eltern um das Taufbecken.  Nach vollzogener Taufe bekommt jeder Täufling eine eigene Taufkerze, die er am strahlenden Osterlicht anzündet.  So wird es nach jeder Taufe immer heller in der halbdunklen voll besetzten Kirche.  Das bekannte Lied aus dem Gesangbuch: „Ich bin getauft auf deinen Namen...“ streichelt  alle Herzen und Ohren.  Die besondere Akustik dieses Gotteshauses lässt den wunderbaren Freudengesang verständlich erklingen.  Zum Abschluss dieser doppelten Feier singt die ganze Gemeinde inbrünstig das Osterlied: „Wir wollen alle fröhlich sein ...“  Ich denke, dass die menschliche Dankbarkeit über den auferstandenen Christus und die Freude über jeden frisch Getauften in diesen beiden Liedern herrlich zum Ausdruck kommt.

 

Schau in den Spiegel

Neigen wir nicht alle dazu, unser Versagen und unsere Schuld nicht bei uns selber zu suchen? Müssen dafür nicht selten unsere Eltern, der Partner und die schwierigen Verhältnisse in unserem Land als Verursacher und auch als „Sündenbock“ dienen?  Ja, es ist wahrlich sehr lästig, ehrlich mit sich selber zu sein.  Mit aller Deutlichkeit sich intensiv mit dem eigenen Spiegelbild zu befassen, bereitet Schmerzen und rüttelt an alter und neuer Schuld.  Und es gibt keinen Menschen ohne Schuld. Aber jeder erwachsene Mensch ist für sein Leben selbst verantwortlich.

Mut, Ehrlichkeit und Selbstkritik gehören unbedingt dazu, den Blick in den Spiegel lange auszuhalten.  Das ist etwas anderes, als nur flüchtig zu schauen, ob die Frisur in Ordnung ist.  Dieses intensive lange Hinschauen geht nach innen, und ich fühle, dass mein Gewissen sich meldet.  Ja, mir wird bewusst, dass ich vor allem meinen Mitmenschen Liebe schuldig geblieben bin.  Mir fällt es schwer, wenn mich andere verletzen, wieder liebevoll auf sie zuzugehen.  Dann ziehe ich mich wenigstens für eine kleine Zeit zurück.  Braucht das Vergebenkönnen Zeit?  Ich muss nachdenken können.  Dann tauchen Gedanken in mir auf, dass Gott mir auch immer wieder aufs Neue meine Schuld vergibt.  Und wie oft bete ich im Vaterunser: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“  Aber dieses Gebot in die Tat umzusetzen fällt uns Menschen manchmal auch schwer.  Dennoch praktiziere ich es immer wieder, und erleichtert stelle ich fest: Wenn ich verzeihe, weicht der Groll aus meinem Herzen, und ich kann wieder lieben.  Welch eine Wohltat auch für die eigene Seele!  Vergebung macht frei, schafft weiten Raum für positive Gefühle, für ein neues unbelastetes Miteinander.  Die Sehnsucht nach einem neuen Anfang sollte weiter in uns wohnen.  An jedem neuen Morgen, an dem wir erwachen, haben wir diesen einen Tag geschenkt bekommen.  Machen wir uns diesen Neuanfang bewusst.  Und füllen wir die Stunden mit Liebe, Verständnis und Dankbarkeit.

Aber ich bin auch Mitmenschen Fürsorge schuldig geblieben.  Meine körperlichen Kräfte sind mit zunehmenden Jahren und langen Krankheitsphasen geringer geworden.  Manchmal reicht meine Energie nur für meine eigene Lebensbewältigung.  Trotzdem hätte ich mir manchmal mehr Zeit nehmen können, um Trost zu schenken.  Mit Entschuldigungen tun wir uns alle wahrscheinlich leicht!

Dieses Thema beschäftigt mich so stark, dass ich in einer Nacht folgenden Traum habe: Ich sehe mit meinem Gesicht in meinen großen Badezimmerspiegel, und bin erstaunt, dass ich etliche so genannte blinde Flecken in meinem Spiegelbild erkenne.  Schockiert und betrübt erwache ich.  Aber dann bin ich auch erleichtert.  So habe ich mich im Wachzustand noch nicht gesehen.  Für diesen tiefen ehrlichen Blick bin ich sehr dankbar.  Meine Augen haben im Traum dunkle Flecken gesehen.  Demut wächst daraus in meinem Herzen.  Kein Grund mehr, mich manchmal über andere Menschen zu erheben.

Buße heißt Umkehr.  Und Gott schenkt uns allen, wenn wir unsere Sünden zutiefst bereuen, immer wieder einen Neuanfang.  Diese väterliche barmherzige Güte brauchen wir Menschen so sehr zu unserer Lebensbewältigung!

An einem Sonntagvormittag

Eine wahre Geschichte

„Du, ich will mit dem Fahrrad zum Gottesdienst fahren und für die beiden beten“, ruft er durch zwei offen stehende Türen seiner Frau zu.  Blitzschnell reagiert die praktisch Veranlagte, entnimmt aus ihrer wohlgeordneten Hausapotheke ein Medikament, und sie drückt es dem schon mit klein karierter Mütze und schlammfarbenem Anorak Bekleideten in die Hand mit den Worten: „Bring unserem kranken Schwiegersohn diese Tabletten, die ihm schnell helfen werden, und fahr vorher bei der Tankstelle vorbei und kaufe eine große Flasche Cola und eine Tüte Salzstangen, damit er bald wieder auf die Beine kommt.  Das halte ich heute für wichtiger, und beten kannst du auch in deinem Kämmerlein für die beiden Kranken.“  Der verhinderte Gottesdienstgänger fährt schweigend in Richtung Tankstelle.

Die erst drei Monate alte Enkeltochter liegt nämlich schon sieben Tage mit schwersten Durchfällen in der Kinderklinik am Tropf.  Und ihr liebevoller Vater hat sich bei der Tag- und Nachtpflege mit dem hoch ansteckenden Virus infiziert.  Seitdem versorgt die Mutter ihr krankes Töchterchen doch sie braucht dringend im Krankenhaus wieder eine fürsorgliche Ablösung durch ihren Mann.

Sichtlich zufrieden kommt der Nothelfer von seiner Fahrt zurück.  Der kernige Großvater umschließt seine zarte Frau mit seinen ausgebreiteten Armen und seine Lippen formen die Worte: „Wie gut, dass wir so eine mitfühlende Großmutter in unserer Familie haben.“

Das kann ich meinen Kindern nicht sagen

In froher Stimmung greife ich gleich zum Jahresbeginn zum Telefonhörer, um meinen Freundinnen, Bekannten und Verwandten ein gesegnetes, gesundes und gutes  Neues Jahr zu wünschen.  Nachdem ich etliche ausgiebige Gespräche dadurch gehabt habe, sind meinen Ohren die vielen tiefen Seufzer nicht verborgen geblieben, die die älteren Familienmütter, sprich Großmütter, von sich gegeben haben.  Ja, diese gestandenen Frauen sind insgemein froh, dass die vielen Feiertage mit den Mehrbelastungen durch Besuche von Kindern, Enkelkindern und der hoch betagten Schwiegermutter vorüber sind.  Vorher haben sie sich schon den Kopf zerbrochen, mit welchem Menü sie die immer größer werdende Familie auf eine Art satt bekommen, die arbeitssparend und doch köstlich ist.  Doch stellte eine Freundin dabei ernüchternd fest, dass ihre Kochtöpfe nicht gleichzeitig mit der Familie gewachsen sind.  Und meine sehr kränkliche Cousine sagte ziemlich traurig zu mir: „Die Kinder laden sich einfach jedes Jahr wieder bei uns ein, die müssten doch sehen, dass ich es kräftemäßig nicht mehr schaffe.  Ich bin nach Weihnachten immer total fertig.“  Vielleicht sehen die Kinder schon, dass die alte kranke Mutter längst nicht mehr so belastbar ist wie früher, aber sie meinen, sie könnten die bisher praktizierte Tradition nicht brechen.  Ich frage mich allerdings, warum die jungen kraftvollen Leute nicht Vater und Mutter zum Fest, oder auch an einem Sonntag, einmal einladen und verwöhnen.  Ist hier nicht der Punkt erreicht, an dem nur noch der Mut zur Ehrlichkeit weiterhelfen kann?  Warum sagt meine Cousine nicht ohne jeden Vorwurf in der Stimme und ganz ehrlich, dass sie die Kinder nicht mehr bewirten kann?  Hat sie vielleicht Angst vor Liebesverlust?  Fürchtet sie, dass die Kinder sie dann nur noch selten besuchen werden?  Das sind jedenfalls meine Vermutungen.  Erwachsene Kinder sollten wissen, dass die alten Eltern gerade an ihrem Lebensabend die Zuwendung und Liebe von ihnen sehr brauchen, und dies ohne jegliche Gegenleistung.

Meiner langjährigen Freundin Helga wurden zum Jahreswechsel ganz selbstverständlich für ein paar Tage ihre beiden kleinen Enkelkinder von der Tochter und dem Schwiegersohn gebracht.  Auch wenn der tatkräftige kinderliebe Großvater tüchtig mithilft, bleibt doch noch zu viel Arbeit an meiner Freundin hängen.  Mit sechzig Jahren und dazu noch krank, ist sie einem starken Trotzkopf  und einer eifersüchtigen Enkeltochter einfach nicht mehr gewachsen.  Während die jungen Eltern auf einer Sylvesterparty ausgiebig feiern, mühen sich die alten Großeltern mit ihren verschlissenen Kräften mit viel Liebe mit den Enkelkindern ab.  Ich habe meiner Freundin den Rat gegeben, dass sie ihrer Tochter die Wahrheit sagen muss, damit sie nicht weiterhin so ausgenutzt wird.  „Das kann ich meinen Kindern nicht sagen.“  Auch sie hat Angst, dass das bisher auf dieser Basis gut funktionierende Verhältnis dadurch eine spürbare negative Veränderung nach sich ziehen würde.

Das rote Band

Anlässlich meines Geburtstages bekam ich etliche wunderschöne Blumensträuße geschenkt.  Ein paar rote Rosen ließen leider schon nach einigen Stunden ihre Köpfe hängen.  Jeden Tag versorgte ich die vielen bunten Sträuße mit frischem Wasser.  Jedoch, nach einer knappen Woche war die Blütenpracht dahin.  Aber ein Blumenstrauß tanzte mit seiner Langlebigkeit aus der Reihe, und deshalb fiel er meinen Augen und meinem Herzen  auch besonders auf.  Was war anders an ihm, als an den anderen schnell Verwelkten?  Da erst fiel mir das breite rote Band, das alle einzelnen Blumen in diesem Strauß zusammenhielt, besonders auf.  So konnten die Blumen nicht umkippen, weil sie so dicht beieinander standen, sich gegenseitig Halt gaben, und vor allem vom roten Band aufgefangen wurden.  Die schwachen dünnen Blumen werden ganz natürlich von den Stärkeren gestützt und so vorm Einknicken bewahrt.

Diese Symbolik können wir auf unser zwischenmenschliches Verhalten übertragen.  Eines Abends saß ich am Computer und schrieb mal wieder.  Meine jüngste Tochter kam mit einem „leidenden“ Gesichtsausdruck in mein Zimmer.  Sofort schaltete ich das Gerät aus.  Sie brauchte mich jetzt, das sah ich an ihren Augen.  Da fiel sie mir weinend um meinen Hals, und ich streichelte stärkend ihren zarten Rücken, gab ihr durch mein Dasein Wärme und Halt.  Wir standen eine ganze Weile so dicht beieinander, vom Band der Lieb gehalten, denke ich.  Etwas später schüttete sie ihren Kummer vor mir aus.  Ich konnte ihren Leidensdruck verstehen, denn auch ich hatte schon Enttäuschungen dieser Art in meinem Leben verkraften müssen.  Und ich denke, wie gut, dass wir einander Halt geben können in der Keimzelle der Liebe, die die Familie sein sollte, damit wir vielleicht schon am nächsten Tag gestärkt den Alltag wieder bewältigen können.

Ein paar Monate später bekam ich in einer schwierigen Phase von meiner Tochter Trost, Wärme und Geborgenheit ganz selbstverständlich geschenkt.  Mal sind wir schwach, doch dann wieder stark.  Um im Bild zu bleiben: Wir stehen dicht beieinander, wie Blumen in einer Vase, vom roten  Band der Liebe gehalten.






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Band 26:

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Liebe findet immer einen Weg

Leseprobe:

Wenn Hoffnung in deinem Herzen wohnt,

kannst du mit gestutzten Flügeln

weiterfliegen,

bis dir wieder Adlerschwingen wachsen,

die dich über weite Meere Tragen.

© Monica Maria Mieck

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Leseprobe:

Josua

Die milde Herbstsonne liebkost nach einer länge­ren Regenperiode die zerzausten Astern, Dahlien und die letzten Rosen in dem weitläufigen Garten­gelände meiner Freundin.  Und diese Sonnenkraft schenkt den vielen Äpfeln verschwenderisch die schmackhafte Süße und lässt sie so der Ernte entgegenreifen.  Man muss schwindelfrei sein, wenn man mit der langen Leiter auch noch die schönsten Exemplare aus den hohen Kronen der Bäume pflücken will.  Nur ein Baum bildet da eine Aus­nahme.  Er schenkt seine Früchte auf einer ganz niedrigen bequemen Ebene.  Dieser alte Apfelbaum steht nicht mehr aufrecht, kann nicht mehr höher in den Himmel wachsen; er liegt am Boden und trägt doch immer wieder fleißig saftige, rundliche Köstlichkeiten.  Und das kam so:

Vor etwa zehn Jahren wütete ein gewaltiger Herbststurm über das Land.  Er fügte dem frucht­tragenden Apfelbaum so schwere Verletzungen zu, dass dieser unter seiner Last mit einem lauten krachenden Aufschrei zu Boden sank.  Die Garten­besitzer befürchteten zu Recht, dass das wahr­scheinlich das Ende ihres so fleißigen Fruchtspen­ders sei.  Doch Friedrich, der Mann meiner Freun­din, umwickelte fürsorglich die große Bruchstelle mit einem Lehmverband.  Er hatte Hoffnung auf Genesung, gab dem Gestürzten eine Hilfe, eine Chance.  Nach diesem Unglück fiel der Familie im Spätherbst ohne große Anstrengung die reichliche Ernte fast in den Schoß - wohl zum letzten Mal?

Im darauf folgenden Frühjahr geschieht ein Wun­der.  Der am Boden liegende Apfelbaum zeigt neue grüne Triebe.  Meine Freundin wird darüber sehr nachdenklich und freudig zugleich.  Mittags, als die Familie zum Essen um den großen Tisch in der Küche versammelt ist, sagt sie voller Erstaunen: „Weil der gefallene Baum wieder neues Leben in sich trägt, wollen wir ihm den Namen Josua geben.  Das ist hebräisch und heißt: Seine Hilfe kommt von Gott.“

Und Josua beherbergt in seinen immer wieder zum Licht strebenden Ästen ein Amselpaar, das in sei­nem knospenden Gezweig aus- und einfliegt, um ein wärmendes Nest für die Jungen zu bauen.  Vater Friedrich stützt den „Gefallenen“ mit eigens für ihn gesägten Holzgabeln ab.  Der am Boden Liegende blüht genauso schön und kraftvoll wie seine aufrecht stehenden Baumgeschwister.  Da­durch, dass es nun sein unabwendbares Schicksal ist, sein Baumleben in der horizontalen Lage meistern zu müssen, als stolz in den Himmel hineinwachsen zu können, bekommt er mehr Gäste als in seinen standsicheren, aufwärts strebenden Jahren.  Die Kinder aus der gesamten Nachbarschaft klet­tern mit Freuden angstfrei in seinen wirtlichen Ästen herum.  Eines Tages beginnen auch sie mit einem hölzernen Nestbau, weil sie sich in dem niedrigen Baum so wohl fühlen.  Der Vater spendiert ein paar glatte Bretter aus seinem Werkkeller dazu.  Während die Amseln ihre Lieder in den jun­gen Morgen schicken, schlafen die Kinder noch in ihren Betten.  Aber sobald das Schultor sich hinter ihnen schließt, laufen sie schnell nach Hause, um an dem Baumhaus phantasievoll weiterzuzimmern.  Zur Erntezeit, im Spätherbst, schenkt Josua trotz seines schweren Zusammenbruchs körbeweise makellose Früchte mit roten Bäckchen.

Ich bin zu Besuch bei meiner Freundin Charlotte.  Weil ich aus der Millionenstadt komme und viel zu viel zwischen Steinmauern leben muss, halte ich mich fast immer in dem großen Garten auf.  In der Mittagssonne finde ich unter Josuas Blätterdach einen erholsamen und bezaubernden Schattenplatz.  Während ich auf dem Rücken im hohen Grase liege, gibt dieser bewundernswerte Baum mir ein anschauliches Beispiel dafür, auch nach einem harten Schlag noch Weiterwachsen, blühen und Früchte tragen zu können.  Ich will und kann von Josua lernen: Wenn ich am Boden liege, nicht zu resignieren, nicht aufzugeben, nicht die Geduld so rasch zu verlieren.  Und wenn ich schmerzliche Verletzungen und Verluste erleiden muss, nicht endlos zu trauern.  Ich darf immer wieder neu auf einen menschlichen Samariter hoffen, auf eine tragende Stütze, eine liebevolle Hilfe in schweren kalten Sturmzeiten; auf einen lindernden, schützenden Verband.  Vor allem kann ich fest darauf vertrauen: Wenn ich zusammenbreche und glaube, nicht mehr zu können, werde ich vom himmlischen Vater - auf Seine Weise - Hilfe erfahren, von Seinen liebenden Händen aufgefangen.

Charlotte schenkt mir noch einen Beutel voll von diesen himmlischen Äpfeln, die ich gerne mit nach Hause nehme.  Ich lege sie luftig und kühl, einzeln und wirklich liebevoll in ein Holzregal in unseren Keller.  Dieser kostbare Vorrat soll möglichst lange reichen.  Diese Mutmach-Äpfel esse ich ganz lang­sam und sehe dabei in Gedanken den bewunderns­werten Josua vor mir.

 © Monica Maria Mieck


Ansteckend wirken

Hast du heute schon

ein Licht angezündet

und weitergereicht,

von Hand zu Hand,

von Herz zu Herz?

Mach du den Anfang,

dann wird es heller und wärmer

in unserem Land.

 © Monica Maria Mieck

Das Hamburger Abendblatt brachte am 24.12.2005 in der Journal-Beilage auf der Seite „von Mensch zu Mensch“ diese Buchbesprechung:

Verschenke kleine Sonnenstrahlen

 „Verschenke kleine Sonnenstrahlen", heißt das neue Buch unserer Leserin Monica Maria Mieck.  Sie stellt darin heitere und besinnliche Kurzgeschichten vor, die sich auch gut zum Vorlesen in Frauen­ und Seniorenkreisen eignen.  Wer sich selbst ein wenig vergisst, hat Zeit und Liebe zu verschenken, so die Erfahrung und Lebenseinstellung der Autorin.  Es sind nicht immer die großen Geschenke, die uns glücklich machen.  Mit Aufmerksamkeit und feinem Gespür können wir täglich kleine Sonnenstrahlen verschenken, die unser gemeinsames Miteinander wunderbar erhellen können, sagt sie.  Lesen Sie ein Beispiel aus der Zeit der ersten Nachkriegsjahre mit großer Armut in Schleswig-Holstein:

Die ersten Nachkriegsjahre:

Armut in Schleswig-Holstein

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Es war im Jahre 1946.  Meine kleine Schwester, die im Februar 1945 noch in unserer Heimat in Hinterpommern das Licht der Welt erblickt hatte, war ernstlich erkrankt.  Wir lebten damals nach der Flucht vor den Russen in bitterster Armut auf dem Lande in Schleswig-Holstein.  In zwei Räumen, in denen das Wasser an den Wänden herunter lief stand auch ein dreibeiniger Ständer, der eine Waschschüssel trug. Zwei oder drei dünne Handtücher trockneten die mageren sieben Körper der stets hungrigen Flüchtlinge ab.

Unsere Eltern waren in großer Sorge um die Gesundheit ihrer Jüngsten.  Ein Telefon hatten wir natürlich nicht.  Irgendwie konn­ten wir aber unseren Hilferuf einem Arzt überbringen.  Es dauerte bei den Entfernungen auf dem Lande, die zu Fuß überwunden werden mussten, länger, aber endlich traf der Herbeigesehnte ein, untersuchte die kleine kranke Patientin, verordnete ein Medikament, wusch sich die Hände, beruhigte die angstvollen Eltern und wollt sich verabschieden.

Wir waren damals nicht krankenversichert.  Meinen Eltern war diese Situation unüberschaubar ins Gesicht geschrieben.  Der junge Arzt sagte dann wörtlich: „Wenn Sie etwas haben, so geben Sie es mir, wenn Sie nichts haben, so ist es auch gut..."  Die sichtlich Erleichterten und großherzig Beschenkten hatten weder damals begehr Nahrungsmittel noch Geld zu geben.  Die Eltern legten all ihre Dankbarkeit in ihren warme. Händedruck.  Die ganze Familie war berührt von diesem Samariter, der auf seinem jungen Gesicht eine Zufriedenheit trägt, die er mit auf seinen weiten Fußweg nahm...

 

 

 



Verschenke kleine Sonnenstrahlen"

 

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ist Band 27 in Jürgen Ruszkowskis gelber Buchreihe, Direktbezug (Reste): Jürgen Ruszkowski, Nagelshof 25, 22559 Hamburg, 

Tel. (bei Abwesenheit nach 30 sec. Anrufbeantworter): 040-18090948 , Fax: 040-18090954   eMail 


Etliche der Texte von Monica Maria Mieck sind in drei eigenen Büchern, zahlreichen Anthologien, Verteilheften des Verlages "Wort im Bild", christlichen Zeitschriften und Kalendern veröffentlicht worden:

"Durch alle Nebel hindurch" - CVA Konstanz 1990 - ISBN 3-7673-1360-X - 2. Auflage 1995 vergriffen!

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Das Buch ist unter ISBN 978-3-00-019762-8 als Band 28 in Jürgen Ruszkowskis gelber Buchreihe neu aufgelegt und kann (Reste) bestellt werden.

"Liebe findet immer einen Weg"

- erschien in einer Auflage von 3.000 Stück im Friedrich Bahn Verlag GmbH - ISBN 3-7621-1050-6 - vergriffen

band26minimmmliebefindetimmer.jpg

nur noch bei amazon oder als ebook

Das Buch ist als Band 26 in der gelben Reihe von Jürgen Ruszkowski neu aufgelegt und kann über amazon oder als ebook bezogen werden:

"Zauber der Erinnerung"

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Das Buch ist als Band 38 in der gelben Reihe von Jürgen Ruszkowski erschienen und kann (Reste)  bestellt werden

Seit  über sechzehn Jahren mit Beiträgen in den Weihnachtsanthologien des Diakonischen Werkes Westfalen (Münster)

Regelmäßig Beiträge in der Monatszeitschrift "Lebensspuren Frau und Mutter" - Verlag Kreuz -

Beiträge in Verteilheften des Verlages am Birnbauch GmbH und Verlag "Wort im Bild"

Beiträge in Zeitschriften - JOYCE - 55plus - (Bundesverlag)

In Frauen-Kalendern mit Aphorismen

In zahlreichen Anthologien, u a. beim Gütersloher Verlagshaus,

2007 in dem Geschenkbuch ZAUBERGÄRTEN DER KINDHEIT - ISBN 978-3-8157-4080-4 - (Erinnerungen großer Dichter an den Garten Ihrer Kindheit) bei Coppenrath

2007 in dem Geschenkbuch Trost der Engel - ISBN 978-3-8157-7928-6 - Boten des Lichts in schweren Zeiten bei Coppenrath

Blumengedanken im Verlag am Birnbach

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2008 erschien im Verlag am Birnbach GmbH, 57612 Birnbach, Bergstraße 9, Tel.: 02681-3794, Fax: 02681-70597,

                      dieses Verteilheft: Bestell-Nr.: 0057-2056 - ISBN 979-3-86508-256-5

 



 

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